# taz.de -- Friedenspreis für Anne Applebaum: Für den Frieden, aber nicht bed… | |
> Die US-amerikanisch-polnische Publizistin Anne Applebaum hält in | |
> Frankfurt eine scharfzüngige Rede wider Appeasementpolitik mit Russland. | |
Bild: Ausgezeichnet: Anne Applebaum bei ihrer Dankesrede zum Friedenspreis in d… | |
Frankfurt taz | „Lassen Sie nicht zu, dass Skepsis zu Nihilismus wird. Der | |
Rest der demokratischen Welt braucht sie“, sagte Anne Applebaum in ihrer | |
Dankesrede für den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels, festlich | |
übergeben in der Frankfurter Paulskirche zum Abschluss der herbstlichen | |
Buchmessen. Die amerikanisch-polnische Essayistin, Historikerin und | |
Sachbuchautorin – „Der Gulag“ 2003, und aktuell: [1][„Die Achse der | |
Autokraten“]– hat diesen Preis zuerkannt bekommen, weil sie früher als die | |
meisten anderen Analysten die Gefahr beschrieb, die etwa vom | |
postsowjetischen Imperialismus ausgeht. | |
Die Ukraine, als Teil der Sowjetunion Opfer eines Holodomor, einer gezielt | |
bewirkten Hungerkatastrophe, und seit 2022 Opfer eines russischen Krieges, | |
hatte sie schon 2014 als freiheitserkämpfendes Land beschrieben: Da hatte | |
Russland gerade deren Halbinsel Krim annektiert und Teile der Ostukraine | |
dazu. Das war zu einer Zeit, als das bundesdeutsche Politikestablishment | |
(die Union, besonders aber die SPD) Russland als „Nachbarland“ imaginierte | |
und von den kleineren Ländern zwischen dem rohstoffreichen Imperium und | |
ihrem „Modell Deutschland“ nur das Nötigste wissen wollte | |
Applebaum erinnerte in ihrer Rede auch an Manès Sperber, | |
Friedenspreisträger 1983, der zu den Hochzeiten der bundesdeutschen | |
Friedensbewegung vor einem antipolitischen Pazifismus warnte – und sich | |
definitiv, wie im Übrigen Applebaum nun auch, keine Freunde auf der | |
politischen Linken machte: Diese ja noch ihren Melancholien in puncto | |
Weltrevolution anhängend, der Feind hatte für sie die USA zu bleiben. | |
So führte Applebaum aus: „Es ist auch ein guter Moment, um zu betonen, dass | |
die Lektion der deutschen Geschichte nicht sein kann, dass die Deutschen | |
Pazifisten sein müssen. Im Gegenteil. Seit fast einem Jahrhundert wissen | |
wir, dass der Ruf nach Pazifismus angesichts einer aggressiven Diktatur oft | |
nichts anderes ist als Appeasement und Hinnahme dieser Diktatur.“ | |
Sie ist, das betont sie seit Jahren, für den Frieden, aber nicht | |
bedingungslosen, insofern könne sie sich nicht als Pazifistin verstehen. | |
Ein demokratisches Land wie Deutschland könne sich nicht herausreden, | |
wonach militärische Enthaltsamkeit zum Frieden beitrage, im Gegenteil. Mit | |
Bezug auf Thomas Mann, der in den 40er Jahren in zahlreichen | |
Radioansprachen versuchte, NS-Deutschland rhetorisch zu besiegen, sagte | |
Applebaum, ein „Nie wieder!“ könne nicht politische Enthaltsamkeit | |
bedeuten. Die Ukraine seit jetzt in Gefahr, Putin und sein Regime ließen | |
daran nicht den geringsten Zweifel. George Orwell, Antistalinist | |
sondergleichen, so zitierte ihn die Amerikanerin und seit langem auch in | |
Polen lebende Applebaum, verheiratet mit dem polnischen Außenminister | |
Radosław Sikorski, dieser noble Autor sagte: „Der Krieg ist ein Übel, aber | |
manchmal das Kleinere.“ | |
Beifall in der Paulskirche, in der nur zwei Regierungsmitglieder zugegen | |
waren, Kulturstaatssekretärin Claudia Roth von den Grünen und Bettina | |
Stark-Watzinger, Bildungsministerin von der FDP. Auch SPD-Mitchefin Saskia | |
Esken war zugegen, aber eben kein Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, | |
den die Kritik Applebaums gewiss hätte beeindrucken können. | |
