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# taz.de -- Pressefreiheit im Ukraine-Krieg: Hinter den Kulissen des Krieges
> Korruption läuft in der Ukraine weiter, Journalisten geraten unter
> Druck. Lokale Produzenten riskieren ihr Leben im Auftrag internationaler
> Medien.
Bild: Ein Screenshot des Films „Fixers in Wartime“ zeigt Kirill bei der Arb…
Perugia/Berlin taz | „Ist die Wahrheit das erste Kriegsopfer?“ So lautet
ein Panel mit drei ukrainischen Journalist*innen, die Mitte April beim
[1][internationalen Journalismus-Festival in Perugia] in Italien über
Pressefreiheit im Krieg berichten. „In den ersten Kriegsmonaten herrschte
in der Ukraine eine ziemlich einheitliche Berichterstattung in allen
Medien“, erzählt Segil Musaieva, Chefredakteurin der Online-Zeitung
[2][Ukrayinska Pravda].
Von einer Art staatlichem Informationsmonopol spricht Natalie Sedletska,
die Chefredakteurin der ukrainischen Rechercheplattform [3][Schemes], eines
Projekts des von den USA finanzierten Radio Free Europe/Radio Liberty
(RFE/RL). Vor dem Ukrainekrieg recherchierte Sedletska hauptsächlich zu
Korruption, später mehr über Kriegsverbrechen in der Ukraine. „Nach einer
Weile haben wir den Fokus unserer Recherchen wieder auf Korruption gelegt.“
Doch das immer noch geltende Kriegsrecht erschwere das, sagt Sedletska vor
den internationalen Journalist*innen in Perugia. „Eine rote Linie wurde
überschritten“, fügt Olga Rudenko, Chefredakteurin von [4][The Kyiv
Independent], hinzu, als sie über eines der jüngsten Beispiele von
Überwachung ukrainischer Journalist*innen berichtet.
Besonders erschütternd ist der Fall der ukrainischen Plattform
[5][Bihus.info]: Ihre Journalist*innen wurden vom ukrainischen
Sicherheitsdienst mit versteckten Kameras bei der Party in einem Hotel
überwacht. Dreißig Beamte waren involviert. Im Nachhinein musste Sedletska
feststellen, dass die Öffentlichkeit sich mehr um den Ruf des ukrainischen
Sicherheitsdienstes (SBU) sorgte, als an Aufklärung interessiert zu sein.
„Dass es ein Angriff auf die Pressefreiheit war, wurde gar nicht
thematisiert“, beschwert sich Sedletska.
Mithilfe des Kriegsrechts haben ukrainische Sicherheitskräfte in den
letzten Monaten Journalisten auch mit der Einberufung an die Front gedroht.
So jüngst geschehen im Fall der Investigativplattform [6][Slidstvo.info].
Am Abend vor der Veröffentlichung einer Recherche zu Korruptionsvorwürfen
gegen den Leiter der Cybersicherheiteinheit beim SBU wurde ein beteiligter
Investigativjournalist in einem Supermarkt in Kyjiw angesprochen und ihm
das Einberufungsschreiben vor Ort persönlich ausgehändigt.
## Ukrainische Journalisten in Russland inhaftiert
Viel wurde in den ukrainischen Medien in den vergangenen Wochen indes über
die Verhaftung von ukrainischen Journalist*innen berichtet, die nach
Russland überstellt werden. Ein Beispiel: [7][Serhiy Tsyhypa]. Er wurde in
einem angeblichen „Spionagefall“ auf der von Russland annektierten Krim
verurteilt.
Seine Frau, die ihn seit zwei Jahren nicht gesehen hat, sprach darüber bei
der OSZE und im Europarat und ist dazu auch im Kontakt mit dem
Internationalen Roten Kreuz. Trotz ihrer Bemühungen ist ihr Ehemann noch in
Haft. Zivile Gefangene können im Gegensatz zu militärischen auf staatlicher
Ebene nicht ausgetauscht werden. In Russland wurden allein in den letzten
zwei Monaten rund 20 russische Journalist*innen festgenommen, verhaftet
oder verurteilt.
Auf einem anderen Panel des International Journalism Festival in Umbrien
tritt der italienische Fotoreporter [8][Lorenzo Tondo] auf: „Ich kann in
der Ukraine ohne Zensur arbeiten, aber ich vermute, das geht nur, weil ich
nicht über die Korruption im Lande berichten will.“ Für den erfahrenen
Reporter bedeutet Journalismus im Krieg vor allem Leid und Schmerz. „Es
wird zu wenig über die Traumata der Kriegsberichterstatter gesprochen.“
Dann regt sich der Fotograf über Desinformationskampagnen zum Ukrainekrieg
in der italienischen Presse auf: „Ich war in Butscha und Irpin, die Bilder
sprechen für sich und zeigen die Wahrheit. Keiner kann sie verleugnen.“
Doch weil das immer wieder versucht werde, fühle er sich manchmal ziemlich
frustriert.
