# taz.de -- Performerin über Hamburger Esso-Häuser: „Wieder Klobürsten in … | |
> Vor zehn Jahren trauerte der Megafonchor in Hamburg um die abgerissenen | |
> Esso-Häuser an der Reeperbahn. Nun protestiert er wieder. | |
Bild: Seit zehn Jahren ist nichts passiert: Brache an der Reeperbahn, wo mal di… | |
taz: Frau Kretzschmar, hätten Sie gedacht, dass der Megafonchor nach zehn | |
Jahren nochmal am Bauzaun auftritt? | |
Svlvi Kretzschmar: Nein, bis vor einem Jahr war das Projekt für mich | |
Vergangenheit. Die Geschichte, die ich dazu immer erzählt habe, war | |
eigentlich die eines unverhofften Erfolgs. Der Chor hat die Proteste gegen | |
den [1][Abriss der Esso-Häuser] 2012 bis 2014 begleitet und nach deren | |
Scheitern eine Hausbeerdigung durchgeführt … | |
taz: … als Sie zwei Tage lang auf dem Spielbudenplatz gespielt haben. | |
Kretzschmar: Ja, im Nachhinein betrachtet hatte das die Funktion, die | |
Häuser gemeinsam mit dem Stadtteil zu beerdigen. Das öffentliche Trauern | |
[2][des Megafonchors] hat dazu beigetragen, dass vor Ort diskutiert wurde, | |
dass der Bauzaun gestaltet wurde; dass die „Planbude“ erstmals in | |
Erscheinung trat; dass Ausschnitte aus dem damals noch unfertigen [3][Film | |
„Buy Buy St. Pauli“] gezeigt wurden und so weiter. Obwohl wir damals nicht | |
weiter wussten, die Bewegung komplett gescheitert zu sein schien, hat der | |
Megafonchor geholfen, Dinge in Bewegung zu halten und schließlich: eine | |
heute international gefeierte Stadtplanung von unten zu ermöglichen. | |
taz: Gebaut hat die Bayerische Hausbau dort trotz allem bislang nichts. Es | |
heißt, sie wolle das Gelände verkaufen. Wie klingt denn so eine Zukunft, | |
die doch nicht stattfindet? | |
Kretzschmar: Es ist schwierig, Klang und Zukunft zu beschreiben, das haben | |
beide gemeinsam. Kunst kann aber Dinge aussprechen, für die sich die | |
richtigen Worte noch nicht finden lassen. Wir arbeiten mit Megafon, | |
Mikrofon und Verstärkung. Wir werden den Bauzaun verstärken, abtasten und | |
abhören, wie der klingt, also wirklich schauen, wie der Sound dieses | |
Platzes aktuell ist. | |
taz: Und Sie vertonen Interviews mit ehemaligen Bewohner:innen der | |
Esso-Häuser? | |
Kretzschmar: Ja, elf Frauen mit Megafonen singen, rappen und sprechen | |
Passagen aus Interviews mit Leuten, die in den Häusern gewohnt haben oder | |
am Planungsprozess beteiligt waren. | |
taz: Sind das dieselben Leute, mit denen Sie vor zehn Jahren gesprochen | |
haben? | |
Kretzschmar: Zum großen Teil ja. Es leben nicht mehr alle, manche habe ich | |
auch nicht mehr finden können. Ich habe mit Leuten von der Initiative | |
Esso-Häuser und [4][von der Planbude] gesprochen, auch mit einem der | |
Architekten. Also mit allen, die irgendwie in diesen Prozessen Lebenszeit | |
investiert haben. Aus ihren Worten habe ich gemeinsam mit der Komponistin | |
Rahel Kraft die Performance erarbeitet, die den Ort mit dem beschallt, was | |
aktuell ist und was dort passieren könnte. | |
taz: Was denn? | |
Kretzschmar: In unserem Stück gibt es zum Beispiel eine | |
Genossenschaftspredigt, um kommunale Formen des Bauens anzurufen, die es in | |
der Vergangenheit gegeben hat und für die es jetzt wieder Zeit ist; die | |
unabhängig von Investoren sind und umsetzen, was ein privater Investor | |
vielleicht nicht leisten kann. | |
taz: Damals stand hinter dem Megafonchor eine Bewegung. Aber die ist weg, | |
oder? | |
Kretzschmar: Wir sind an einem absurden Punkt, der sich sehr unterscheidet | |
von dem, was damals war. Es gibt viel zu wenig Kritik am Vorgehen der | |
Bayerischen Hausbau, auch vonseiten der Stadt, keine Skandalisierung des | |
Vertragsbruchs. Dabei ist es eine irre Form von Scheinpartizipation, aber | |
auch von Immobilienspekulation. Was mich noch mehr ärgert, ist, dass es aus | |
der Hamburger Politik so klingt, als wäre sozusagen diese Wunschproduktion | |
schuld. | |
Wer ist denn schuld? | |
Die Schörghuber-Unternehmensgruppe, zu der die Bayrische Hausbau gehört, | |
hat ihre Geschäftsstrategie geändert. Es gab einen Wechsel in der Führung | |
und weil sich Bauen nicht mehr rentiert, machen sie jetzt „normale“ | |
Finanzinvestitionen. Das Scheitern liegt also nicht daran, dass die | |
partizipative Planung kompliziert wurde oder die Leute zu viel wollten und | |
an der Politik vorbei sich irgendetwas Dummes ausgedacht hätten, was die | |
Mieten in die Höhe treibt. Da möchte ich widersprechen. | |
taz: Und was muss dann passieren? | |
Kretzschmar: Wahrscheinlich müssen wir wieder die Klobürsten in die Hand | |
nehmen wie 2014. Anders geht es wohl nicht. | |
4 Oct 2024 | |
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## AUTOREN | |
Robert Matthies | |
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