# taz.de -- Romanverfilmung „Ellbogen“: In diesen Club kommt sie nicht | |
> Sowohl in Berlin als auch in Istanbul fühlt sich Protagonistin Hazal | |
> fremd. Aslı Özarslan hat den Roman „Ellbogen“ von Fatma Aydemir verfilm… | |
Bild: Wo gehört sie hin? Melia Kara als Hazal in „Ellbogen“ | |
Eine der zu wenig beklagten Geißeln unserer Zeit ist das Hadern mit der | |
Autokorrektur. Wenn die 17-jährige Berlinerin Hazal Akgündüz (Melia Kara) | |
ihren Namen auf ein Bewerbungsschreiben tippt, dann macht die Autokorrektur | |
daraus „Hatzl Agenda“. Die genervte Reaktion der jungen Frau in Kombination | |
mit der Routiniertheit, mit der sie den Cursor zurückbugsiert und | |
ausbessert, was vorher ja schon richtig dagestanden hatte, lässt darauf | |
schließen, dass sie solche Reaktionen gewöhnt ist, von Maschinen und von | |
Menschen genauso. | |
Mehr noch, sie ist daran gewöhnt, dass ihr an banalsten Stellen des Alltags | |
gezeigt wird, dass sie, die gebürtige Berlinerin, zu Hause im Wedding, | |
irgendwie doch nicht wirklich dazugehört. | |
Auf ein anderes Bewerbungsschreiben – Hazal ist mit der Schule fertig und | |
sucht dringend einen Ausbildungsplatz – schreibt sie in die Spalte | |
Muttersprache zuerst „Türkisch“. | |
Dann überlegt sie und verbessert: Deutsch und Türkisch, wobei wichtig zu | |
sein scheint, dass „Deutsch“ an erster Stelle steht. Nicht für sie, die | |
17-Jährige aus dem Wedding, sondern vermeintlich für die Welt da draußen, | |
die ihr das Hierhergehören dennoch nicht zugesteht. | |
Preisgekrönter Debütroman | |
Aslı Özarslan, selbst 1986 in Berlin geboren, inszeniert in ihrer | |
Verfilmung des [1][preisgekrönten Debütromans von Fatma Aydemir], | |
ihrerseits 1986 in Karlsruhe geboren, viele solcher Be- und | |
Entfremdungsmomente. Es ist eine von jedem nachvollziehbare Erfahrung, dass | |
die Häufung solcher kleiner, für sich gesehen banaler Vorkommnisse sich | |
addieren können. | |
Zumal die Zeit der Suche nach einem Ausbildungsplatz von der deutschen | |
Gesellschaft ganz allgemein so eingerichtet scheint, den Jugendlichen auf | |
möglichst demütigende Weise zu zeigen, wo ihre Stellung ist. | |
Im Bewerbungstraining wird mit ihnen geübt, souverän zu erscheinen, ihre | |
Stärken zu betonen. In der Realität reicht den Arbeitgebern wie im Fall von | |
Hazal oft der Name, sprich die Angabe eines „Migrationshintergrunds“, um | |
„mangelndes Allgemeinwissen“ zu konstatieren. | |
So kommt also für Hazal das eine zum anderen. Ablehnungen bei der | |
Ausbildungsplatzsuche; eine Mutter, die Stress macht und sie zwingen will, | |
bei einer Bekannten im Salon zu arbeiten, ohne die Chance auf Ausbildung. | |
Dann wird sie beim Klauen einer Kleinigkeit erwischt, von einem sich betont | |
machohaft gebenden Kaufhausdetektiv, der wiederum an ihrem Namen scheitert, | |
um dann umso mehr aufzutrumpfen von wegen den „hier geltenden Regeln“, an | |
die sie sich anpassen müsse – eine Art der verbalen Ausweisung, die den | |
sich „richtig deutsch“ Fühlenden so leicht über die Lippen kommt. | |
Abgewiesen vom Türsteher | |
Und dann geht auch noch der Plan schief, wie sie ihren 18. Geburtstag hatte | |
feiern wollen: Sie und ihre zwei besten Freundinnen brezeln sich nach allen | |
Regeln der Kunst auf, um in einem angesagten Club eingelassen zu werden – | |
und werden abgewiesen. | |
Es ist eine Erniedrigung der eigenen Art: Von einem Türsteher bewertet und | |
für nicht passend erachtet zu werden. Ein ekliges Gefühl des Unwertseins, | |
des Sich-abgewertet-Fühlens, der tiefen Demütigung. Betroffen und wie um | |
