# taz.de -- Asiatische russische Republiken: „Nichts über uns ohne uns beric… | |
> Die Berichterstattung über Russland bleibt im Inland und Ausland stark | |
> zentralisiert. Das Medium Republik_spricht kämpft mit dekolonialem | |
> Narrativ dagegen an. | |
Bild: Auf dem Leninplatz von Elista, der Haupstadt von Kalmückien | |
Der Geschichte der asiatischen Republiken Russlands wird relativ wenig | |
Aufmerksamkeit geschenkt. Noch weniger Aufmerksamkeit wird der Vermittlung | |
ihrer Geschichte an die breite Bevölkerung gewidmet. Dies trägt dazu bei, | |
dass der Zugang zu ihr und das Wissen über sie erschwert wird. Historisches | |
Wissen kann zum Verständnis der eigenen Identität beitragen. Das ist für | |
uns besonders wichtig. Wir sind Vertreter der „kleinen“ Völker Russlands, | |
unsere Kulturen wurden und werden systematisch „russifiziert“, und wir | |
selbst sind regelmäßig rassistischer und nationaler Diskriminierung | |
ausgesetzt. | |
Der [1][Podcast Republik_spricht] ist Russlands erstes Audioprojekt, das | |
sechs asiatischen Republiken eine eigene Stimme gibt: Kalmückien, | |
Burjatien, der Tuwinischen Volksrepublik, der Republik Sacha, Chakassien | |
und Altai. Der Name ist eine Anspielung auf den staatsnahen russischen | |
Radiosender Moskau_spricht. Jede unserer Podcastfolgen ist einer der | |
asiatischen Republiken gewidmet. Es gibt Experteninterviews und Gespräche | |
mit Menschen aus diesen Republiken. Auf Russisch oder in ihrer | |
Muttersprache berichten sie über ihre Heimat, ihr Zuhause, die Familie, | |
über Traditionen und Rituale und vor allem auch über ihre Geschichte. Denn | |
über diese zu sprechen und sich an sie zu erinnern, ist heute wichtiger | |
denn je. | |
Die Medienplattform Republik_spricht hat als unabhängiges Medium Ende | |
Dezember 2022 in Deutschland begonnen. Aufgrund der Arbeit meines Mannes | |
hatten wir lange Zeit überlegt, nach Deutschland zu ziehen. Dann brach der | |
Krieg in der Ukraine aus. Im März 2022 zogen wir dann nach Berlin und ich | |
habe mich in den ersten Monaten auf die Unterstützung und Hilfe von | |
Geflüchteten aus der Ukraine am Berliner Hauptbahnhof fokussiert. | |
## Das Ziel: antikoloniale und humanistische Werte verbreiten | |
Irgendwann bin ich in Kontakt mit Antikriegsinitiativen aus Russland | |
gekommen und mir wurde klar, wie wichtig es ist, die Menschen aus den | |
asiatischen Republiken mit Informationen zu versorgen und auch | |
antikoloniale, humanistische Werte zu verbreiten, die uns selbst, den | |
Menschen aus diesen Republiken, besonders wichtig sind. Denn nach dem | |
russischen Überfall auf die Ukraine gab es viele Narrative in den Medien, | |
die vorrangig rassistische Perspektiven auf die asiatischen Republiken | |
verbreiteten, falsche Vorstellungen und verfestigte Stereotype. | |
Das ist natürlich nichts Neues. Bereits vor dem Angriffskrieg war Russland | |
extrem rassistisch gegenüber diesen Republiken im asiatischen Teil des | |
Landes eingestellt. Ich habe selbst acht Jahre in Moskau gelebt, und es kam | |
vor, dass die Leute mich fragten, ob ich ein Messer dabei hätte. Sie halten | |
uns für Barbaren, während unsere Stimmen in den Medien kaum auftauchen. | |
Stattdessen bekommen wir immer nur die Perspektive der in Moskau ansässigen | |
Journalist*innen geboten – nicht nur in den russischen Medien, sondern | |
auch in den westlichen. Das zentralisierte russische Narrativ wird im | |
Ausland in der Regel einfach übernommen, manchmal unbewusst, und weiter | |
verbreitet – dabei ist es ein [2][koloniales Narrativ]. | |
Der Podcast Republik_spricht ist ein besonderes Medienformat. Unsere | |
Zielgruppe sind ganz bewusst die Bewohner*innen der asiatischen | |
Republiken. Wir wollen sie daran erinnern, wer sie sind. Denn die russische | |
Geschichte wird gerade umgeschrieben. Offiziell steht in den Schulbüchern, | |
was auch die russischen Medien berichten: dass diese Republiken angeblich | |
freiwillig entschieden haben, Teil der Russischen Föderation zu werden. Wir | |
dagegen verteidigen ein dekoloniales Narrativ, wir wollen unsere Geschichte | |
zurück. | |
## Noch nicht von der Zensur betroffen | |
Im Vergleich zu anderen Teilen Russlands sind die asiatischen Regionen | |