Ohne lokale Helfer*innen, auch „Fixer*innen“ genannt, können
internationale Reporter wie Tondo ihre Arbeit im Ukrainekrieg nicht
erledigen. Menschen wie Andrii Kolesnyk und Kyrylo Sirchenko. Beide sind
keine 30 Jahre alt – und erst im Februar 2022 Fixer geworden. Nach über
zwei Jahren Krieg haben sie gute Kontakte zu Medien aus der ganzen Welt.
Reporter ohne Grenzen (RSF) begleitete die zwei in dem Dokumentarfilm
[9][„Fixers in Wartime – The invisible Reporters“] und lud sie Ende März
zur Premiere nach Berlin ein – als junge ukrainische Männer brauchten sie
eine Sondergenehmigung, um überhaupt das Land verlassen zu dürfen.
„Als der Angriffskrieg begann, wollte ich etwas gegen meinen Stress und
meine Ängste tun. Gleichzeitig wollte ich den ausländischen
Journalist*innen helfen“, sagt Kolesnyk in Berlin. Für Medienschaffende
wurde die Ukraine in drei Zonen aufgeteilt. Die grüne: ohne
Einschränkungen, die gelbe: nur in Begleitung von Presseoffizieren, und die
rote: ganz verboten für Journalist*innen. „Nur im Süden der Ukraine ist
es unmöglich, über militärische Angelegenheiten zu berichten – so wurde es
uns von den lokalen Behörden stets kommuniziert“, fügt Kolesnyk hinzu. Er
kann gut nachvollziehen, dass die ukrainische Regierung von Wolodymyr
Selenskyj ihre Informationskamapgnen aus Sicherheitsgründen genau zu
steuern versucht.
## Auch im Krieg im eigenen Land wachsam bleiben
Für Kolesnyks Kollege Kyrylo Sirchenko bedeutet der Job als lokaler Helfer
vor allem einen Risikozustand, den er sonst so nicht erlebt. „Meine engsten
Freunde sind jetzt an der Front. Ich gehe als Fixer ein anderes Risiko ein,
indem ich ausländische Medien an Kriegsschauplätze bringe. Als Held will
ich aber nicht betrachtet werden.“
Beim Journalismus-Festival in Perugia endet Schemes-Chefredakteurin
Sedletska mit der Beobachtung, dass der Journalismus in der Ukraine aktuell
komplett vom Kriegsverlauf abhänge. „Das Schlimmste wäre, den Krieg zu
verlieren. Doch noch schlimmer wäre die russische Besatzung, weil es dann
keine Redefreiheit mehr gäbe“, sagt Sedletska. „Aber auch im Krieg müssen
wir als Journalist*innen wachsam bleiben und die Meinungsfreiheit
schützen.“
Segil Musaieva, Chefredakteurin der Ukrayinska Pravda, erhofft sich
wiederum mehr Pressefreiheit durch den möglichen EU-Beitritt der Ukraine,
die seit 2022 EU-Beitrittskandidatin ist: „Um ein demokratisches und
europäisches Land zu werden, müssen wir für unser Recht auf Pressefreiheit
kämpfen.“
Ukraine: Rangliste der Pressefreiheit: Platz 61
Dieser Artikel ist am 3. Mai 2024 als Teil einer gemeinsamen Sonderbeilage
der taz Panter Stiftung und Reporter ohne Grenzen zum Tag der
Pressefreiheit erschienen. Weitere Infos [10][hier].
3 May 2024
## LINKS
[1] https://www.journalismfestival.com/
[2] https://www.pravda.com.ua/eng/
[3] https://www.rferl.org/Schemes
[4] https://kyivindependent.com/
[5] https://bihus.info/
[6] https://www.slidstvo.info/tags/war/
[7] https://ipi.media/alerts/citizen-journalist-under-arrest-in-crimea-allegedl…
[8] https://www.theguardian.com/profile/lorenzo-tondo
[9] https://www.youtube.com/watch?v=bzC2djhLufI
[10] /Krieg-gegen-die-Medienfreiheit/!vn6008357/
## AUTOREN
Gemma Teres Arilla
## TAGS
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