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# taz.de -- Genossenschaft im Fußball: Grüßt euch, Genossen!
> Schalke 04 will eine Genossenschaft werden, genauso wie der FC St. Pauli.
> Denn Investoren sind unerwünscht, das Geld aber knapp. Ist das der
> Ausweg?
Bild: Potenzielle Genossen, hier auswärts gegen den 1. FC Kaiserslautern im …
Alle paar Tage wird eine neue Episode des königsblauen Dramas erzählt. Die
reflexhafte Neigung zur Hysterie ist beim [1][FC Schalke 04] zu einer Art
Dauerzustand geworden. Wenn sich der Abstand zu den Abstiegsplätzen
verringert, oder wenn die jungen Spieler, die der neue Sportdirektor geholt
hat, nicht sofort zu Helden werden. Wenn Verteidiger X im falschen Moment
über den Ball tritt, wenn mal wieder der Trainer gewechselt wird, und wenn
es ums Geld geht sowieso.
Die schöne Alliteration „Schalker Schuldenklub“ ist älter als der
Bundesligaverein RasenBallsport Leipzig. Logisch, dass auch das neuste
Vorhaben der Klubführung erst mal für Hysterie sorgt. Die Schalker wollen
ähnlich wie der FC St. Pauli Teile ihres Stadions in eine Genossenschaft
auslagern, um Geld einzunehmen. Der „Verein geht auf Betteltour“, behauptet
die Bild, und die WAZ fragt: „Ist die finanzielle Lage nun so prekär, dass
Schalke über einen Arena-Verkauf nachdenkt?“
Dabei ist so eine Genossenschaft gerade für eingetragene Vereine wie
Schalke und St. Pauli, deren Mitglieder die Ausgliederung der
Profiabteilung ablehnen, hochinteressant. Sagt zumindest Oke Göttlich, der
Präsident des FC St. Pauli. In Hamburg ist das Projekt schon deutlich
weiter fortgeschritten als in Gelsenkirchen, noch in diesem Jahr sollen
erste Genossenschaftsanteile erworben werden können. „Alle gängigen Modelle
der Geldbeschaffung passen nicht zu uns, unser Ziel ist es, eine
Alternative zu bieten“, sagt Göttlich. Beim FC St. Pauli ist es auf Wunsch
der Mitglieder nicht möglich, den Stadionnamen zu vermarkten, Investoren
sind unerwünscht, und eine Ausgliederung ist tabu. „Der Wunsch unserer
Mitglieder ist ein unabhängiger und gestaltbarer FC St. Pauli“, meint der
Präsident.
Doch in der Realität sind auch die Idealisten vom Hamburger
Millerntor-Stadion Wettbewerber im scheinbar grenzenlosen Kommerzbetrieb
Fußball. Sie brauchen Geld, weil in Infrastruktur investiert werden muss.
Weil alte Schulden die Budgets durch Zins und Tilgungszahlungen belasten.
Weil Investoren Millionensummen in die ausgegliederten Profiabteilungen der
Konkurrenten pumpen. Die Frage lautet also: „Wie lässt sich eine größere
Summe einsammeln, während zugleich unsere Ansprüche an das Gemeinwohl
erfüllt werden? Und wie können die Leute auch davon profitieren, wenn es
funktioniert?“, sagt Göttlich.
## Engagieren, mitbestimmen, Rendite!
In Hamburg beschäftigen sich die Beteiligten seit fast zehn Jahren mit den
Vor- und Nachteilen einer Genossenschaft, die Suche nach alternativen Wegen
in der Welt des ausufernden Fußballkapitalismus ist Teil der Klub-DNA. „Ein
anderer Fußball ist möglich“, lautet ein Slogan des Klubs, nun sieht die
bislang einzigartige Alternative so aus: Über Anteile an der
Stadion-Genossenschaft, die wohl für etwa 850 Euro verkauft werden, sollen
rund 30 Millionen Euro eingenommen werden.
