# taz.de -- Ost-Preise nur für Wessis: Nur zu Besuch | |
> Mit dem Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis wurden Reportagen aus | |
> Ostdeutschland ausgezeichnet – produziert von Westdeutschen. Das sieht | |
> man den Filmen an. | |
Bild: Lutz van der Horst (links) und Fabian Köster laufen durch Görlitz | |
Der [1][Hanns-Joachim-Friedrichs-Preis] ist einer der renommiertesten | |
deutschen Medienpreise. In diesem Jahr geht er an Eva Schulz und Jan | |
Lorenzen. Am Donnerstagabend wurde er ihnen in Hamburg feierlich verliehen. | |
Den Sonderpreis erhalten Fabian Köster und Lutz van der Horst v[2][on der | |
„heute show“] für „Zwei Besserwessis im Osten“. Alle Preisträger eint… | |
haben Filme über Ostdeutschland gedreht. Und: Alle vier sind Westdeutsche. | |
Den Filmen sieht man das an. Sie zeichnen ein einseitiges Bild und zeigen | |
nur einen kleinen Ausschnitt der Realität. Der Jury unter dem Vorsitz von | |
Sandra Maischberger fiel das nicht auf. Vielleicht, weil unter 43 | |
Mitgliedern nur eine Ostdeutsche ist. | |
Es beginnt schon bei den Filmtiteln. „[3][Die große Angst]“ lautet einer. | |
Unterzeile: „Zukunft in Ostdeutschland?“ Als ob es eine Option ist, keine | |
zu haben. Getextet wird zu Untergangsmusik gern im Konjunktiv: „Wenn so was | |
jetzt in Thüringen und Sachsen auch einträfe, dann wäre das eine | |
Katastrophe.“ Und ein Geschäftsführer sagt: „Wenn die AfD die Regierung | |
stellen würde, das wäre für das Land der Untergang.“ | |
Autor ist der Hamburger Jan Lorenzen. Seine Interviewpartner unter anderem: | |
die österreichische Kabarettistin Lisa Eckhardt, der Münchner Maximilian | |
Steinbeis und der Bamberger Basketballtrainer Florian Gut. „Lokale Stimmen“ | |
kämen „zu Wort“, heißt es in der Begründung der Jury für die | |
Preiswürdigkeit der Doku. Die „gesellschaftliche Spaltung im Osten | |
Deutschlands“ werde gezeigt, „ohne sich dabei gängiger Klischees zu | |
bedienen“. | |
Ausführlich behandelt die Doku Ereignisse der Vergangenheit: „Eine Welle | |
rechtsextremistischer Gewalt. Sie rollt in den 1990er Jahren durch die | |
neuen Bundesländer und hat die Atmosphäre in vielen ostdeutschen Städten | |
und Dörfern bestimmt.“ Von einer „kollektiven Erfahrung einer Generation“ | |
ist zum Bild des Wurfs eines Molotowcocktails die Rede. Der Autor hat in | |
den 90ern in Sachsen gelebt und hält das für übertrieben. Der Soziologe | |
Matthias Quent sagt: „Teilweise sind die Schläger von damals jetzt die | |
Kommunalabgeordneten der AfD in den Parlamenten.“ Das ist möglich. Aber in | |
dieser Klarheit neu. Doch auf eine Nachfrage, ob es Namen dazu gibt, | |
reagiert der Professor der Uni Magdeburg-Stendal leider nicht. | |
## Alles in einen Topf | |
Weiter behauptet der Kommentar: „Gehen oder bleiben? Das war die Frage | |
damals, das ist die Frage heute.“ Es wird der Eindruck erweckt, viele | |
Ostdeutsche hätten ihre Heimat aufgrund der Gewalt verlassen – und nicht | |
aus wirtschaftlichen Gründen. Auch beim Lehrermangel wird ein Zusammenhang | |
