# taz.de -- Jüdischer Almanach zum 7. Oktober: Die Katastrophe | |
> Der Jüdische Almanach ist diesmal Ergebnis eines besonderen Projekts. | |
> Israelis diskutieren darin die Folgen des Pogroms vom 7. Oktober. | |
Bild: Angehörige und Freunde trauern auf dem Gelände des Nova Festivals anlä… | |
„Zuerst war da nur ein Pfeifen.“ Mit diesen Worten beginnt ein Buch zum | |
[1][zum 7. Oktober 2023] . Diese Worte schreibt Amir Tibon, und er | |
beschreibt damit das Geräusch, das er an einem Morgen noch im Halbschlaf | |
registrierte. Es war der Beginn des Hamas-Überfalls auf den Kibbuz Nahal | |
Or. Das Geräusch kam von einer Granate. Die vierköpfige Familie flüchtet | |
sich in einen Schutzraum. Viele Stunden später werden sie gerettet. Doch | |
nicht alle ihre Nachbarn hatten dieses Glück. | |
Der jährliche Jüdische Almanach blickt auf eine lange Geschichte zurück. | |
Seine erste Ausgabe erschien 1902 als ein Zeichen einer eigenen, jüdischen | |
Kultur. Die frühere Zeit-Reporterin Gisela Dachs hat aus dem Almanach in | |
den letzten Jahren ein Diskussionsforum geschaffen. | |
Dachs erzählt bei der Buchpremiere von einem Anruf aus Berlin, den sie vor | |
einem Jahr erhielt. Am anderen Ende der Leitung war Thomas Sparr vom | |
Suhrkamp Verlag. Man müsse „alles umwerfen“, habe der angesichts des 7. | |
Oktober gesagt. Das war der Beginn für ein besonderes Projekt. Der | |
diesjährige Almanach versammelt ausschließlich israelische Stimmen zum 7. | |
Oktober. | |
Es ist nicht so, dass es sich dabei vor allem um Texte handelt, die das | |
furchtbare Geschehen in seinen grässlichen Details transportieren. Das wäre | |
Pornografie. Fast alle Geschichten drehen sich um die Interpretation des | |
Massenmords. Einigkeit besteht in einem Punkt: Der 7. Oktober 2023 ist eine | |
bleibende Katastrophe. | |
## Nach dem 7. Oktober strömten Israelis zurück in ihre Heimat | |
Der [2][Schriftsteller David Grossman] bringt die Reaktionen in Israel auf | |
den Punkt, wenn er schreibt, dass „die tiefe Verzweiflung, die die meisten | |
Israelis nach dem Massaker erleben, vielleicht daher rührt, dass wir in die | |
jüdische Existenz zurückgeworfen wurden, in die Existenz eines schutzlosen | |
und verfolgten Volkes“. Israel, schreibt Grossman, sei der einzige Staat, | |
„zu dessen Vernichtung man aufrufen kann“. | |
Doch auch Stolz strahlen einige Texte aus – Stolz auf die unmittelbaren | |
Reaktionen, die Selbsthilfe angesichts der Unfähigkeit des Staates nach dem | |
Massaker, die Unterstützung der Überlebenden, den Kampf für die Befreiung | |
der Geiseln. Und auf ein besonderes Phänomen: In anderen Ländern ergreifen | |
junge Männer die Flucht, wenn ein Krieg droht. Nach dem 7. Oktober strömten | |
Israelis aus dem Ausland zurück in ihre Heimat. | |
Einig sind sich die Autoren darin, dass weder Israelis noch Palästinenser | |
aus dem Landstrich am Mittelmeer verschwinden werden. Aber wie | |
zusammenleben nach dem genozidalen Angriff? Wie Vertrauen schaffen? | |
## Zionismus ist eine National-, keine Kolonialbewegung | |
Sollte man etwa als aufgeklärter jüdischer Israeli den Zionismus über Bord | |
werfen, weil dieser als koloniales Projekt geschmäht wird? | |
Nein, schreibt [3][Fania Oz-Salzberger], denn es handele sich um eine | |
National- und nicht um eine Kolonialbewegung, und außerdem gebe es einen | |
„humanistischen Zionismus“. | |
Die Soziologin [4][Eva Illouz] geht in ihrem Beitrag zum Angriff auf | |
„Israel-kritische“ Eiferer über, deren Protagonistin [5][Judith Butler] die | |
Auffassung vertrat, die Hamas sei keine Terror-, sondern eine | |
Befreiungsorganisation. Illouz wirft den Vertretern solcher Vorstellungen | |
vor, merkwürdige Affinitäten zu religiösem Konservatismus im Islam zu | |
hegen, Meinungsfreiheit, Aufklärung und Emanzipation zu Grabe zu tragen. | |
19 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Ein-Jahr-7-Oktober/!6038103 | |
[2] /David-Grossman-Was-Nina-wusste/!5707750 | |
[3] /Historikerin-ueber-Nahost-Konflikt/!6034924 | |
[4] /Buch-ueber-westliche-Moderne/!6040811 | |
[5] /Judith-Butler-und-ihr-Werk/!5994977 | |
## AUTOREN | |
Klaus Hillenbrand | |
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