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# taz.de -- Präsidentschaftswahl in den USA: Beim Wahlkampf an der Haustür ge…
> In den USA dringt der Wahlkampf in jede Ecke des Privatlebens ein, über
> Themen wird kaum noch geredet. Eine Mischung, die den Schlaf rauben kann.
Es ist Mitternacht in New York, ich kann nicht schlafen. Ich höre „The
Daily“, der Podcast empfiehlt, nicht vor dem Einschlafen auf die Umfragen
zu gucken, danach höre ich eine Stunde lang der Umfrage-Analyse zu. Als ich
in den USA angekommen bin, habe ich Menschen überall zu ihren politischen
Einstellungen befragt, Bücher mit Notizen gefüllt, alles fand ich very
interesting.
Mittlerweile finde ich alles very furchtbar, in zehn Tagen wird statistisch
jeder Zweite hier einen Mann wählen, der im Minutentakt Gründe liefert, ihm
unter keinen Umständen den eigenen Kaktus anzuvertrauen, geschweige denn
die [1][größte Ökonomie des Westens]. Election anxiety nennt man die Angst,
die sich hier gerade im ganzen Land ausbreitet. In den USA sind
Straßenplakatierungen nicht erlaubt, deswegen wird Wahlkampf eben auf allen
anderen Flächen gemacht. Etwa auf Buttons, die Freiwillige an
Straßenständen verkaufen; die Auswahl wächst mit der Zeit. Nach dem
Taylor-Swift-Endorsement kam „Swifties for Harris“ dazu, nach dem
Childless-Catlady-Kommentar kam „Catlovers for Kamala“. Wahlkampf findet
auch auf Laptops, Trinkflaschen und Stoßdämpfern statt, wo Trump- oder
Harris-Sticker kleben, auf Schildern in Vorgärten, auf Trump-Tangas (ab
10,99 Dollar) und Kamala-Baby-Stramplern (ab 9 Dollar).
Dafür, dass der Anspruch auf ein unpolitisches Privatleben in den USA so
großgeschrieben wird, ragt der Wahlkampf in bemerkenswerte Tiefen des
privaten Raumes. Ein Großteil der Kampagnen aber findet unter dem eigenen
Daumen und auf kleinen Handybildschirmen statt, Obama-Clips laufen auf
Repeat, virale Twitter-Videos zeigen Mütter in SUVs, die andere Frauen
ermutigen, heimlich Harris zu wählen, [2][Trump frittiert], das Netz
brennt. Wäre es nicht so düster in der Welt, wäre dieser Wahlkampf
olympisches Kabarett.
Ich besuche einen Door-Knocking-Kurs, als Vorbereitung für den
Haustürwahlkampf. Ich lerne, dass es in den Gesprächen gar nicht um
Argumente geht, sondern nur um die Erinnerung ans Wählen, logisch und
dramatisch fühlt sich das an, da plant jemand akribisch die Zersetzung der
Demokratie und wir setzen dagegen die Erinnerung, [3][vielleicht ein Kreuz
zu machen]. Ich lerne auch, dass man sich auf keinen Fall auf Gespräche mit
Trumpwählern einlassen soll, das würde sie aufstacheln, dann gingen sie
garantiert wählen, statt es zu vergessen. Man nennt es Wahlkampf, im Kern
ist es Politik als Massenpsychologie, Form statt Inhalt, Messages statt
Diskussion, ein Marketingwettkampf mit unbezahlbarem Einsatz.
Faschist und Demokratin werden gleichermaßen zu Helden stilisiert, man
wählt nicht, man liebt den Kandidaten, jedes Lieblingswürstchen, jedes
Hundefoto wird als Zeichen charakterlicher Eignung und politischer
Integrität gewertet. Dass es gar nicht um die Wahl eines Superhelden geht,
sondern um viel mehr, um die politischen Bedingungen, unter denen wir alle
in den nächsten vier Jahren arbeiten werden – darüber spricht kaum wer.
Auf Twitter verkündet Trump fälschlicherweise, dass er in allen Umfragen
vorne liegen würde, ich bekomme eine Einladung für ein Training zur
Wahlbeobachtung. Der große Horror, so sieht es aus, kommt erst noch. Es ist
zwei Uhr nachts, ich kann nicht schlafen.
27 Oct 2024
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## AUTOREN
Luisa Neubauer
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