zum politischen Klima gezogen. Ohnehin wird alles in einen Topf geworfen, | |
findet kaum eine Unterscheidung zwischen AfD-Wählern und Nazi-Schlägern | |
statt. | |
Das ZDF hat Eva Schulz auf Expedition geschickt. Sie wurde 1990 in NRW | |
geboren. [4][In einem Interview für das RND bekennt Schulz auf die Frage], | |
wie es war, „die Stimmung in Ostdeutschland einzufangen“: „Es war eine | |
steile Lernkurve für mich.“ Das ist eine schöne Umschreibung für: Ich hatte | |
keine Ahnung. | |
Teil 1 des Roadtrips heißt: „Was Thüringen wirklich über Höcke denkt.“ … | |
Film über Thüringen ohne den hessischen Geschichtslehrer scheint | |
unvorstellbar. „Wird Björn Höcke bald Ministerpräsident in Thüringen?“, | |
raunt Schulz. Einen Organisator eines antifaschistischen Musikfestivals | |
fragt sie: „Wählen die diese Partei wegen Höcke oder trotz Höcke?“ Antwo… | |
„Es sind wirklich solche kleinen Führergedanken“ Die Frage ist berechtigt. | |
Nur wäre sie an einen Parteienforscher zielführender adressiert. | |
Folge 2 heißt: [5][„Wie Sachsen zerreißt“]. Schulz sitzt viel im Studio u… | |
reiht Behauptungen aneinander: „Das politische Klima ist in den letzten | |
Jahren merklich rauer geworden.“ Andersdenkende „leben in Sachsen besonders | |
gefährlich.“ Oder: „Immer wieder ist es Sachsen, wo Proteste besonders | |
heftig sind.“ Dazu läuft eine Frau mit einer Fahne mit Friedenstaube durch | |
das Bild. Schulz sieht „so viel Hass und Misstrauen“ und „die Gesellschaf… | |
sei gespalten: „Ein Bundesland, das beispielhaft für diese Entwicklung | |
steht, ist Sachsen.“ Das hat sie in Folge 1 über Thüringen auch schon | |
gefragt: „Warum ist ausgerechnet dieses Bundesland so gespalten?“ | |
## Was ist mit rechts gemeint? | |
Auch Begrifflichkeiten bleiben nebulös: „Sind sie rechts?“, fragt Schulz | |
einen Mann auf einer AfD-Demo in Thüringen. Und in der Sachsenfolge heißt | |
es, man habe „jemanden gefunden“, „der sich selbst rechts verortet“. Was | |
ist mit rechts gemeint? Rechtsradikal? Konservativ? | |
Der Chemnitzer Stadtteil Sonnenberg wird im Film als „Mischung aus | |
Nazi-Zone und Migra-Kiez“ bezeichnet. Wie viele Chemnitzer werden wissen, | |
was gemeint ist und sich wiedererkennen? Dann behauptet der Journalist | |
Martin Debes: „Die Angst, Status und Wohlstand zu verlieren, ist in | |
Ostdeutschland besonders ausgeprägt.“ Kann man nicht nur etwas verlieren, | |
was man auch besitzt? | |
Auf der Internetseite des Hanns-Joachim-Friedrichs-Preises prangt das dem | |
Namensgeber zugeschriebene Zitat: „Einen guten Journalisten erkennt man | |
daran, dass er sich nicht gemein macht mit einer Sache, auch nicht mit | |
einer guten Sache.“ Eva Schulz bietet dreimal 30 Minuten | |
Anschauungsunterricht des Gegenteils. | |
Den einen bringt sie Baklava, Offenheit und Fröhlichkeit mit. Den anderen | |
Vorurteile, Belehrungen und Misstrauen. Von journalistischer Distanz ist im | |
„Internationalen Zentrum für Demokratie und Aktion“ in Chemnitz, nichts zu | |
spüren. Suggestivfrage an die Vorsitzende Fatima Majed: „Würdest du sagen, | |
