# taz.de -- Der Hausbesuch: Sie bringt den Propheten zum Berg | |
> Manchmal hängt Ulrike Bruinings eine Kirche an ihr Auto. Damit tourt sie | |
> durch die evangelische Diaspora im Hochschwarzwald. | |
Bild: Die Schäferwagenkirche auf der Wiese in Falkau | |
Gottesdienst to go? Ja schon irgendwie. Vor allem aber kommt eine Pfarrerin | |
mit einer mobilen Kirche leicht mit Menschen ins Gespräch. Und was könnte | |
mehr verbinden? | |
Draußen: Zwischen den bewaldeten Anhöhen des Hochschwarzwalds liegt eine | |
Wiese. Ein Bach fließt vorbei. Wasser wird umgeleitet in ein blau | |
gestrichenes Becken. Zum Kneippen ist es gedacht, aber die Kinder vom nahe | |
gelegenen Spielplatz planschen lieber darin herum. Auch einen Kiosk gibt es | |
hier, [1][einen Minigolfplatz] und ein Brotbackhäuschen. Manchmal wird es | |
angeheizt, dann kommen die Bewohnerinnen und Bewohner von Falkau, deren | |
Häuser verstreut auf den Anhöhen stehen, um hier gemeinschaftlich zu | |
backen. Gerade steht noch etwas auf der Wiese, ein Schäferwagen, aus dem | |
oben ein Glockenturm ragt. Es ist die Schäferwagenkirche. Seit auch sie in | |
Falkau ist, hat der zersiedelte Ort so etwas wie ein Zentrum. Ein | |
Kirchspiel – für kurze Zeit. | |
Drinnen: In und am Schäferwagen ist alles funktional. Ein paar Schränke, | |
ein Waschbecken, ein mobiler Altar mit Kreuz und einem Gästebuch. Ein | |
Keyboard ist auch dabei und ein Hocker, der wie ein Schaf aussieht. Über | |
der Deichsel ein Kasten, in dem 20 Bierbänke gestapelt sind; sie dienen als | |
Kirchenbänke bei Gottesdiensten. Auf dem Dach neben dem Glockenturm eine | |
Photovoltaikanlage; die Schäferwagenkirche ist in der Dunkelheit | |
beleuchtet. Selbst das Nummernschild ist Konzept. FR-JO-1014, ein Verweis | |
auf das Evangelium des Johannes, Kapitel 10, Vers 14: „Ich bin der gute | |
Hirte und kenne die meinen und die meinen kennen mich.“ | |
Definitionssache: „Sie wollen einen Hausbesuch bei mir machen, aber das ist | |
nicht mein Haus. Es ist Jesu Haus“, sagt Ulrike Bruinings. Sie will wissen, | |
ob das noch ins Konzept passt. Ja, schwierige Frage. Zwar bewohnt sie die | |
Kirche nicht, aber sie behütet sie. Und ihre Schafe? Die sind in alle Winde | |
zerstreut. Bruinings rennt ihnen nach, sie zieht mit der Schäferwagenkirche | |
durch den Schwarzwald. Diese Woche Falkau, davor stand sie auf dem | |
Feldberg, bald ist sie in Breitnau. Wenn der Berg nicht zum Propheten | |
kommt, muss der Prophet zum Berg. | |
Rückbau: Die evangelische Pfarrerin Bruinings, deren Namen einen | |
holländischen Einschlag hat – und es ist ja auch so, ihr Vater kam aus den | |
Niederlanden –, betreut im Hochschwarzwald vier Orte: Titisee, Breitnau, | |
Hinterzarten und die aus mehreren Dörfern zusammengewürfelte Gemeinde | |
Feldberg. „Ein riesiges Einzugsgebiet“ mit 1.200 Mitgliedern. Zählt sie die | |
Leute mit Zweitwohnsitz dazu, sind es 300 mehr. Obwohl es ja [2][eigentlich | |
immer weniger werden]. Die Glaubenszweifel, die Austritte. Als das | |
evangelische Gemeindezentrum in Falkau 2021 mangels Rentabilität in | |