## Optimistisch gesinnte Kämpferin | |
Es ließ sich nicht klären, ob der Beifall aus dem Auditorium Höflichkeit im | |
bürgerlichen Sinne meinte – oder sogar und obendrein von Herzen kam: | |
Applebaum weiß, wie es alle wussten in der Paulskirche, dass die | |
[2][US-Präsidentschaftswahlen am 5. November mit einem Votum für Donald | |
Trump] ausgehen könnten. Was dieser fordert und was seine Mitbewerberin | |
Kamala Harris von den Demokraten letztlich auch fordert: dass das reiche | |
Europa, zu dem auch Deutschland gehört, sich militärisch, bei der Abwehr | |
autokratischer Regime, nicht mehr hinter den USA verstecken dürfe. | |
Applebaum wirkte gut gelaunt: eine optimistisch, keineswegs nihilistisch | |
gesinnte Kämpferin für die offene Gesellschaft. | |
Was offen blieb, ist freilich der Umstand der Konkretion. Applebaum hielt, | |
so auch der seufzende Hinweis der Zeit-Politikanalystin und früheren | |
taz-Redakteurin Mariam Lau auf Twitter, quasi eine Rede vor Eingeweihten, | |
eine Predigt zu den ohnehin Wissenden oder Bekehrten. Die Sozialdemokraten, | |
die den „Wandel-durch-Handel“-Schlamassel (Nord-Stream-Gaspipelines etc.) | |
bewirkten oder ihn mehr oder weniger offenen Auges geschehen ließen, etwa | |
der amtierende Bundespräsident, hängen im Geiste vielleicht nach wie vor | |
wesentlich am Sentiment, dass Russland doch vielleicht Gründe habe … Und | |
die Union hat immer schon gern das Geschäftliche, zumal Öl und Gas, im | |
Blick gehabt, die Ex-Kanzlerin Angela Merkel inklusive. Wer in der | |
Paulskirche mehr oder weniger respektvoll-ergriffen zuhörte, hatte seine | |
(bzw. ihre) Lektion gelernt. | |
Nur, und diese Hinweise ersparte sich Anne Applebaum, wie soll das gehen: | |
Demokratie verteidigen, die offene Gesellschaft, wie wehrt sich diese gegen | |
autoritäre Versuchungen? Wie war das konkret in Polen, wie ist das aktuell | |
in den USA, wie in Ostdeutschland, mit einer AfD als stärkster Fraktion in | |
Thüringen und dem russlandfreundlichen Bündnis Sahra Wagenknecht, ohne die | |
sowohl in Thüringen als auch in Sachsen keine Koalition mehr zu machen ist? | |
Und überhaupt: Österreich, Ungarn, die Slowakei? Es hätte womöglich für | |
eine gewisse Unruhe im Auditorium gesorgt, wäre die US-amerikanische Polin | |
Applebaum zu den eigenen Fehlern vorgedrungen, etwa zum Fantasma, per | |
Krieg, beispielsweise in Irak und Afghanistan, Demokratie implantieren zu | |
können. Applebaum plädierte einmal sehr für den Irakkrieg, brillante | |
Neocon-Fellow – und sie irrte sich. Da hätte das Publikum vielleicht | |
erfahren: Wie lernt es sich, als Anti-Totalitäre, aus Fehlern? | |
20 Oct 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Friedenspreis-fuer-Anne-Applebaum/!6040812 | |
[2] /Joe-Biden-in-Deutschland/!6043607 | |
## AUTOREN | |
Jan Feddersen | |
## TAGS | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Friedenspreis des Deutschen Buchhandels | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Schwerpunkt Frankfurter Buchmesse 2024 | |
Schwerpunkt Krieg in der Ukraine | |
## ARTIKEL ZUM THEMA | |
Friedenspreis für Anne Applebaum: Globalisierung, Krieg und Propaganda | |
Am Sonntag wird Historikerin Applebaum in Frankfurt geehrt. Ihr Buch „Die | |
Achse der Autokraten“ zeigt, wie China und Russland den Westen | |
unterwandern. | |
Vier Berichte von der Buchmesse: Wer den Ton in Frankfurt setzt | |
Lyrik aus dem Krieg, kluge Analysen von Eva Illouz, sich wandelnde | |
Verlagsstände und der Kulturkampf aus Italien: Das ist die Frankfurter | |
Buchmesse. | |
Irina Scherbakowa über Exil und Flucht: „Ich vermisse Russland nicht“ | |
Putin, die Ukraine und der Westen. Kulturwissenschaftlerin Scherbakowa über | |
den Kampf um Demokratie, Solidarität und das Werk der Osteuropa-Expertin | |
Anne Applebaum. |