# taz.de -- Handyverbote an Schulen: Lernen, offline zu sein | |
> Viele europäische Länder haben Handys an Schulen verboten, auch in | |
> Deutschland wird es wieder diskutiert. Eine Schule in Leipzig probiert es | |
> aus. | |
Bild: Lassen sich Smartphones komplett verbieten? An der Leipziger Leibniz-Schu… | |
Leipzig taz | Als es zur ersten Pause klingelt, sind schon zwei Handys | |
eingezogen. Jetzt liegen sie in einer Holzbox im Büro von Diana Schneider, | |
der Leiterin des Leibniz Gymnasiums in Leipzig. Auf einem Stück Papier sind | |
Name und Klasse ihrer Besitzer:innen vermerkt. | |
„Wir hatten ein Erweckungserlebnis diesen Sommer beim Hoffest“, erzählt | |
Schneider. „Die Schüler haben nicht miteinander gesprochen, alle waren nur | |
an ihren Handys, die haben gar nichts mehr mitbekommen.“ Wie einige andere | |
Schulen startete das Leibniz Gymnasium deshalb nach den Herbstferien ein | |
Pilotprojekt: Private Smartphones sind auf dem Schulgelände nun untersagt. | |
Die Auswirkungen von Smartphones im Schulalltag machen sich in allen | |
Ländern, Schulformen und Jahrgangsstufen bemerkbar: Durch Smartphones wird | |
die Aufmerksamkeitsspanne kürzer, Schüler:innen interagieren weniger, | |
Mobbing nimmt zu. Studien zufolge beeinflusst bereits die bloße physische | |
Präsenz von Smartphones die kognitive Leistungsfähigkeit ihrer | |
Besitzer:innen negativ, insbesondere Gedächtnisleistung und | |
Aufmerksamkeit. | |
Erst Ende Oktober hatte das Bündnis gegen Cybermobbing eine Studie | |
vorgelegt, der zufolge jede:r fünfte Schüler:in in Deutschland schon | |
einmal von Cybermobbing betroffen war – über 2 Millionen Kinder und | |
Jugendliche. Und auch die OECD hat [1][vor den negativen Auswirkungen von | |
unreguliertem Smartphone-Gebrauch in Schulen gewarnt]. | |
In Nachbarländern wie Frankreich, Spanien, Niederlande und der Schweiz gibt | |
es eine Regelung zu Smartphone-Verboten an Schulen. Insbesondere seit dem | |
schlechten Abschneiden in der Pisa-Studie 2022 werden Handyverbote an | |
Schulen auch in Deutschland wieder diskutiert. | |
Auch am Leibniz Gymnasium von Diana Schneider war das soziale Klima vor dem | |
Verbot schwierig geworden. „Die Kinder waren ununterbrochen am Handy“, | |
erinnert sich die Schulleiterin. Die Mädchen vor allem in den sozialen | |
Netzwerken, die Jungs beim Spielen. Wie an fast jeder Schule hatte es | |
außerdem Fälle von verbotenen Handyaufnahmen von Lehrkräften oder | |
Schüler:innen gegeben, die online kursierten. | |
## Forderungen aus der Politik werden lauter | |
Von den deutschen Landesregierungen, die für die Bildungspolitik zuständig | |
sind, gibt es keine allgemeinen Regelungen. Den Umgang mit Smartphones | |
überlässt man den Schulen, zu individuell die Situation der Schulen, zu | |
hoch der personelle und finanzielle Aufwand, ein Verbot flächendeckend | |
durchzusetzen. [2][In einem Blog] des sächsischen Bildungsministeriums hieß | |
es 2018 noch: „Schwer durchsetzbar und realitätsfern erscheint etwa ein | |
Handyverbot auf dem Pausenhof.“ | |
Doch mittlerweile werden auch aus der Politik die Forderungen nach | |
Handyverboten an Schulen lauter. Von SPD, CDU über AfD bis BSW sprechen | |
