# taz.de -- St.-Pauli-Präsident über Genossenschaft: „Wir legen uns ganz be… | |
> Ab Sonntag verkauft der FC St. Pauli Anteile an seiner | |
> Fußball-Genossenschaft. Oke Göttlich erklärt die Vorzüge gegenüber | |
> Investoren. | |
Bild: St. Pauli Fans im Millernstorstadion in Hamburg am ersten Spieltag der Bu… | |
taz: Herr Göttlich, ist der FC St. Pauli in der Bundesliga angekommen? | |
Oke Göttlich: Die Mannschaft hat bewiesen, dass sie mithalten kann. Wir | |
bemühen uns eben, das ökonomische Defizit spielerisch auszugleichen. | |
taz: Welches Defizit? | |
Göttlich: Wir haben 13 Jahre nicht Bundesliga gespielt, in turbodynamischen | |
Jahren. Es gab wahnwitzig hohe Einnahmesteigerungen aus den | |
internationalen Wettbewerben. Und der nationale Verteilungsschlüssel | |
ist einseitig darauf ausgerichtet, dass die oberen fünf bis acht die Liga | |
finanziell dominieren und die anderen immerhin noch mitspielen dürfen. Uns | |
fehlen allein knapp 30 Millionen Euro pro Jahr, die [1][Klubs wie Mainz] | |
oder Augsburg für ihren Spielerkader mehr zur Verfügung haben. | |
taz: Und jetzt [2][gründen Sie eine Genossenschaft], die einmalig 30 | |
Millionen aufbringen soll? | |
Göttlich: Um da gleich Wasser in den Wein zu gießen: Was wir mit der | |
Genossenschaft einwerben, wird nicht in den Kader fließen. Es soll dem | |
Verein helfen, sich mittel- und langfristig zu entschulden, um dann | |
Investitionen zu ermöglichen. | |
taz: Akut bringt das nichts? | |
Göttlich: Doch, eine geringere Zinslast. Aber das sind nicht die großen | |
Sprünge hin zu 30 Millionen per annum. Das bekommt man nur hin, wie es der | |
SC Freiburg immer wieder vormacht: mit Kontinuität und eigenen Talenten und | |
entwicklungsfähigen Spielern viel zu machen und sie dann weiterzuverkaufen. | |
taz: Können Sie das Kapital nicht aus dem Fußball erwirtschaften? | |
Göttlich: Der FC St. Pauli hat Fesseln, die wir uns ganz bewusst selbst | |
anlegen, die wir zum Teil auch vermarkten – was uns Manche als | |
Scheinheiligkeit vorwerfen. Diese vermeintliche Scheinheiligkeit kostet uns | |
5 Millionen Euro im Jahr. Und das machen wir gern, weil wir ein | |
mitgliedergeführter Verein sind. Diese Community ist uns viel wert, weil | |
sie uns als Fußballstandort St. Pauli so viel gegeben hat. | |
taz: Mehr als in anderen Klubs? | |
Göttlich: Die Fans haben den FC St. Pauli in seiner jetzigen Form | |
begründet. Dafür zeigen wir uns dankbar, indem wir seit zehn Jahren an der | |
demokratischsten, partizipativsten, gemeinwohlähnlichsten Organisationsform | |
rumdenken – [3][der Genossenschaft]. Wie kommen wir damit möglichst nah an | |
die deutlich profitorientierter aufgestellten Gesellschaftsformen heran? | |
Was packen wir in diese Genossenschaft? Bis wir gesagt haben: Es ist das | |
Stadion, das ist deren Heimat. | |
taz: Sie hätten auch Stadionanteile an stille Gesellschafter verkaufen | |
können. | |
Göttlich: Die Genossenschaft ist die die solidarischste Form der | |
Selbstverantwortung. Dinge selbst in die Hand zu nehmen – das muss eines | |
der größten Themen für den FC St. Pauli sein. | |
taz: Auch über die St.-Pauli-Bubble hinaus? | |
Göttlich: Für den kommerziellen Fußball ist die Genossenschaft der | |
richtige Ansatz. Weil der Fußball seine Grundzüge verloren hat, wo wir alle | |
eingetragene Vereine waren, wo viel über das Engagement läuft. Weil der | |
Profifußball sich so schnell weitergedreht hat, wird dieses Engagement | |
