# taz.de -- Frauenfeindlichkeit: Vor dem Familiengericht sind nicht alle gleich | |
> Mitarbeitende von Gerichten und Jugendämtern hegen Vorurteile gegen | |
> Mütter. Dies schwächt den Schutz der Kinder, wie eine neue Studie zeigt. | |
Bild: Bei Inobhutnahmen des Jugendamts würden „Traumafolgen“ für die Kind… | |
Berlin taz | Kinder und Mütter als familiäre Gewaltopfer finden durch | |
Jugendämter und Familiengerichte kein oder nur unzureichend Gehör. Das | |
belegen die Ergebnisse einer neuen Studie des Soziologen Wolfgang Hammer. | |
Für diese wurden 154 familienrechtliche Fälle ausgewertet, die hiesige | |
Medien zwischen 2008 und 2024 recherchiert haben. Darunter sind 19 Fälle, | |
in denen Kinder und Mütter getötet wurden. | |
In der Studie [1][„Macht und Kontrolle in familienrechtlichen Verfahren]. | |
Eine Analyse medialer Falldokumentationen“ werde ein Muster deutlich, dem | |
eine „systematische Täter-Opfer-Umkehr“ zugrunde liege, heißt es in der | |
Pressemitteilung. Sobald bestimmte Vorannahmen gegenüber Müttern in | |
familienrechtlichen Verfahren angewendet würden, bestehe für Kinder und | |
Mütter „kaum eine Chance“, dieser Deutungsschablone zu entkommen. | |
Zu diesen Vorannahmen gehört unter anderem das sogenannte PAS-Konzept, eine | |
Abkürzung für „Parental Alienation Syndrome“, zu deutsch „elterliches | |
Entfremdungssyndrom“. Es unterstellt betreuenden Elternteilen – meist | |
Müttern – nach einer Trennung aus egoistischen Motiven dem anderen | |
Elternteil – meist Vätern – den Kontakt zu den gemeinsamen Kindern | |
einzuschränken oder zu verwehren. Verweise auf Gewalt durch den Mann und | |
Vater würden vor Gericht nur vorgetragen, um ihm den Kontakt zum Kind zu | |
erschweren. | |
## Fallbeschreibungen teils schwer auszuhalten | |
Zwar hat das Bundesverfassungsgericht 2023 das PAS-Konzept als | |
„überkommenes und fachwissenschaftlich als widerlegt geltendes Konzept“ | |
beschrieben. Dennoch, heißt es nun in der Studie, setze sich die Praxis | |
fort: Die PAS-Vorannahme komme einer „Vorverurteilung der Mutter bei | |
Jugendämtern und Familiengerichten“ gleich. Argumentiert werden in den | |
Verfahren etwa mit einer „Bindungsintoleranz“ der Mutter, die als | |
„Störfaktor“ in der Beziehung des Vaters zum Kind wahrgenommen wird. | |
Zudem bestätigt die Studie die [2][Ergebnisse] der Vorgängerstudie von | |
2022, die unter anderem „Kartellbildungen an Familiengerichten“ | |
festgestellt hatte: An Familiengerichten hätten sich „teils feste Cluster | |
aus Richtern, Verfahrensbeiständen und Gutachtern etabliert, die dauerhaft | |
und folgenschwer zusammenarbeiten“. In den analysierten Fällen seien 49 | |
Inobhutnahmen von „altersgerecht entwickelten, gesunden und gut sozial | |
integrierten Kindern“ dokumentiert, die mit Polizeigewalt und teils | |
gemeinsam mit dem Kindsvater aus ihrem Zuhause, Kindergarten oder ihrer | |
Schule gerissen wurden. So würden „Traumafolgen“ bei den Kindern in Kauf | |
genommen. | |
Die Fallbeschreibungen der Studie sind teils schwer auszuhalten. | |
Beschrieben wird, wie Kinder verzweifelt schreien und sich wehren, wenn sie | |
aus Schulen geholt oder ihren Müttern weggenommen werden, wie sie in langer | |
Heimunterbringung Depressionen und suizidale Gedanken entwickeln, wie sie | |
mit ansehen mussten, wie ihre Mutter erstochen oder mit abgetrennten | |
Gliedmaßen im Müll entsorgt wurde. Die Berichte seien „Dokumentationen des | |
Grauens“, so Studienautor Hammer – dennoch zeigten sie nur die „Spitze des | |
Eisbergs“. Denn Medien berichteten über Familienrechtsfälle meist auf | |
Initiative von Betroffenen. Die wiederum würden sich aus Angst vor | |
negativen Folgen häufig gar nicht erst an sie wenden. | |
## „Black Box Jugendamt“ | |
Das familienrechtliche System, heißt es im Vorwort zur Studie, stehe in | |
Fachkreisen und bei Praktikern seit Jahren in der Kritik: Jugendämter und | |
Familiengerichte seien „Black Boxes“, da die Verfahren nichtöffentlich | |
seien. „Valide Daten sind kaum verfügbar, eine Rechtstatsachenforschung | |
existiert nicht.“ Beides sei auch künftig nicht vorgesehen. Im Gegenteil: | |
Eine Reform, etwa des Kindschaftsrechts, stand an, die auch Regelungen zum | |
Wechselmodell enthalten sollte. Sie wird wohl nun aufgrund des | |
Koalitionsbruchs in dieser Legislatur nicht mehr umgesetzt. | |
„Zwangswechselmodelle“ aber, in die Mütter durch „Drohungen und | |
Entwürdigung“ gezwungen würden, könnten nicht funktionieren. | |
Das Autorenteam der Studie fordert eine sofortige und gründliche | |
Aufarbeitung der Lage in familienrechtlichen Verfahren durch die Politik: | |
Diese sei „unabdingbar“ vor einer Reform des Kindschaftsrechts. | |
19 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.familienrecht-in-deutschland.de/ | |
[2] /Studie-ueber-Trennungspolitik/!5843117 | |
## AUTOREN | |
Patricia Hecht | |
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