relativ arm, der antikoloniale Aktivismus bleibt hier extrem wichtig. Klar | |
ist es schwierig, die Menschen zu erreichen und sie dazu zu bewegen, sich | |
zu engagieren, wenn das Hauptproblem das Überleben ist. | |
In meiner Republik, in Tuwa, beispielsweise ist die Wirtschaft traditionell | |
fast ausschließlich eine Nomadenwirtschaft, und nach jedem kalten Winter | |
kommt es zu hohen Verlusten an Nutztieren. Doch trotz dieser | |
Schwierigkeiten bleiben wir handlungsfähig – und das kann uns auch keiner | |
wegnehmen. | |
Bisher wurden wir von der russischen Regierung weder als ausländische | |
Agenten noch als unerwünschte Organisation eingestuft, wie andere russische | |
Exilmedien, zum Beispiel Meduza, Novaya Gazeta oder Doxa. Um nicht verboten | |
zu werden, meiden wir Inhalte über den Krieg. Nach etwa 20 Episoden | |
betrachtet Moskau uns als eine Plattform, die weniger politisch ist als | |
vielmehr Menschen miteinander vernetzt. Trotzdem bleibt unser Projekt ein | |
aktivistisches und führt zu Veränderungen. Einmal im Monat gibt es einen | |
Online-Kinoclub von uns, und wir zeigen Filme, die in Russland teilweise | |
verboten sind. Demnächst wird es auch einen Online-Leserclub geben – denn | |
seit Kriegsbeginn werden kritische Bücher in Russland verboten. Die | |
Menschen suchen nach sicheren Umgebungen, in denen sie offen diskutieren | |
können. | |
## Finanzierung bleibt die Herausforderung des Exilmediums | |
Der Podcast Republik_spricht wird hauptsächlich in Berlin produziert, | |
unterstützt von einem Netzwerk an Korrespondent*innen aus den | |
asiatischen Regionen. Darüber hinaus schicken uns die Menschen | |
Sprachnachrichten, auf Russisch oder in ihrer Muttersprache wie | |
Kalmückisch. Unsere Hörer*innen erreichen uns über Telegram, YouTube, | |
Spotify, Apple Podcast, Google Podcasts, Yandex, Instagram, VKonatkte und | |
Odnoklasniki. Wir bieten ihnen auch die Möglichkeit an, an kostenlosen | |
Schulungen zur Erstellung von Podcasts teilzunehmen. Ich habe gemerkt, wie | |
groß das Interesse an einem solchen Angebot ist. Relativ schnell wurde | |
unsere Reichweite dann größer, weil die Menschen den Podcast mit Freunden | |
und Familien teilen. | |
Wie für viele Exilmedien ist die Finanzierung eines unserer größten | |
Probleme. Denn es gibt nur wenig Möglichkeiten der Förderung für | |
Exilmedien. Darüber hinaus ist unser Projekt im Vergleich zu großen und | |
bekannten [3][russischen Exilmedien] wie [4][Meduza] und Doschd viel | |
kleiner. Gleichzeitig ist die Thematik, über die wir schreiben, unpopulär. | |
Wer interessiert sich überhaupt für die Perspektive der Dekolonialisierung | |
und weiß, was das ist? Geldgeber und die Medienwelt verhalten sich extrem | |
zurückhaltend, wenn es darum geht, solche dekolonialen Projekte zu | |
unterstützen. | |
Nun gibt es ein bisschen Bewegung und Hoffnung. Ende Februar wurde im | |
Europaparlament eine Resolution verabschiedet, nach der | |
Entimperialisierung, Dekolonisierung und Reföderalisierung notwendige | |
Voraussetzungen für die Errichtung einer Demokratie in Russland sind. Doch | |
kaum ein Medium hat darüber berichtet. Das passiert immer wieder: die | |
dekoloniale Perspektive wird einfach ignoriert. Auch andere große russische | |
Exilmedien haben das ignoriert, obwohl wir alle im selben Boot sitzen. | |
Unser Projekt bleibt deshalb so wichtig, weil sonst keiner über uns | |
berichtet. | |
Die Autorin ist eine freie Journalistin und dekoloniale Aktivistin aus der | |
Tuwinischen Volksrepublik, die jetzt in Berlin wohnt. Sie ist die Gründerin | |
und Moderatorin des Podcasts Republik_spricht | |
Russland: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 162 | |
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage | |
der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der | |
Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [5][hier]. | |
4 May 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://linktr.ee/re.public_speaking | |
[2] /Dekolonisierung-der-russischen-Sprache/!5941267 | |
[3] /Meduza-Gruenderin-ueber-Exil-Journalismus/!5940622 | |
[4] /Unser-Fenster-nach-Russland/!t5916992 | |
[5] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/ | |
## AUTOREN | |
Dankhaia Hovalig | |
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