allein nicht mehr reichen. Das, was dem am nächsten kommt, ist die | |
Genossenschaft. | |
taz: Als Gegenentwurf zu Investoren? | |
Göttlich: Für uns war immer klar: Wir gliedern unsere Profiabteilung nicht | |
aus. Das heißt, wir können keine Kapitalzufuhr durch Investoren zulassen. | |
Es ist kein Geheimnis, dass der FC St. Pauli mit einem Stadion mitten in | |
der Stadt, mit einer so starken Marke, wahnsinniges Interesse generieren | |
könnte. Bis jemand sagt: Ich gebe gern Geld, um da möglichst mehrheitlich | |
einzusteigen. Wo das passiert ist, sieht man: Auch wenn du noch mal 100 | |
Millionen generierst, ist das keine Garantie für nachhaltige sportliche | |
Entwicklung. | |
taz: St. Pauli hat den Aufstieg ein paarmal [4][knapp verpasst]. Waren Sie | |
zu vorsichtig? | |
Göttlich: Diese Frage taucht immer wieder auf. Wir geben das Maximum in den | |
Sport. Meine Kolleg:innen können einen Spruch von mir nicht mehr hören: | |
Jeder Euro, der nicht in den Sport geht, ist eigentlich ein verlorener | |
Euro. | |
taz: Oha … | |
Göttlich: Da sagen natürlich Menschen: Oke, aber wir müssen für unsere | |
gesellschaftliche Verantwortung auch Geld ausgeben! Das eine bedingt für | |
mich das andere: Wenn du klug in den Sport investierst, kannst du dich aufs | |
nächste Level heben. Dann kannst du deine Wirkung für gesellschaftliche | |
Themen breiter an den Start bringen. Ist das eine marktlogische, | |
ökonomische Sichtweise? Ja, das ist sie. Werfe ich mir das als Mensch, der | |
durchaus seine Kritik an diesem System hat, auch mal vor? Ja, das tue ich. | |
Ist es trotzdem die beste für eine Organisation, die sich als politische, | |
gesellschaftliche Organisation sieht und etwas bewirken will? Ja, weil ich | |
keine bessere kenne. | |
taz: Und doch verzichten Sie auf 5 Millionen Euro? | |
Göttlich: Wir verzichten auf Sponsoring für den Stadionnamen und die | |
Tribünen oder Eckstöße. Wir stören die Leute zehn Minuten vorm Spiel nicht | |
mehr mit Werbeeinblendungen. Und wir lehnen auch immer wieder Partner ab. | |
Trotzdem leisten wir uns auch viel gesellschaftliches Engagement. In den | |
letzten Jahren haben wir immer 150.000 bis 200.000 Euro an Initiativen | |
beispielsweise aus dem Stadtteil gespendet. Auch gern mal im Stillen. | |
taz: Sie haben im DFL-Vorstand [5][dazu beigetragen, dass der | |
Investorendeal der Liga geplatzt ist]. Ein Eigentor? | |
Göttlich: Wenn Geld irgendwo reinregnet, dann ist die Frage, wo regnet es | |
hin? Bei jedem Deal hat die Liga bisher eher an die größeren Klubs gedacht. | |
Das führt dazu, dass immer dieselben oben stehen. | |
taz: Die großen Klubs sagen, sie wären sonst in Europa nicht | |
wettbewerbsfähig. | |
Göttlich: Die Rhetorik von Leipzig, Bayern oder Dortmund wird auf einmal | |
ganz sanktpaulianisch, wenn sie sich mit ManCity oder Paris Saint-Germain | |
im Wettbewerb befinden. Sie fühlen sich ungleich behandelt, weil da | |
[6][Staatsfonds beteiligt] sind. Ich sage dann immer: Leute, da habt ihr | |
dieselben Punkte wie wir. Ihr müsst doch verstehen, dass es auf allen | |
Ebenen eine fairere Verteilung geben muss, um den Wettbewerb zu | |
stabilisieren. | |
taz: Und, verstehen sie es? | |
Göttlich: Natürlich will der FC Bayern immer Nummer eins sein und kämpft um | |
die spitzeste Geldverteilung, die möglich ist. Und der FC St. Pauli kämpft | |
darum, dass der entgrenzte Profifußball sich ein bisschen reguliert – | |
Stichwort: Kadergrößen-Reduzierung, Gehaltsobergrenzen, keine | |
Multi-Club-Ownerships oder wenigstens eine Limitierung. | |
