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# taz.de -- Friedenspreis für Anne Applebaum: Globalisierung, Krieg und Propag…
> Am Sonntag wird Historikerin Applebaum in Frankfurt geehrt. Ihr Buch „Die
> Achse der Autokraten“ zeigt, wie China und Russland den Westen
> unterwandern.
Bild: Angriff als Verteidigung: Wladimir Putin und Chinas Xi Jinping fürchten …
Eine der großen Illusionen nach Ende des Kalten Krieges lag darin, den
Zusammenbruch der Sowjetunion gleichbedeutend mit einem globalen Siegeszug
von liberaler Demokratie und Menschenrechten zu deuten. Die
amerikanisch-polnische Historikerin Anne Applebaum beschreibt in ihrem
Buch „Die Achse der Autokraten“ den Optimismus in den 1990ern.
Der Politologe Francis Fukuyama hatte die griffige Formel vom „Ende der
Geschichte“ geprägt. Marktwirtschaft, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie
seien künftig konkurrenzlos und quasi durchgesetzt. Was für ein
Trugschluss.
Von solch Annahmen sind wir drei Jahrzehnte später weit entfernt.
Demokratiebewegungen in Venezuela, Nicaragua, Kuba, Belarus, Simbabwe,
Nordafrika, Syrien, Iran oder Hongkong wurden niedergeschlagen.
Polizeilich-militärisch und verleumdet. In Syrien hat ein Massenmörder wie
Assad ein ganzes Land zerstört. Mithilfe von Russland, Iran und
libanesischer Hisbollah, dabei sogar Giftgas eingesetzt, ohne dass die
Weltgemeinschaft eingegriffen hätte.
Im Gegenteil. Immer mehr Staaten schlossen sich seither dem Bündnis ruch-
und gesetzloser Autokratien an. China ist neben Russland der aggressive
Leader. Und seit Russlands Invasion in die Ukraine scheint alles wieder
möglich. Staaten wie Indien, Türkei, Brasilien oder Südafrika taumeln,
können sich nicht entscheiden, wo sie ihre Zukunft sehen.
## Verstörende Rhetorik
Die brachial nationalistische Rhetorik klingt allenthalben verstörend.
Millionen Menschen befinden sich auf der Flucht vor den von Autokraten
angezettelten Kriegen und Bürgerkriegen. Wollen häufig in den so viel
gescholtenen Westen, bei dem sich ebenfalls die Extremen regen.
Mit all diesen wenig erfreulichen Phänomen beschäftigt sich die Publizistin
Anne Applebaum. In ihrem neuen Werk beschreibt sie anschaulich, wie drei
Jahrzehnte nach dem Ende der Sowjetunion „der“ Westen in die Defensive
geraten ist. Autokratische Regime betreiben mit Schlagworten wie
„Multipolarität“ und „nationaler Souveränität“ Propaganda, um daraus…
Recht auf Unterdrückung abzuleiten und international Verwirrung zu stiften.
Im Ton eines gefälschten Antikolonialismus weisen sie, wie etwa Nicaragua,
Venezuela, Simbabwe, Iran oder Belarus, menschenrechtliche Kritiken an
ihren Praktiken als westlich-imperialistisch zurück. Und da sich
ultranationalistische Kleptokraten dabei gerne eines linken Jargons
bedienen, fallen viele auch im Westen darauf herein.
Und sie können sich, wie Applebaum an vielen Beispielen belegt, dabei auch
konsequent der Schwächen der von ihnen verachteten liberalen Demokratien
bedienen. Sie wissen um die schlecht regulierten Zonen von
Marktwirtschaften. Sie gründen Scheinfirmen, Pseudobanken, betreiben unter
tätiger Mithilfe westlicher Geschäftsleute Anlage- und Kursbetrügereien und
Geldwäsche im großen Stil.
## Hetzen und einkaufen
Gegen London, Paris, Berlin und New York hetzen und gleichzeitig dort
einkaufen? Es ist tatsächlich ein „Wandel durch Handel“, nur leider in die
falsche Richtung. Profitgier macht auch im demokratischen Westen viele
blind, wie Applebaum am Drama um Nord Stream 2 ausführt. Für sie beginnt es
mit einer sozialdemokratischen Vorgeschichte der Kanzler Brandt und
Schmidt.
Den autokratischen Staat vergleicht Applebaum in seiner Funktionsweise mit
der international agierender Mafiabanden. Nur ist er ungleich stärker. Die
klassische Mafia war noch privates Gangstertum, der Autokrat hingegen steht
als der Pate gleich an der Staatsspitze. „Korruption, Kontrolle,
Propaganda: Wie Diktatoren sich gegenseitig an der Macht halten“,
entsprechend lautet der Untertitel von Applebaums jetzt zur Frankfurter
Buchmesse erscheinendem Buch.