So sollen die Restschuld von 15 Millionen Euro aus dem Stadionbau getilgt
und neue Investitionen in die Infrastruktur möglich werden. Die
Genossenschaftsmitglieder können im Gegenzug auf eine kleine Rendite
hoffen, sie können sich engagieren, mitbestimmen und Verantwortung
übernehmen. In der Stadtgesellschaft wird das Projekt bislang eher mit
Wohlwollen begleitet, auch weil während der vergangenen Jahre Vertrauen in
die Klubführung entstanden ist und weil alle sehen, wie sich der HSV seit
Jahren mit seinem Investor Klaus-Michael Kühne herumplagt.
Ganz anders auf Schalke, wo umstrittene Geldbeschaffungsmaßnahmen eine
gewisse Tradition haben. Die Anleihe bei dem Finanzmakler Stephen Schechter
sorgte in den nuller Jahren für Schlagzeilen, eine Landesbürgschaft wirft
die Frage auf, ob der eigentlich reiche Fußball wirklich so ein
öffentliches Förderinstrument nutzen sollte, und der gruselige Deal mit
Gazprom endete erst nach 13 Jahren mit dem Überfall Russlands auf die
Ukraine. Vielleicht muss man verstehen, dass es dem Schalker Umfeld
schwerfällt der Klubführung jetzt zu vertrauen. Wobei Genossenschaften
eigentlich keinen Schrecken verbreiten.
Seit 160 Jahren gibt es das Konzept, das sich in ganz unterschiedlichen
Wirtschaftsbereichen als tauglich erwiesen hat: in der Landwirtschaft, im
Banken- und im Energie-Sektor, beim Wohnungsbau. Überall dort, wo es
sinnvoll ist, die Interessen und den Einfluss der unmittelbar Beteiligten
zu stärken, statt Macht in die Hände externer Geldgeber zu legen, denen es
in der Regel auch um die Privatisierung von Gewinnen geht.
## Ganz ohne dubiose Instanzen
Im Fußball ist eine Genossenschaft ein Partnerunternehmen, das mit einer
klug ausgearbeiteten Satzung auch unmittelbar mit dem Wertekanon des Klubs
verbunden sein kann. Mit einer Genossenschaft lassen sich die Schwächen
kompensieren, die so ein eingetragener Verein gegenüber den ausgelagerten
Profiabteilungen der meisten anderen Bundesligaklubs hat, heißt es auf
Schalke.
Es ist geradezu rätselhaft, warum es bis ins Jahr 2024 gedauert hat, bis
das System, in dem die Biotope der eingetragenen Vereine mit Investoren,
Staaten und Großkonzernen konkurrieren, die Genossenschaft als
Alternativmodell erkannt hat. In einer Fußballwelt, in der es immer
schwieriger wird, sich dem durch Milliardensummen erkauften Einfluss
dubioser Instanzen zu widersetzen, erregt das Genossenschaftsmodell des FC
St. Pauli so viel Aufmerksamkeit, dass sogar die New York Times ausführlich
über das Projekt berichtet hat. „Wir versuchen, ein richtigeres Leben im
falschen möglich zu machen. Das ist für mich etwas, wofür der Verein ganz
klar steht“, s[2][agt Miriam Wolframm aus dem Vorstand des FC St. Pauli im
September in einem Interview mit der taz], hinter der ja auch eine
Genossenschaft steht.
Im Fußball sollen sowohl auf Schalke als auch am Millerntor
Governance-Regeln dafür sorgen, dass die Genossenschaft keine
Entscheidungen treffen kann, die den Leitlinien des Muttervereins
widersprechen. So könnte beispielsweise unterbunden werden, dass eine
Gruppe BVB-Ultras Anteile an der Schalker Genossenschaft erwirbt, um dann
zu fordern, das Dach der Arena schwarz-gelb anzustreichen. Auch der
Einstieg von moralisch zweifelhaften Unternehmen oder Staaten lässt sich
durch Veto-Rechte unterbinden. „Es ist gut für den Fußball, wenn zwei
Vereine wie St. Pauli und Schalke das gleichzeitig machen, wir können da
einen neuen Weg gehen und ein Stück weit auch Vorreiter sein“, sagt
Schalkes Vorstandschef Matthias Tillmann im Deutschlandfunk.