monetärer und auch seelsorgerischer Hinsicht verkauft werden musste, kam | |
die Idee auf, von einem Teil des Erlöses die Schäferwagenkirche | |
anzuschaffen. „Wir wollten den Leuten, denen wir was wegnahmen, etwas | |
zurückgeben“, sagt Bruinings. 46.000 Euro hat die Kirche auf Rädern | |
gekostet, alles inklusive, selbst der TÜV. Bauzeit von der Planung bis zur | |
Fertigstellung: zwei Jahre. | |
Diaspora: Bruinings hatte von solchen mobilen Kirchen gehört. In | |
Eckernförde gibt es eine, in Franken auch, insbesondere als Anlaufstellen | |
für Tourist*innen sind sie gedacht. Dass die im Schwarzwald nun auch | |
eine für die einheimische Bevölkerung ist, hat mit der Diaspora zu tun. | |
Evangelische Kirchenmitglieder im katholisch geprägten Hochschwarzwald, das | |
sind meist die Eingeheirateten, die Zugezogenen, die, die wegen der Arbeit | |
hierher gekommen sind. Wie Ulrike Bruinings und ihre Frau auch. | |
Jugendarbeit: Aufgewachsen ist Bruinings in Windenreute bei Emmendingen, | |
nördlich von Freiburg. Auf so einem Dorf waren die Ablenkungen in den | |
1980er Jahren nicht so zahlreich. Immerhin gab es den Kindergottesdienst | |
und einen Pfarrer, der die Kinder einband, ihnen das Gefühl vermittelte, | |
dass sie wichtig sind. Es wurde gesungen, „immer die gleichen Lieder“ und | |
Orgel gespielt. „Das war unser Ding.“ Und nach dem Erwachsenengottesdienst | |
durften die Kinder vor dem Ausgang Spalier stehen. „Hallo, hier sind wir.“ | |
Später kam die Jungschar, „so cool“, danach leitete sie Jugendgruppen. | |
Jugenddelegierte in der EKD-Synode war sie auch. Die Jugendarbeit kam ihr | |
entgegen, wie ihr heute die Schäferwagenkirche entgegenkommt, denn sie ist | |
ein Outdoormensch. Hundesport, Klettern, Skifahren – sie liebt es. | |
Die Eltern: Es war das Gemeinschaftsprogramm, das Bruinings nah an der | |
Kirche hielt. Von den Eltern sei das nicht ausgegangen. Der Vater, | |
Niederländer, ein Händler, geschieden mit Kind, „was meine Großmutter | |
zeitlebens skeptisch machte“, hatte sich bei der Hochzeit extra taufen | |
lassen, um seinen guten Willen zu zeigen. Erzählt wurde immer das Gleiche, | |
sagt sie: „Dass er bei der Hochzeit einen Krug Wasser über den Kopf | |
geschüttet bekommen hat.“ Die Hochzeitsfrisur: dahin. Die Mutter, aus einer | |
Bauern- und Katechetenfamilie und später Fremdsprachensekretärin, war mit | |
ihrer Mutter am Ende des Krieges aus der Nähe von Breslau geflohen. Die | |
Familie landete in Westfalen. Fünf Menschen in einem Zimmer. „Aber sie hat | |
darüber nie fanatisch getrauert, sondern das ins Verhältnis gesetzt zum | |
Unrecht, das die Deutschen mit dem Weltkrieg verantworten müssen.“ Die | |
Fluchterfahrung der Mutter sei oft Thema, [3][wenn es um Flüchtlinge heute | |
gehe]. | |
Die Familie: Tiermedizin sei eine Option gewesen, aber dann hat Ulrike | |
Bruinings doch Theologie studiert. „Obwohl Theologie im Lesbenzirkus nicht | |
angesagt war.“ Dass sie auf Frauen steht, war ihr früh klar. Auch ihre | |