die deutsche Gesellschaft ist gut darin, sich in Leute hineinzuversetzen, | |
die anders sind?“ Antwort: „Nein.“ Gleiches Spiel beim „Rock am Berg“… | |
südthüringischen Merkers: gemeinsames Rauchen, Lachen und Grillen. Bei der | |
Freiwilligen Feuerwehr in Fredersdorf macht Schulz gleich bei der | |
Löschübung mit. Dann fragt sie: „Man sagt ja manchmal auch, dass solche | |
Vereine, Ehrenamtliche oder auch Kirchen, Parteien, so der Kitt der | |
Gesellschaft sind. Würdest du das auch so sehen?“ Reaktion des | |
Feuerwehrmanns: „Auf jeden Fall“ Anderen Protagonisten widerspricht Schulz | |
dagegen, zuvor wurden deren Social-Media-Accounts geprüft. Ihre Abneigung | |
ist spürbar. Auf einer AfD-Wahlveranstaltung sieht man Schulz in | |
Nahaufnahme mit besorgter Miene. | |
## „Statement für Qualitätsjournalismus“ | |
Teil 3 behandelt Brandenburg. Hier herrsche „so ein richtiger | |
Abwärtsstrudel“. Und: „In Eisenhüttenstadt sieht es wirklich fast noch | |
genauso aus wie vor der Wende.“ Schulz macht ein entsetztes Gesicht und | |
stellt fest: „Aber geboten wird hier eher wenig.“ Bevor sie fragt: „Warum | |
hauen dann trotzdem alle ab?“ Für die Jury ist der Film ein Beitrag „zum | |
kritischen Fernsehjournalismus“. Die Auszeichnungen mit 2.500 Euro versteht | |
die Jury „als Statement für Qualitätsjournalismus“. | |
53 Journalisten haben den Hanns-Joachim-Friedrichs–Hauptpreis bisher | |
erhalten. Von Ina Ruck und Anja Reschke über Oliver Welke [6][und Denis | |
Scheck] bis zu Claus Kleber und Anne Will. Maybrit Illner war die einzige | |
Ostdeutsche. Vor 24 Jahren. Auf Nachfrage sagt der stellvertretende | |
Vorsitzende Mathias Werth: „Wenn im Journalismus Leute mit Ostbiografie | |
fehlen, dann müsste diesem Probleme von den Sendern begegnet werden. Dort | |
fallen diese Entscheidungen.“ | |
Bei anderen deutschen Medienpreisen sieht es ähnlich aus: ostdeutsche | |
Journalisten werden sehr spärlich hervorgehoben, sie sitzen selten in der | |
Jury. Ab und zu werden allerdings Werke über den Osten geehrt. Westdeutsche | |
Redakteure berichten dann einem westdeutschen Publikum und werden dafür von | |
westdeutschen Juroren ausgezeichnet. | |
In einer früheren Version des Textes stand, dass Lorenzen auch mit den | |
Beatsteaks gesprochen habe. Das ist korrekt. Allerdings wurde die Band | |
fälschlicherweise als „Westberliner“ Punkband bezeichnet. Die Band gründe… | |
sich erst 1995, also nach der Wiedervereinigung. Die Mitglieder stammen aus | |
dem ehemaligen Ost- und Westdeutschland. | |
17 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.hanns-joachim-friedrichs.de/ | |
[2] /10-Geburtstag-der-heute-show/!5595077 | |
[3] https://www.ardmediathek.de/video/die-grosse-angst/die-grosse-angst-zukunft… | |
[4] https://www.rnd.de/politik/eva-schulz-erforscht-ostdeutschland-warum-viele-… | |
[5] https://www.zdf.de/politik/deutschland-warum-bist-du-so/eva-schulz-geht-der… | |
[6] /Sparen-bei-Kulturprogrammen/!6019080 | |
## AUTOREN | |
Alexander Teske | |
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