Der Verdacht, dass die Schalker ihr Stadion verscherbeln, um die Liquidität
im laufenden Betrieb zu sichern, sei falsch, versichert der Schalker
Klubchef. Vielmehr sollen die Einnahmen dazu verwendet werden, Schulden
abzubauen, die als bleierne Altlast auf dem Klub liegen. Derzeit stehen
Finanzverbindlichkeiten von rund 160 Millionen Euro in den Bilanzen. Das
hat zur Folge, dass in jedem Jahr 16 Millionen Euro an Zins und Tilgung
fällig werden, dieses Geld muss erst mal verdient werden, bevor auch nur
ein Euro für das Projekt Wiederaufstieg zur Verfügung steht. Gerade in der
zweiten Liga, wo mancher Konkurrent mit 16 Millionen Euro ihre ganze
Mannschaft finanziert, ist das ein massiver Wettbewerbsnachteil.
## Anteile? Zeig deinen Mitgliedsausweis!
Allerdings sollen die Anteile an der Schalker Stadiongenossenschaft
günstiger sein als in Hamburg, und es gibt auch die Einschränkung, dass
neben Unternehmen nur Mitglieder des eingetragenen Vereins einsteigen
können. Bei einer Ausgliederung der Profiabteilung aus dem eingetragenen
Verein und dem anschließenden Verkauf von Anteilen – ein Konzept, mit dem
Dortmund, Stuttgart oder der FC Bayern Millioneneinnahmen generiert haben –
„hat man andere im Verein, die mitbestimmen“, sagt Tillmann, im Konstrukt
mit der Genossenschaft soll alles in Schalker Hand bleiben.
Wenn den Schalkern die auch juristisch komplexe Herausforderung dieses
Vorhabens glückt, könnte dieser Schritt irgendwann als Gamechanger gelten.
Schließlich sind gerade im Ruhrgebiet Solidarmodelle traditionell genauso
verwurzelt wie die Skepsis gegenüber Unternehmern, denen es zuallererst
darum geht, Geld zu verdienen, bevor sie irgendwann an die Folgen für die
Menschen denken. „Was einer nicht schafft, schaffen viele zusammen. Das ist
ein Weg, der sehr gut zu Schalke passt“, sagt Tillmann, der auf der
Mitgliederversammlung Mitte November für das Projekt werben und weitere
Details bekannt geben wird.
Zur Wahrheit gehört aber auch, dass mit solchen unter großen Anstrengungen
und mit viel Aufwand erwirtschafteten Mitteln einer Genossenschaft niemals
die Ungleichheit kompensiert werden kann, die durch Teilnahmen an
internationalen Wettbewerben entstehen. So nahm selbst selbst der eher
kleine Klub SC Freiburg während seiner beiden jüngsten
Europa-League-Teilnahmen über 20 Millionen Euro ein.
Genossenschaftsprojekte sind außerdem mit Kommunikations- und
Verwaltungsaufwand sowie mit jährlichen Versammlungen verbunden – für die
Klubs ist das herausfordernder als die Zahlung eines Investors, der im
Gegenzug vielleicht einen Platz im Aufsichtsrat erhält. Aber gerade in
Deutschland, wo die Deutsche Fußball-Liga und die aktiven Fanszenen für die
Ideale hinter der 50+1-Regel kämpfen, könnten die Projekte der Schalker und
der Hamburger viele Nachahmer finden. Und im besten Fall könnten sich die
Debatten über Genossenschaften im Fußball auch in anderen
gesellschaftlichen Bereichen auswirken.
Schön fände es Göttlich, wenn das Thema durch den Fußball grundsätzlich
wieder stärker in den Fokus öffentlicher Debatten rückt. Als
kontrastierende Ergänzung zu den Privatisierungsdynamiken, zum
Social-Entrepeneurship und zur Start-up-Kultur. „Genossenschaften haben
viel zum Wohlstand Deutschlands beigetragen“, sagt Göttlich. „Das Konzept,
durch diese Form des Eigentums mitzugestalten, Verantwortung zu übernehmen
und als Teil einer Gemeinschaft zu profitieren“, sei viel besser als sein
etwas angestaubter Ruf.
31 Oct 2024
## LINKS
[1] /Schalke-04/!t5007520
[2] /Vorstaendin-der-St-Pauli-Genossenschaft/!6038743
## AUTOREN
Daniel Theweleit
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Fußball
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