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# taz.de -- Friedrich Schorlemmer ist gestorben: Zweiter Luther in der Lutherst…
> Der ehemalige Studentenpfarrer ist am Montag mit 80 Jahren gestorben. Er
> war in der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung der DDR aktiv.
Bild: Friedrich Schorlemmer, Theologe und Bürgerrechtler, bei „Maybrit Illne…
Seit Montag müssen wir endgültig bedauern, dass ein Friedrich Schorlemmer
die [1][Landtagswahlen in Ostdeutschland] nicht mehr kommentieren kann. Er
hätte gewiss Gültigeres gesagt als viele andere, die nach den hohen
Wahlerfolgen für die AfD sich in hilflosen Erklärungen versuchten. Seit
zwei Jahren mit Parkinson und Demenz kämpfend, endete sein irdisches Leben
nach 80 Jahren in einem Berliner Pflegeheim.
Der unbestechliche Blick des evangelischen Pfarrers knickte vor keinem der
beiden Systeme ab, in denen er lebte. „Zwischen allen Stühlen sitze ich
fest auf der Erde“, könnte man ein Gedicht des DDR-Autors Peter Hacks
bemühen. Schorlemmers Boden und Maß aller Dinge blieben die Versöhnungs-
und Liebesbotschaften Jesu, festgehalten im Neuen Testament. Was eine
Vereinnahmung durch jegliche Staatsform ausschloss, auch die der
freiheitlichen demokratischen Grundordnung.
Damit unterschied er sich vom späteren Bundespräsidenten Joachim Gauck, der
sich ja unmittelbar nach der Wende den Ruf des „Pfarrers Gnadenlos“ erwarb.
Schorlemmer hingegen trat 1999 für einen juristischen Schlussstrich unter
die Vergeltung von DDR-Unrecht ein.
Beiden gemeinsam war der ganz auf die Macht des Wortes vertrauende Stil
ihres Verkündigungsdienstes, analytische Schärfe, systematisches Denken,
Sprachreichtum und rhetorische Brillanz, lutherischen Kanzeldonner
inklusive. Friedrich Schorlemmer ist oft mit Luther verglichen worden, über
den er ein Buch schrieb. Geboren im viel nördlicher gelegenen Wittenberge,
galt er vielen Zeitgenossen als eine Symbolfigur für seinen
Hauptwirkungsort, der Lutherstadt Wittenberg. Und wie Luther war
Schorlemmer ein Reformator wider Willen, weil die Kollision seiner
christlich-humanistischen Grundüberzeugung insbesondere mit dem
kollektivistisch-militanten DDR-Sozialismus revolutionär wirken musste.
Für immer ist mit seinem Namen das legendäre symbolische Umschmieden eines
[2][Schwertes zur Pflugschar] beim Wittenberger Kirchentag 1983 verbunden.
Da war der ehemalige Studentenpfarrer, Dozent am Evangelischen
Predigerseminar und Prediger an der Wittenberger Schlosskirche, längst eine
bekannte Figur der Friedens-, Menschenrechts- und Umweltbewegung in der
DDR. Von 1992 bis 2007 leitete er dann die Evangelische Akademie
Sachsen-Anhalt.
Die Auszeichnung mit dem Bundesverdienstkreuz 2009 änderte nichts daran,
dass Schorlemmer auch auf die Kehrseiten des 1989 von seinen Mitbürgern so
dringend herbeigesehnten westlichen Systems hinwies. „Eine Gesellschaft von
Egoisten, getrieben von der Sucht nach Mehr, kann nicht überleben“, heißt
es beispielsweise in seinem Buch „Die Gier und das Glück“.
1997 unterschrieb er die „Erfurter Erklärung“, die auf mehr Gemeinwohl im
Sinne des Artikels 14 Grundgesetz zielte. Und mit dem Linken-Politiker
Gregor Gysi plauderte er in „Was bleiben wird“ über das misslungene
DDR-Experiment einer solidarisch-gerechten Gesellschaft. Es erscheint
rückblickend nur folgerichtig, dass Schorlemmer im Herbst 1989 vom anfangs
favorisierten CDU-nahen Demokratischen Aufbruch bald zur SPD wechselte.
Parteisoldatentum und öffentliche Ämter aber widersprachen seinem freien
und agilen Naturell. Die Wittenberger hätten ihn gern als Bürgermeister
gesehen. Immerhin führte er bis 1994 die SPD-Fraktion im Stadtrat.
Journalisten schwärmen von Interviews mit Schorlemmer, wenn er sich,
hingerissen vom eigenen Esprit, in Höhenflüge steigerte. Was ihn in den
zahllosen Talkshows auch manchmal etwas eitel erscheinen ließ. Aber seine
Talente stellte er stets in den Dienst einer heute immer mehr in die
Defensive geratenden höheren Sache.
10 Sep 2024
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## AUTOREN
Michael Bartsch
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