beiden Schwestern sind mit Frauen verheiratet. „Wenn man der These glaubt, | |
dass es homosexuelle Gene gibt, könnte man in meiner Familie vielleicht | |
fündig werden.“ Auf Familienfeiern hätte sich ihr Vater mitunter etwas | |
verloren gefühlt als einziger Mann, erzählt Bruinings. Einmal hatte sie | |
eine Partnerin gehabt, die einen Sohn hatte. Das habe ihm gefallen, dass da | |
noch einer wie er war. | |
Toleranz: 1974 geboren, ist Bruining jung genug, um von Beginn ihrer | |
Karriere an zu erleben, dass die evangelische Kirche | |
Gleichgeschlechtlichkeit akzeptiert. Schon in ihrem Vikariat, dann neun | |
Jahre als Gemeindepfarrerin in Karlsruhe, bevor sie ihren Traumjob bekam: | |
Landesjugendpfarrerin beim Oberkirchenrat. Da war sie zuständig für die | |
Kinder- und Jugendarbeit. Vermutlich hätte sie in der Hierarchie auch | |
weiter nach oben steigen können. Ob bis zur Bischöfin? „Für eine lesbische | |
Bischöfin wäre die Zeit wohl noch nicht reif.“ Das soll nicht so klingen, | |
als wolle sie das Amt. „Beileibe nicht“, sagt sie. | |
Glauben: Das mit dem Glauben habe sie nie in Zweifel gezogen, sagt | |
Bruinings. Frömmigkeitszweifel indes habe sie wohl. „Als Teenager war ich | |
eine strenge politische Streiterin für Gerechtigkeit“, sagt sie. „Wenn da | |
jemand sehr fromm war, das war mir zu eng.“ Wenn man aus der Botschaft Jesu | |
so ein Korsett stricken kann, dann müsse die Botschaft falsch sein. „Glaube | |
ist eine Einladung, keine Pflicht.“ Auf Beerdigungen spreche sie viel | |
darüber, was danach kommt. „Ist das Leben der einzige Tanz, den wir tanzen, | |
oder ist es nur das Intro?“ Der Vorstellung, dass wir es nicht wissen | |
können, der könne sie sich überlassen. | |
Vehikel: Als vor fünf Jahren die Stelle als Gemeindepfarrerin in | |
Hinterzarten ausgeschrieben wurde, hat Bruinings die Annonce spontan ihrer | |
Frau gezeigt. Die war begeistert. „Da geh ich sofort mit.“ Landschaftlich | |
sei das ein Highlight. Jetzt also hält sie die Gläubigen im Hochschwarzwald | |
zusammen. Da fällt ihr viel ein. Die Schäferwagenkirche ist ein Vehikel für | |
ihre Ideen. Taufen auf dem Feldberg, Campingseelsorge, Jugendfreizeit mit | |
Lagerfeuer und „Schlagerfeuer“, die Kirche immer im Schlepptau. Vergangenes | |
Jahr hat sie sich zudem zur ehrenamtlichen Bergretterin ausbilden lassen, | |
ist Notfallseelsorgerin. Eigentlich sei sie früher eine Ehrgeizige gewesen, | |
„aber da bin ich weg von. Ich will glücklich sein und das, was ich mache, | |
gut machen.“ | |
Politik: Ob sie sich jetzt auch mit so vielen Leuten mit rechten | |
Einstellungen rumschlagen muss? „Na ja, hier hat es eher noch was von | |
Badisch Bullerbü.“ Sie habe mit Seelsorgerinnen im Osten gesprochen, die | |
sich nicht mal mehr trauen, mit Behinderten aufs Land zu fahren, erzählt | |
Bruinings. Das sei im Schwarzwald noch anders. „Das heißt nicht, dass es | |
hier keine Leute gibt, die AfD wählen.“ | |
14 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Waltraud Schwab | |
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