# taz.de -- Ukrainische Medien im Krieg: Marathon gegen Propaganda | |
> Der russische Angriffskrieg wirkt sich auf die Pressevielfalt in der | |
> Ukraine aus. Auch die ukrainische Regierung schränkt sie ein. | |
Bild: Die Journalistin Sofiia Moskalenko berichtet im ukrainischen Staatsfernse… | |
Kyjiw taz | Drei Jahre Angriffskrieg machen sich auch in der ukrainischen | |
Medienlandschaft bemerkbar. Das Land verliert immer mehr Medien, das zuvor | |
vielfältige Angebot ist landesweit ausgedünnt. | |
Dadurch wird es immer schwerer, an Informationen zu kommen. Besonders in | |
frontnahen Gebieten sind die Leser*innen davon betroffen. Dort gibt es | |
oft keine lokalen Print-Medien mehr und Online-Portale sind wegen häufig | |
unterbrochener Internetverbindungen nur begrenzt erreichbar. | |
Aber nicht für jeden Verlust ist die angegriffene Infrastruktur | |
verantwortlich, [1][auch die Regierung trifft Entscheidungen, die die | |
Medienvielfalt einschränken können]: Seit dem 20. August 2021 ist das | |
bekannte Nachrichtenportal strana.ua durch einen Entscheid des Nationalen | |
Sicherheits- und Verteidigungsrats landesweit blockiert. | |
Auch bei den Nachrichten im Fernsehen haben Ukrainer*innen nur noch | |
wenig Auswahl. Zu Beginn der russischen Invasion im Februar 2022 hatten | |
sich die sechs großen ukrainischen Fernsehsender zu einem gemeinsamen | |
24-Stunden-Nachrichtenprogramm zusammengetan. Mit dem sogenannten | |
[2][Telemarathon] wollten sie der russischen Propaganda entgegenwirken. | |
Seit Kriegsbeginn senden fast alle ukrainischen Sender das staatlich | |
finanzierte Programm. Die Nachrichtensendung wird mit 37 Millionen Dollar | |
Steuergeldern gefördert. | |
Doch inzwischen gibt es auch Stimmen gegen den Telemarathon. Es könne nicht | |
sein, dass man auf allen großen Sendern ein und dieselbe Nachrichtensendung | |
serviert bekomme, so die Kritik. Kleinere oppositionelle Kanäle sind seit | |
der Einführung des Telemarathons aus dem digitalen Rundfunk weitgehend | |
verbannt und nur noch online oder per Satellit erreichbar. | |
Doch die ukrainische Regierung bleibt bei ihrer Unterstützung des | |
Telemarathons. Während das Kriegsrecht gilt, solle auch diese | |
Nachrichtensendung weiter finanziert werden, sagte Kulturminister Mykola | |
Tochytskyi. Die EU-Kommission kritisiert die staatliche Finanzierung und | |
stellt infrage, ob der Telemarathon sich für den freien Meinungsaustausch | |
eigne. | |
## Rundfunk- und Fernsehrat nimmt Einfluss | |
Leonid Schtekel, bekannter Journalist aus Odessa und Chefredakteur von | |
Odessa-Daily, hat unterschiedliche Einflussnahmen von verschiedenen | |
ukrainischen Regierungen erlebt. Er ist seit den 1980er Jahren engagiert. | |
Zu Sowjetzeiten geriet er mit dem KGB in Konflikt, weil er einen Film von | |
[3][Solidarność-Mitglied Andrzej Wajda] zeigte. Zur Jahrtausendwende | |
demonstrierte er gegen den korrupten ukrainischen Präsidenten Kutschma, war | |
bei den Maidan-Protesten 2004 und 2005 sowie 2013 und 2014 dabei. | |
Das Hauptinstrument der Einflussnahme auf die Medien sei der Rundfunk- und | |
Fernsehrat, sagt Schtekel. Der wurde nach dem Ende der Sowjetunion in den | |
1990er Jahren gegründet, seine Aufgabe ist die Zuteilung von | |
Sendefrequenzen. Als 2002 Präsident Wiktor Janukowytsch an die Macht kam, | |
ließ er hier seinen Einfluss spüren. Während er regierte, konnte man von | |
diesem Rat nur Sendefrequenzen erhalten, wenn man seinem Umfeld angehörte. | |
Das sollte sich durch den Sieg des Maidan 2014 ändern. Doch als die Ukraine | |
in den ersten Wahlen nach den Protesten Petro Poroschenko zum Präsidenten | |
wählte, kamen neue Gesetze dazu. Mit seinem Amtsantritt habe der Nationale | |
Rat für Fernsehen und Rundfunk auch inhaltlich Einfluss genommen, sagt | |