Applebaum, 1964 in Washington geboren, arbeitete für den Economist Ende der
1980er Jahre als Korrespondentin in Warschau. Später sollte sie dem
Redaktionsausschuss der Washington Post angehören. 2003 veröffentlichte sie
mit dem Buch „Der Gulag“ einen internationalen Bestseller über das
stalinistische Gewaltregime der Sowjetunion.
2012 folgte ihr Buch „Der Eiserne Vorhang: die Unterdrückung Osteuropas
1944–1956“ und 2017 „Roter Hunger – Stalins Krieg gegen die Ukraine“.
Applebaum wird zum Ausklang der Frankfurter Buchmesse mit dem Friedenspreis
des Deutschen Buchhandels 2024 am 20. Oktober in der Frankfurter
Paulskirche geehrt. Die Laudatio auf sie wird [1][Irina Scherbakowa halten,
Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial],
Friedensnobelpreisträgerin. Scherbakowa musste Moskau 2022 verlassen, sie
lebt im deutschen Exil.
Neue Konstellationen
Applebaum beschreibt in „Die Achse der Autokraten“ eine global vernetzte
Welt, in der die Kämpfe zwischen Demokratie und Autokratie nicht mehr von
zwei territorial klar voneinander abgrenzbare Seiten der Mauer geführt
werden. Und sich dadurch auch neue Konstellationen ergeben.
„Der Hass auf die Demokratie ist nicht mehr Teil eines geopolitischen
Konkurrenzkampfs“, formuliert sie, „wie so viele ‚Realisten‘ und Expert…
für internationale Beziehungen noch immer glauben. Er hat seine Wurzeln
vielmehr in der Natur des demokratischen Systems, in Vorstellungen wie
‚Rechenschaft‘, ‚Transparenz‘ und ‚Volksherrschaft‘. Die Autokraten…
wie diese Sprache in der demokratischen Welt gesprochen wird, sie hören
ihre eigenen Dissidenten dieselbe Sprache sprechen und versuchen, beide zu
vernichten.“
Das klingt plausibel, auch wenn Historiker wie Dan Diner bereits die
historischen Kämpfe zwischen Kommunismus, Faschismus und Demokratie, die
zum Zweiten Weltkrieg führten, als einen ineinander verschränkten
„Weltbürgerkrieg“ bezeichnen. Die neue Dimension liegt nach Applebaum aber
nun in der extremen Globalisierung durch digitale Kommunikation und
Netzwerkökonomien.
Diese verstärken die Möglichkeiten totalitärer Einflussnahmen mittels Fake
News, Alternativen Medien oder Hackerangriffen. Zu beobachten ist eine
globale Zunahme digitaler Überwachung und Steuerung von Diskurse mittels
unsichtbarer Filter- und Zensursysteme. Der neue totalitäre Block um
Russland und China treibt sie weltweit voran.
## Islamisten und Trolle
Die offenen Gesellschaften müssen hingegen weiter vor allem auf den
Verstand ihrer Bürger:innen hoffen. Dass diese zum Beispiel merken, wenn
[2][angeblich unabhängige Medienportale wie „Red“] professionell
Islamisten- und Antiisraelpropaganda betreiben, um damit auch universitäre
und linke Diskurse in Deutschland zu kapern.
Neben den Kapitalströmen hat sich auch „die antidemokratische Rhetorik
globalisiert“, sagt Applebaum. Beispielhaft erwähnt sie obskure Webseiten
wie „Pressenza“ oder „Yala News“ mit Nähe zu Russland.
Anonyme Blogger behaupteten, die CIA würden in der Ukraine geheime
Biowaffenlabore unterhalten. Die Posts verbreiteten sich bei Beginn des
Krieges millionenfach in den USA. Und „Yala News“, laut BBC ein
„Kreml-Lautsprecher auf Arabisch“, ließ verlauten, die Ukraine habe
geplant, „Zugvögel als Biowaffen einzusetzen“, um in Russland Krankheiten
zu verbreiten.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj kommentierte, es erinnere ihn
an einen düsteren Scherz von Monty Python.
## Robert Habeck mahnt
Zum Jahrestag des Hamas-Überfalls auf Israel sprach Vizekanzler Robert
Habeck am 7. Oktober mit Michel Friedman im Berliner Ensemble.
Der Grünen-Politiker warnte vor der Hybris, einem fortgesetzten
Überlegenheitsgefühl, das dazu verleite, die Autokratien als dem Westen
unterlegene Gegner zu betrachten.
Und er mahnte, sich nicht spalten zu lassen.
Er machte eine vor der Lektüre von Applebaums Buch und in Anbetracht der
Weltlage besonders evident wirkende Bemerkung: Die Distanz zwischen Grünen
und der CSU dürfe nie größer werden als die zu Parteien wie der AfD.
19 Oct 2024
## LINKS
[1] /Irina-Scherbakowa-ueber-Exil-und-Flucht/!6039574
[2] /RT-nahes-Medium-Red/!6039623
## AUTOREN
Andreas Fanizadeh
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