sich Parteipolitiker:innen in sämtlichen Bundesländern dafür aus, | |
Handys an Schulen zu verbieten. Manchen geht es dabei um einen bewussten | |
pädagogischen Einsatz der digitalen Geräte und um begrenzte handyfreie | |
Orte. Anderen geht es um mehr: Bei der vergangenen Landtagswahl in | |
Brandenburg forderte das BSW beispielsweise, Handys und Tablets mindestens | |
bis zur vierten Klasse komplett zu verbieten. | |
Derweil suchen immer mehr Schulen nach eigenen Wegen. In Dresden | |
experimentiert eine Schule mit Handysafes: Das sind durch einen Magnet | |
verschließbare Taschen, die von den Schüler:innen selbst nicht geöffnet | |
werden können. An einer Kölner Schule werden die Geräte vor dem Unterricht | |
in einem Schrank weggeschlossen. | |
## Verändert ein Handyverbot das soziale Miteinander? | |
Am Leibniz Gymnasium in Leipzig wurde für die Pilotphase erst mal eine | |
sanftere Herangehensweise gewählt. Die Schüler:innen dürfen ihre Handys | |
bei sich haben, nur benutzen dürfen sie diese nicht. Tun sie es doch, | |
ziehen die Lehrkräfte sie ein und bringen sie in Schneiders Büro. Am | |
Tagesende können sie dann abgeholt werden. | |
Einen Freischuss gibt es, beim nächsten Mal müssen dann die Eltern das | |
Smartphone einsammeln. „Uns geht es nicht darum, digitale Geräte komplett | |
zu verbieten“, so Schneider, „[3][im Unterricht arbeiten wir auch mit | |
Tablets und anderen Medien], aber dafür braucht nicht jeder Schüler sein | |
privates Handy.“ Primär ginge es um das soziale Miteinander. | |
Die Tür zu Schneiders Büro geht auf, Hubertus Wagler kommt herein und | |
stellt zwei weitere Smartphones in die Holzbox. Der Mathe- und Physiklehrer | |
hat das Projekt angestoßen. Er berichtet von einer wahrnehmbaren | |
Veränderung im Klassenzimmer: „Es wird deutlich mehr kommuniziert“, stellt | |
er fest. Und letztens hätte seine 9. Klasse auf einmal in der Pause Skat | |
gespielt, das sei schön zu beobachten gewesen. | |
Schneider und Wagler wollen sich zugleich nicht nur auf anekdotische | |
Evidenz stützen. Zusätzlich haben sie einen Evaluationsbogen für die 650 | |
Kinder und Jugendlichen erstellt, um die Veränderungen im sozialen | |
Miteinander zu prüfen. Erst danach soll zusammen mit den Schüler:innen | |
entschieden werden, ob ein Handyverbot langfristig in die Schulordnung | |
mitaufgenommen wird. | |
## Bildungswissenschaftler empfehlen Handyverbot | |
Es gibt auch aus der Wissenschaft Hinweise, dass ein Verbot sinnvoll sein | |
kann. Zwei Augsburger Bildungswissenschaftler haben in einer | |
[4][Überblicksstudie] die Ergebnisse von fünf Untersuchungen aus Norwegen, | |
Spanien, Tschechien, England und Schweden verglichen. Demnach habe sich | |
insbesondere das soziale Miteinander durch ein Handyverbot verbessert. Der | |
Schritt sei deshalb sinnvoll. Entgegen Forderungen wie jener des BSW | |
empfehlen sie aber auch, dass Tablets und Smartphones gezielt als | |
Unterrichtshilfen eingesetzt werden sollten. | |
Positiv sind auch [5][Erfahrungen aus den Niederlanden]. Anfang 2024 führte | |
die Regierung ein Handyverbot für die Sekundarstufe ein. Seit September | |
gilt die Regelung auch für Grundschüler:innen. Wie die Regel umgesetzt | |
wird, entscheiden die Schulen dabei selbst. | |
