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# taz.de -- „The Substance“ im Kino: Das System in die Luft sprengen
> In Coralie Fargeats „The Substance“ tritt Demi Moore gegen eine jüngere
> Version ihrer selbst an. Kompromisslos rechnet der Film mit Jugendwahn
> ab.
Bild: Schonungslos auch mit der Hauptdarstellerin: Demi Moore als Elisabeth Spa…
In der Unterhaltungsindustrie hat Schönheit ein Ablaufdatum. Bei Elisabeth
Sparkle (Demi Moore) ist es der 50. Geburtstag. An jenem Tag wird die
Schauspielerin, die wie ihr Stern auf dem Hollywood Walk of Fame schon
bessere Zeiten erlebte, kurzerhand aus ihrer Fitness-Sendung geworfen. Das
Publikum erwarte einen jüngeren Körper vor der Kamera, man müsse auf die
Quoten achten, und schließlich sei man auch dem Wohlwollen der Aktionäre
verpflichtet. In wenigen Sätzen knallt ihr der widerwärtige Produzent
Harvey (Dennis Quaid) das Ende ihrer Karriere hin.
Die französische Regisseurin Coralie Fargeat lässt in „The Substance“ den
Body-Horror, der sich im Laufe der zweieinhalb Stunden Spielzeit bis ins
Unerträgliche hochschraubt, bereits zu Beginn des Films ausgesprochen
ekelhaft in Erscheinung treten. In einem Nobelrestaurant sitzt Elisabeth
ihrem Chef gegenüber und muss die Schmach des Rauswurfs über sich ergehen
lassen. Die Weitwinkelkamera ist nur wenige Zentimeter von Harveys Gesicht
entfernt, während er sich in Butter getunkte Garnelen in den Mund schiebt
und auf so schmierige wie sexistische Art Elisabeths Karriereende
besiegelt.
Dennis Quaids tiefes und grandios selbstgefälliges Lachen, die Close-ups
seiner fettüberzogenen Lippen und das hochskalierte Schmatzen erzeugen
einen Body-Horror ganz eigener Art. Für Demi Moore sei es gar eine der
ekelerregendsten Szenen des Films, wie sie kürzlich in der Talkshow „Late
Night with Seth Meyers“ erzählte.
## Eine mysteriöse Droge
Als Elisabeth wenig später eine mysteriöse Droge mit dem Namen „The
Substance“ angeboten wird, sieht sie darin den Ausweg aus ihrem Niedergang.
Mit der Droge soll es möglich sein, durch Replikation der eigenen Zellen
eine bessere Version seiner selbst zu werden. Solange man sich an eine
Regel hält: Das alte und neue Selbst müssen sich im Wochentakt abwechseln.
Eine Regel, die selbstredend nicht eingehalten wird.
Ein Telefonat mit einer anonymen Stimme genügt, und nach wenigen Tagen
holt Elisabeth das Paket mit diversen Flüssigkeiten, Spritzen und
Schläuchen in einem Schließfach ab. Damit beginnt der groteske Wahnsinn.
Nach der Injektion der Substanz schält sich aus ihrem aufbrechenden Rücken
ein jüngeres Pendant ihrer selbst heraus.
Das, was folgt, ist eine kompromisslose Abrechnung mit dem Sexismus,
Schönheits- und Jugendwahn einer ganzen Unterhaltungsbranche. Die
„Neugeborene“ mit dem Namen Sue (Margaret Qualley) entspricht mit ihrem
wohlgeformten Körper ganz dem erwarteten Schönheitsideal. Während
Elisabeths nackter Körper in einer Art komatösen Zustand auf dem Boden
ihres Badezimmers liegt, wird Sue als ihre Nachfolgerin für die
Fitness-Show gecastet. Der Chef und seine männliche Entourage sind hin und
weg.
## Pakt mit dem Teufel
Das gigantische Werbebanner vor Elisabeths mondänem Luxusapartment mit
Panoramablick auf Los Angeles ziert schon bald nicht mehr ihr in hautengem
Bodysuit gekleideter Körper, sondern der von Sue. Der Frauenkörper als
schnell auszusortierende Ware. Wer nicht mehr jung und sexy ist, fliegt
raus. Für Elisabeth, die nichts anderes als die sexualisierte Zurichtung
ihres Körpers kennt, ist die Einnahme der Substanz ihr Pakt mit dem Teufel.
Die Welt, die Fargeat uns zeigt, ist eine anachronistische. Die Geschichte
scheint zwar im Jetzt zu spielen, zumindest deuten Smartphones und
Flachbildfernseher darauf hin, doch ein Aspekt fehlt in diesem Kosmos: die
sozialen Medien. Das Showbusiness im Fernsehen ist hier nach wie vor der
dominante Akteur der Unterhaltungsindustrie.
Mit großer Lust am Voyeurismus stellt die Kamera die beiden Frauenkörper
gegenüber. Hier der junge, straffe und makellose Körper von Sue, dort jener
von Elisabeth mit seinen von der Zeit gezeichneten Hautfalten und Dellen.
Den Aufstieg Sues als neuer Star am TV-Firmament zeigt Fargeat dabei mit
provokanten Bildern.
Es ist ein male gaze, den sie mit ihrem Film demontieren möchte und
zugleich perpetuiert. Beim Duschen tastet die Kamera Sues pralle Brüste und
ihre geschwungenen Kurven lustvoll ab, immer wieder wird sie von hinten in
ihren Schritt gefilmt, und wenn sie sich beim Tanzen nach vorne bückt,
starrt die Kamera genüsslich durch die Beine hindurch.
## Überzeichnete Mediensatire
Coralie Fargeats überzeichnete Mediensatire folgt der Logik eines
dramaturgischen Exzesses, der für seine Figuren weder Läuterung noch
Erbarmen kennt. Vielmehr möchte der Film das ganze System in die Luft
sprengen. Das ist über weite Strecken enorm unterhaltsam und man schlägt ob
der wahnwitzigen, geradezu hanebüchenen Ideen, mit denen Fargeat Elisabeths
Körper malträtieren lässt, die Hände über den Kopf. Der Body-Horror, der in
grandios durchgestylten und beengten Kulissen in Szene gesetzt wird, baut
sich immer weiter auf, ehe er in einem großen Finale eskaliert.
[1][Demi Moore, die in den letzten Jahren kaum mehr in großen Kinorollen zu
sehen war], feiert mit ihrer schonungslosen Darbietung ein fulminantes
Comeback. Dabei verliert sich der überlange Film zuweilen in Redundanzen.
Fargeat, die für „The Substance“ in Cannes den Preis für das beste Drehbu…
gewann, verbeugt sich unverhohlen vor den großen Klassikern des Horrors.
Das Overlook Hotel in Stanley Kubricks „The Shining“ wird ebenso zitiert
wie Brian De Palmas furiose Blutorgie in „Carrie“.
„The Substance“ ist ein unverschämtes und ausschweifendes Stück Genrefilm,
das jegliche Form von Zurückhaltung und Nuanciertheit über Bord wirft. Das
mag man entweder als ein großartiges, bitterböses Spektakel goutieren oder
als eine etwas substanzlose Medienkritik abtun.
18 Sep 2024
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## AUTOREN
Tobias Obermeier
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