Schtekel. Ab 2016 sei dieser Rat das Instrument geworden, mit dem | |
Poroschenko das Verbot der russischen Sprache in Rundfunk und Fernsehen | |
durchsetzte. | |
Schtekel war zu der Zeit Leiter eines kleinen Verlages und eines | |
Nachrichtenportals, beide erschienen überwiegend russischsprachig. Nach den | |
neuen Gesetzen mussten alle Veröffentlichungen nun auch auf Ukrainisch | |
erscheinen. „Das machte den Betrieb untragbar – die Kosten für | |
Übersetzungen waren gerade für kleinere Nachrichtenportale nicht | |
erschwinglich“, erinnert sich Schtekel. | |
Ende 2020, inzwischen war Selenskyj Präsident, wurde das Mediengesetz neu | |
verfasst. Doch die neue Fassung war so umstritten, dass der Gesetzentwurf | |
lange nicht zur Abstimmung vorgelegt wurde. Auch Schtekel kämpfte dagegen, | |
organisierte in Odessa Mahnwachen, 50 Journalist*innen unterschrieben | |
einen Aufruf gegen das geplante Gesetz. In einer Rede vor dem ukrainischen | |
Parlament warnte Schtekel vor dem Gesetzentwurf. | |
Mit dem Beginn der russischen Invasion waren allerdings Einigkeit und der | |
Kampf gegen „Desinformation“ angesagt, so Schtekel. Und was Desinformation | |
ist, entschieden nun staatliche Stellen. Im Dezember 2022 wurde das Gesetz | |
verabschiedet und der Rat erhielt das Recht, zusätzlich auch Online-Seiten | |
zu kontrollieren. | |
## Russische Sprache bleibt für viele wichtig | |
Schtekel engagiert sich auch gegen die Umbenennung von Straßen mit | |
russischen Namen und gegen den Abriss von Denkmälern. Gemeinsam mit 116 | |
Prominenten unterzeichnete er einen offenen Brief an die Unesco, in dem er | |
die Institution darum bat, sich in dieser Sache zu engagieren. | |
Für viele Ukrainer*innen, besonders in Odessa, bleibe die russische Sprache | |
ein geschätzter Teil ihrer Kultur. „Die russische Sprache zu lieben, | |
bedeutet keineswegs, Russland zu lieben. Man kann Russisch lieben und | |
zugleich Putin hassen“, betont Schtekel. Das Tragische an den Umbenennungen | |
sei, dass Bürger*innen nicht befragt würden, die Namensänderungen von | |
oben angeordnet seien. Und dass auch viele Straßen betroffen seien, die | |
Namen von Personen trugen, die ein kulturelles Symbol von Odessa seien. | |
Es schmerze ihn, dass ausgerechnet die Namen Alexander Puschkins, Isaak | |
Babels und Wladimir Wysotzkis aus dem Stadtbild verschwinden sollten. Sein | |
Unverständnis erklärt er so: „Babel wurde unter Stalin erschossen, Puschkin | |
wegen seiner Kritik am Zaren nach Odessa verbannt, Ilja Ilf und Jewgeni | |
Petrow machten sich in ihrer Literatur über die Sowjetunion lustig.“ | |
Aktuell fürchtet Schtekel auch ein Verbot von Telegram. Das Chatprogramm | |
sei zu einer der wenigen Plattformen geworden, auf der unabhängige | |
Informationen verfügbar seien. Die Entwicklung könnte seiner Befürchtung | |
recht geben. Seit Anfang November verbieten führende Universitäten die | |
Nutzung von Telegram. Und ein neuer Gesetzentwurf sieht ein Verbot von | |
Telegram in staatlichen Instituten vor. | |
Es sei nicht einfach, in der Ukraine oppositionelle Meinungen zu äußern, | |
sagt Schtekel noch. „Augenblicklich erleben wir eine | |
Einschüchterungskampagne gegen die, die sich gegen die Namensänderungen | |
ausgesprochen haben.“ Nachdem er mit einigen Gleichgesinnten auf der Straße | |
drei Protestaktionen durchgeführt habe, würden sie über Facebook mit Mord, | |
Schlägen und Racheakten bedroht. | |
27 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Pressefreiheit-im-Ukraine-Krieg/!6004594 | |
[2] https://www1.wdr.de/mediathek/audio/wdr5/wdr5-toene-texte-bilder-beitraege/… | |
[3] https://de.wikipedia.org/wiki/Andrzej_Wajda | |
## AUTOREN | |
Bernhard Clasen | |
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