Bildungswissenschaftlerin Loes Pouwels von der Radboud-Universität in | |
Nijmegen hat die Einführung der handyfreien Schulen wissenschaftlich | |
begleitet. Ihre Befragungen ergaben, dass die Hälfte der Schüler:innen | |
nach Einführung des Handyverbots bessere Leistungen erzielten, 40 Prozent | |
fanden, das soziale Klima habe sich verbessert, und 20 Prozent fühlten sich | |
weniger abgelenkt. | |
„Trotzdem sind die Verbote nicht die Lösung für alles, aber sie könnten | |
positive Effekte haben“, so Pouwels. Wenn man das soziale Klima verändern | |
wolle, dürfe man nicht einfach Smartphones verbieten. Vor allem müsse man | |
sich mit dem Wohlbefinden der Schüler:innen beschäftigen. Für diese sei | |
das Handy auch ein wichtiges Mittel, mit ihren Freund:innen und Familien | |
in Kontakt zu bleiben. „Es ist vor allem wichtig, dass sich die | |
Schüler:innen einbezogen fühlen“, so Pouwels. | |
## Unmut unter Schüler:innen | |
Das hat in Leipzig noch nicht ganz geklappt. Zwischen Schülerrat und | |
Schulleitung gab es im letzten Jahr zwar Gespräche zu einer „Schule ohne | |
Smartphone“, dennoch sorgt die neue Regel für Unmut. | |
Für die stellvertretende Schülersprecherin Luise Fröhlich kam das Verbot | |
dann doch sehr plötzlich: „Vor den Herbstferien wurde uns einfach gesagt, | |
dass wir nach den Ferien keine Handys mehr benutzen dürfen. Da wurde gar | |
nicht mehr darüber gesprochen. Wir hätten uns gewünscht, einen Kompromiss | |
zu finden“, meint sie. Jetzt hingegen sei vieles schwieriger geworden – man | |
könne nicht mehr den Vertretungsplan auf dem Handy nachsehen oder sich | |
leicht mit Freund:innen verabreden. | |
Doch es gibt auch positives Feedback. Auf die Frage, wie er die Pilotphase | |
erlebt habe, antwortet ein 10.-Klässler: „Wir unterhalten uns mehr als | |
sonst miteinander.“ Zustimmendes Nicken von seinen Freunden. Nur einen aus | |
der Gruppe stört das Handyverbot. Er hatte am Morgen am Handy „gezockt“, | |
dann sei ihm sein Smartphone abgenommen worden. „Ich hab das mit dem Verbot | |
vergessen, ist ja noch ganz neu“, meint er. | |
Auch Yara aus der 11. Klasse hält wenig von der neuen Regel: „Es gibt hier | |
Leute, die sind 18 Jahre alt, die nicht auf ihr Handy gucken dürfen.“ Dass | |
man nicht die ganze Zeit während des Unterrichts das Handy in der Hand | |
habe, sei bei den höheren Jahrgangsstufen auch so klar. Das Verbot führe | |
jetzt nur dazu, dass die Älteren noch häufiger als zuvor ihre Pausen | |
außerhalb des Schulgeländes verbrachten, wo das Handyverbot nicht greift, | |
meint Yara. | |
Dann klingelt es zur Pause. Während sich die einen also aufmachen „zum | |
Konsum“, sitzen auf der Bank vor dem Schuleingang fünf Siebtklässler. Auf | |
dem Rücken haben sie noch ihre Rucksäcke. Sie zocken. | |
8 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.oecd-ilibrary.org/docserver/9e4c0624-en.pdf?expires=1730807816&… | |
[2] https://www.bildung.sachsen.de/blog/index.php/2018/07/31/ist-ein-handyverbo… | |
[3] /Digitalisierung-in-Schulen/!5830383 | |
[4] https://www.mdpi.com/2227-7102/14/8/906 | |
[5] /Handyverbot-an-niederlaendischen-Schulen/!5945657 | |
## AUTOREN | |
Amelie Sittenauer | |
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