| # taz.de -- Pro und Contra Koriander: Kontroverses Kraut | |
| > Die einen vergöttern ihn, die anderen finden ihn widerlich. Er steht für | |
| > Weltläufigkeit – und arrogante Feinschmecker-Hipster. Ist Koriander gut? | |
| Bild: Für manche ein Alleskönner, für andere nur seifig: Koriander | |
| PRO | |
| Es ist die Krönung auf einem feurigen Taco an einem Marktstand in | |
| Mexiko-Stadt, die großartige Garnierung eines Madras-[1][Currys] an der | |
| tamilischen Küste, das perfekte Gewürz für eine Pho in Hanoi. Und | |
| hierzulande nichts Geringeres als ein Politikum: Denn Koriander | |
| polarisiert. | |
| Zu Unrecht. Das zärtliche grüne Kraut ist aromatisch, frisch, zitronig. | |
| Gemahlene Korianderkerne bringen jede Gewürzmischung zum Glänzen. Es mag | |
| zwar nicht der Headliner eines Gerichts sein, aber die Vorband ist | |
| bekanntlich eh oft besser als der Main Act. Das spricht für die | |
| Bescheidenheit des Korianders: Er erzeugt große Wirkung mit wenigen | |
| Mitteln. Er ist effizient. Doch in Deutschland ist er oft ein | |
| missverstandenes, sogar verhasstes Kraut. Dass er manchen Deutschen nicht | |
| schmeckt, dafür kann er nichts. | |
| Die Szenen dürften vielen Leser*innen vertraut sein: Eine Alman-Gruppe | |
| betritt ein asiatisches Restaurant und das einzige, was sie mehr ins | |
| Schwitzen bringt als die Chili-Symbole neben manchen Gerichten auf der | |
| Speisekarte, ist die schiere Angst, dass ihr Abendessen damit gewürzt wird. | |
| Koriander? Nein danke. Einmal komplett ohne Geschmack bitte. Oder kann man | |
| hier eigentlich nicht einfach ein Schnitzel bestellen? | |
| Klugscheißer werden diese Abneigung auf die Genetik schieben. Einer Studie | |
| von 2012 im wissenschaftlichen Journal „Flavour“ zufolge könnte das Gen | |
| OR6A2 dafür verantwortlich sein. Menschen, die das sogenannte | |
| „Koriander-Gen“ hätten, [2][schmeckten das seifige Aldehyd in den | |
| Blättern], so die Studie. Bedeutende Nachweise dafür gibt es allerdings | |
| nicht. Eine andere Studie von 2012, ebenfalls im „Flavour“ erschienen, legt | |
| stattdessen nahe: Entscheidender sei unser kulturelles Umfeld. | |
| So oder so sieht es schlecht aus für die Deutschen. Denn hierzulande gibt | |
| es verdächtig viele Korianderhasser. Und damit beweisen die Deutschen | |
| einmal mehr ihre Weltverschlossenheit. Mexikanische Tacos? Indischer Curry? | |
| Vietnamesische Pho? Fehlanzeige, zumindest nach „authentischer“ | |
| Zubereitung. Deutschland bleibt damit die unexotische Öde schlechthin, | |
| deren kulinarische Kultur in Königsberger Klopsen, Bretzeln und Haribo | |
| gipfelt. Und entweder liegt das an den Genen. Oder an der Kultur. | |
| Möglicherweise an beiden. Nicholas Potter | |
| CONTRA | |
| Karl Konrad Koriander heißt der geheimnisvolle Antiquar aus der | |
| [3][Unendlichen Geschichte von Michael Ende], der Bastian auf die Reise | |
| nach Phantasien schickt. Ein ehrwürdiger, besonderer Name, der Autorität | |
| ausstrahlt. Ein wenig poetisch, ein wenig merkwürdig, auf jeden Fall etwas | |
| für Eingeweihte. | |
| In meiner Kindheit in den 80er Jahren gab es außer in dem Buch noch keinen | |
| Koriander. Allenfalls Petersilie, etwa in der Suppe oder in der Wurst vom | |
| Metzger, aber die hab ich selbstverständlich schon damals, wie alles, was | |
| grün war, abgelehnt. | |
| Menschen hingegen, die Koriander mögen, meditieren morgens in ihrer | |
| reduziert eingerichteten Altbauwohnung auf ihrer Baumbusmatte, neben sich | |
| einen tönernen Becher erlesensten Pu Erh Tees. Die Klangschale schwingt, | |
| der Atem fließt, das Chi wird sanft geweckt. Dann wird es auch schon Zeit | |
| für eine Pho Bo Bowl beim Vietnamesen um die Ecke. Natürlich mit ordentlich | |
| Koriander garniert. Es sind weltläufige und feinschmeckerische Menschen, | |
| die ihr Essen entschleunigt genießen. Von ihren Reisen durch Südostasien | |
| wissen sie um das geheimnisvolle Aroma und die Bedeutung des Koriander. Sie | |
| gehören zu den Eingeweihten. | |
| Ich hingegen gehöre zu den Menschen, die dies Grünzeug schlicht widerlich | |
| finden. Was man ja eigentlich auch wieder nicht soll, Essen als „widerlich“ | |
| zu betiteln. Menschen, die Koriander mögen, würden das nicht tun. | |
| Leute wie ich, die sich wohl oder übel dem Team Ketchup oder [4][Maggi] | |
| zuordnen müssen, sind da nicht so feinsinnig. Bei uns funktioniert nur | |
| zusammengepanschte, industriell gefertigte Massenware, die man wahllos über | |
| jede Mahlzeit schüttet, damit die Geschmacksknospen überhaupt was | |
| mitkriegen, während man das Zeug in sich reinschlingt. Nur halt eins bitte | |
| nicht: Koriander. | |
| Schon ein paar Blättchen davon können jedes noch so schmackhafte Essen mit | |
| diesem ekelhaft penetranten Gemisch aus überdüngter Petersilie und ja, | |
| Seife, geradezu verseuchen. | |
| Aber offenbar liegt meine Abneigung gar nicht mal so sehr an meiner | |
| Unkultiviertheit, denn wie eine Kollegin von ihrem Freund weiß, der Biologe | |
| ist, gibt es ein Gen, das dafür verantwortlich ist, Koriander nicht zu | |
| schätzen. Ein Geruchsrezeptor mit dem sehr prosaischen Namen OR6A2 | |
| entscheidet darüber, ob man Koriander als seifig empfindet oder nicht. Es | |
| sei, so die Kollegin weiter, wie mit dem Spargelpipi, der bei manchen | |
| Leuten und bei anderen eben nicht, nach Spargelpipi riecht. Sunny Riedel | |
| 12 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nicholas Potter | |
| Sunny Riedel | |
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