taz: Was ist das Problem daran? | |
Göttlich: RB Leipzig hat zuletzt einen Klub in Japan gekauft. Sie haben | |
schon Klubs in Brasilien, in Salzburg und in New York. Wenn sie jetzt zehn | |
16-Jährige kaufen und einer davon durchkommt, dann ist es egal, was mit den | |
anderen neun passiert. Die Besten kommen bei Leipzig an, und die nächsten | |
bei Red Bull New York. Und die anderen? Mal gucken. Wir müssen da eine | |
Begrenzung reinkriegen. Wir sollten uns selbst regulieren, bevor das die | |
Regierung tut wie derzeit in England. | |
taz: Das Bundeskartellamt hat die 50-plus-eins-Regel bestätigt, nach der | |
die Stammvereine mindestens 50 Prozent plus eine Aktie an | |
Fußball-Kapitalgesellschaften halten müssen. Kann man die noch durchsetzen? | |
Göttlich: In der Entscheidung des Bundeskartellamts steckt so ein Spin in | |
Richtung DFL: Seht mal zu, dass ihr eure Ausnahmen erklärt – und dort, wo | |
es schiefläuft, wie bei Hannover 96, auch mal sanktioniert … | |
taz: … weil Investor Martin Kind nach Gutdünken entscheidet, auch gegen die | |
Vereinsgremien. | |
Göttlich: Auf die Gefahr hin, dass Martin Kind ein Gericht anruft – ich | |
würde mir wünschen, dass wir es in der DFL darauf ankommen lassen. Wenn wir | |
verlieren, dann ist das so – wie im Sport. | |
taz: Mit Ihrer Genossenschaft treten Sie diesen Fehlentwicklungen jetzt | |
entgegen. Muss man St.-Pauli-Fan sein, um einen Anteil zu zeichnen? | |
Göttlich: Jeder in Freiburg oder wo auch immer darf gerne einen Anteil | |
kaufen, ein Stück Millerntor sein Eigen nennen. Ich würde mich über viele | |
Leute freuen, die sagen: Das ist ein Schritt, der nicht nur für den | |
Profifußball ein gesellschaftliches Zeichen setzt. Gewinne zu | |
verallgemeinern, das ist unser Thema in einer Gesellschaft, in der | |
ansonsten Kosten verallgemeinert werden und Gewinne privatisiert. | |
taz: Müssen Sie Gewinne ausschütten? | |
Göttlich: Wir wollen nicht nur die Hand aufhalten, sondern auch etwas | |
zurückgeben. Ich glaube auch, dass unser Genossenschaftsmodell nicht das | |
letzte sein wird, das wir im Fußball sehen. [7][Auf Schalke] gibt es ja | |
auch schon eine Initiative. Es gibt einen großen Hunger nach | |
Mitgliederpartizipation. | |
taz: Könnte der Fußball irgendwann wieder denen gehören, die ihn lieben? | |
Göttlich: Der Fußball gehört den Menschen. Weil es am Ende diese Menschen | |
sind, die sagen: Ich möchte mir diesen Fußball gerne angucken, ich kaufe | |
ein Trikot, ich kaufe mir vielleicht auch mal ein TV-Abo, denn ich möchte | |
mich identifizieren. Und ich möchte 17-mal im Jahr in ein Stadion gehen, | |
das mehr ist als eine Eventstätte. Es ist ein Zeichen, mitten in dieser | |
Stadt dafür einzustehen, dass wir diese unsere Gesellschaft ein Stück weit | |
verändern und verbessern wollen. | |
taz: Auch wenn Sie damit vielen auf den Keks gehen. | |
Göttlich: Klar stimmen uns nicht alle zu. Im Gegenteil, momentan ist das | |
politische Klima schwierig. Wir werden an den wenigsten Orten mit offenen | |
Armen empfangen. Auch deshalb war Freiburg, neben dem ersten | |
Bundesliga-Sieg, eine schöne Auswärtsfahrt, weil die AfD schon selbst | |
behauptet: In diesem Landstrich haben wir nichts zu suchen, das ist ein | |
No-Go-Land für uns. Ich würde mir wünschen, es gäbe mehr Regionen wie | |
Südbaden oder St. Pauli. | |
8 Nov 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jan Kahlcke | |
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