ihre Lebendigkeit gebracht, gehen die drei Mädchen zum U-Bahnhof, wo sie | |
ein betrunkener Student anmacht, aufdringlich, wenn auch ziemlich harmlos. | |
Aber es reicht, um bei den Mädchen etwas überlaufen zu lassen. Und es ist | |
spannend, einmal am Beispiel von jungen Frauen dargestellt zu bekommen, was | |
man sonst im Kino nur mit Männern erzählt: Wie sich die Erfahrung von | |
Demütigung in Aggression umwandelt, in physische Stärke. Und dann sogar in | |
den Genuss der Aggression. | |
Die Mädchen prügeln den Typen nieder; die Kamera (Andaç Karabeyoğlu) hält | |
auf sie drauf und zeigt, wie sie sich „spüren“, sich für einen Moment | |
wenigstens überlegen fühlen. Dann gibt es ein böses Erwachen. | |
Neuer Ort, neue Tonlage | |
Der Film wechselt danach nicht nur seinen Handlungsort, sondern auch seine | |
Tonlage. Hazal flieht vor den möglichen rechtlichen Konsequenzen ihrer Tat | |
nach Istanbul. Dort hat sie einen Freund, den sie bislang nur über Facebook | |
und Videochat kannte, Mehmet, der aus nebligen Gründen ebenfalls von | |
Deutschland in die Türkei fliehen musste. | |
In Istanbul streift Mehmet sich seine deutsche Identität bei der Arbeit im | |
Callcenter wie eine raffinierte Betrugsnummer über: „Guten Tag, mit ihnen | |
spricht Daniel Schreiber. Was kann ich für Sie tun?“ Als Hazal ihn mit | |
ihrem Besuch überrascht, wirkt er bereits wie ertappt. Zwar lässt er sie | |
bei sich in der Wohnung wohnen, die er mit einem politisch aktiven | |
Mitbewohner teilt, aber eine gewisse beidseitige Enttäuschung ist | |
unübersehbar. | |
Obwohl eigentlich so frei wie noch nie in ihrem Leben, scheint Hazal in | |
Istanbul noch mehr verloren als in Berlin. Sie muss entdecken, dass Mehmet | |
hinter seiner Fassade der Coolness eine banale Drogensucht versteckt. Sein | |
Mitbewohner schaut auf sie herab, weil sie politisch so wenig Ahnung habe. | |
Und dessen Freundin demütigt Hazal aus Versehen oder auch absichtlich mit | |
Bemerkungen über ihren „Akzent“ im Türkischen. | |
Rare Momente des Glücks | |
Für die gängige Filmerwartung mag „Ellbogen“ in dieser zweiten Hälfte an | |
Tempo und Fokus verlieren, tatsächlich aber gibt genau das die Erfahrung | |
von Hazal passgenau wieder. Wenige rare Momente des Glücks lösen sich ab | |
mit einem sich verschärfenden Gefühl des Fremdseins: In den angesagten Club | |
in Istanbul kommt sie ohne Probleme hinein; kurz geht sie hier im Tanzglück | |
zu Techno-Beats auf, bevor der Blick auf das Expat-Milieu um sie herum ihr | |
anzeigt, dass sie auch hier nicht wirklich hingehört. | |
Ihre Tante – deren Rolle im Film zu wenig ausgeschrieben ist, um mehr als | |
nur Stichwortgeberin zu sein – reist aus Berlin an, um ihr Mut zu machen, | |
sich zu stellen. Sie könne die eventuelle Haftzeit doch nutzen, um das | |
Abitur nachzuholen. Die Hazal, die man im Film kennenlernte, kann darauf | |
nur mit Ablehnung reagieren. Sie will auf keinen Fall „Opfer“ sein. Lässt | |
sich datieren, wann der Gebrauch von „Opfer“ als Demütigungsschimpfwort so | |
gängig wurde? | |
Melia Kara als Hazal verleiht mit ihrer impulsiven, instinkthaften | |
Verkörperung dem Trotz dagegen eine Authentizität, die man durch kein | |
Besserwissen widerlegen kann. Hazal wird es schwer haben im Leben; mit | |
diesem Film 86 Minuten in ihrer Haut zu verbringen, ist ein lehrreicher | |
Perspektivwechsel. | |
3 Sep 2024 | |
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## AUTOREN | |
Barbara Schweizerhof | |
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