# taz.de -- Die Kunst der Woche: Im Bild der Bewegung | |
> Mit Blick auf Schwarzes Wissen lässt Rene Matić Bilder ineinander fluten. | |
> Ryan Gander kollaboriert mit seinem Sohn und übersetzt Wahrnehmung in | |
> Raum. | |
Bild: Blick in Ryan Ganders Ausstellung „This Is Feeling All Of It“ | |
Wie in ein Kaleidoskop unserer Zeit blickt man auf die Fotoserien Rene | |
Matićs (*1997 in Großbritannien). Knutschende queere Paare treffen da auf | |
Bilder von Straßenprotesten und Graffiti, auf Aufnahmen von Jesus am Kreuz, | |
von Blumensträußen, die an Gewalttaten erinnern, und solchen von | |
exaltierten Partys. Von der Gleichzeitigkeit, dem Nebeneinander der | |
Lebensentwürfe, der Emotionen, Ereignisse und Konfliktlinien erzählen sie, | |
Race, Gender und Klasse schwingen oft mit. Am 8. November eröffnete „As | |
Opposed To The Truth“ bei [1][CCA Berlin], zufällig, doch die aktuellen | |
Geschehnisse hallen in den Bildern und Installationen nach. | |
Schwarzen Puppen begegnet man im ersten Raum. Verwahrloste, teils | |
zerbrochene Spielzeuge, die Matić neu eingekleidet, frisiert, | |
zurechtgemacht hat. Eine fürsorgliche Zuwendung, die Matićs Vater, dem das | |
fortlaufende Projekt „Restoration“ gewidmet ist, als Kind verweigert wurde, | |
der Missbrauch und Rassismus erfuhr, zeitlebens mit seiner Identität | |
haderte. | |
Auch Flaggen sind ein Thema, das Matić seit einiger Zeit umtreibt, als | |
Symbole der Zugehörigkeit wie Abgrenzung. Widersprüchlich zeigt sich auch | |
die Flagge, die in der Ausstellung hängt: „No Place“ steht vorn, „For | |
Violence“ hinten darauf. Joe Biden und Barack Obama werden damit zitiert, | |
deren Satz nach dem Anschlag auf Donald Trump, es gäbe „in unserer | |
Demokratie keinen Platz für Gewalt“, in dem sich für Matić die | |
Einseitigkeit westlicher politischer Rhetorik manifestiert. | |
Die Soundarbeit „365“ wiederum nimmt Bezug auf den Ort, auf die | |
Kaiser-Gedächtnis-Kirche und deren spezielle Geschichte, in deren Anbau | |
sich das CCA befindet, Chorgesänge und Kirchenglocken sind zu hören, | |
Nachrichtenmitschnitte, Texte von James Baldwin und bell hooks und | |
Protestrufe. Ganz zum Schluss singt Rihanna ihren Song „Lift Me Up“. | |
Vielleicht ist es ja doch die Liebe, die uns alle vereinen kann? | |
## Zeit und wie man sie füllen kann | |
Spielzeuge gibt es auch bei [2][Esther Schipper] derzeit zu sehen. Einen | |
ganzen Teppich an kleinen bunten Plastikfigürchen und Spielsteinen hat Ryan | |
Gander dort ausgelegt, fein säuberlich aneinandergereiht. Eine Art Porträt | |
seines autistischen Sohnes kann man darin lesen, der sich so mit Vorliebe | |
mit diesen beschäftigt, oder auch der Beziehung zwischen Vater und Sohn, | |
die sich in der Wahrnehmung ihrer Umgebung und ihrem Umgang damit massiv | |
unterscheiden: auf Sprache und Artikulation ausgerichtet der eine, auf | |
Körper und Bewegungen der andere. | |
Auch die große aus Postkarten zusammengesetzte Wandarbeit zeigt den Sohn – | |
und dessen ständiges In-Bewegung-Seins. Ein 20-Sekunden Scan übersetzt | |
dieses in das Rendering einer nie ausgeführten Marmorskulptur, das wiederum | |
auf die 2D-Postkarten ausgedruckt wurde. Eine Figur ist darin nicht zu | |
erkennen, eher eine Wolke, die Abstraktion einer Bewegung. | |
Im Gegensatz dazu steht – besser gesagt liegt – eine animatronische Puppe | |
in der anderen Ecke des Raumes. Sie sieht aus wie der Künstler selbst, | |
lehnt sich auf Müllbeutel, grantelt vor sich hin, bewegt den Kopf beim | |
Sprechen ganz ohne Gegenüber. Die schlechteste Version seiner selbst sei | |
sie, so Gander, eine, die nach Aufmerksamkeit heischt, auf sich selbst | |
fokussiert ist ohne Bezug zu den Menschen um ihn herum. | |
Zeit und die Frage, wie diese gefüllt wird, wie mit der Fülle an Ablenkung | |
und mit Langeweile umgegangen werden kann, darum geht es auf die eine oder | |
andere Art und Weise bei allen ausgestellten Arbeiten. Um die Reize, die | |
auf uns einprasseln und um das Warten darauf, das etwas passiert. | |
So denn auch bei der AI-VR-Simulation „Ryan Waiting“, die durch durch HTCs | |
Kunstinitiative VIVE Arts mitbeauftragt wurde und bei der man wahlweise | |
über eine entsprechende Brille oder auf Monitoren den Künstler bzw. ein | |
3D-Modell des Künstlers beobachten kann. Viel Bemerkenswertes tut sich da | |
nicht, nur ein paar Runden mit seinem Rollstuhl dreht er. Warten ist | |
schließlich nicht die Spannendste aller Tätigkeiten, weder für den VR-Ryan | |
noch für sein Publikum. Ganz sehen wird man die Arbeit ohnehin nie. | |
Ausgelegt ist sie auf 100 Jahre. So viel zum Thema Zeit und deren Vertreib. | |
17 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://cca.berlin/de/ | |
[2] https://www.estherschipper.com/exhibitions/#current | |
## AUTOREN | |
Beate Scheder | |
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