# taz.de -- Die Hamburger Linke nach der Spaltung: Auf Scheidung folgt Wahlkampf | |
> Linkspartei und BSW stehen nun in Konkurrenz: Wie sind sie mit Blick auf | |
> die Hamburger Bürgerschaftswahl in sechs Monaten aufgestellt? | |
Bild: Hoch oder runter? Wo es mit der Linken in Hamburg hingeht, ist noch nicht… | |
Hamburg taz | Es ist verblüffend ruhig und aufgeräumt. Nicht die Räume der | |
Hamburger Linksfraktion mitten in der parlamentarischen Sommerpause, | |
sondern der Landesverband der Partei an sich. Mit wem man auch spricht – | |
die Stimmung ist gelassen, geradezu optimistisch. Das überrascht, denn die | |
Umstände schreien nach Chaos: Drei Mitglieder ihrer Fraktion in der | |
Hamburgischen Bürgerschaft hat die Linke [1][seit Anfang der | |
Legislaturperiode verloren.] Ihre einzige Abgeordnete im Deutschen | |
Bundestag wanderte vergangenen Herbst in das Bündnis Sahra Wagenknecht | |
(BSW) über. | |
Und auch der bundesweit wohl prominenteste Hamburger Ex-Linke, Fabio de | |
Masi, trat bei der Europawahl als Spitzenkandidat für das BSW an, nachdem | |
er seinem Hamburger Landesverband schon 2022 den Austritt erklärt hatte. | |
Diese Woche sorgte es zwar für Euphorie, dass sich mit Jan van Aken und | |
Ines Schwerdtner zwei (ehemalige) Hamburger dazu bereit erklärten, den | |
Bundesverband der Partei als zukünftige Vorsitzende retten zu wollen. In | |
Hamburg selbst sieht die Lage dennoch weiter kritisch aus – zumindest auf | |
den ersten Blick. | |
„Die Arbeit der Bürgerschaftsfraktion wurde durch den Verlust der drei | |
Abgeordneten nicht erschwert“, versichert Heike Sudmann aus dem | |
Fraktionsvorstand. Zwar würden nun offensichtlich mehr Aufgaben auf den | |
einzelnen Mitgliedern der Fraktion lasten. Für die Zusammenarbeit sind die | |
Abgänge jedoch eher eine Erleichterung, so scheint es durch. | |
## Krieg und Frieden | |
Mit den Abgeordneten hatte es vorher jeweils kleinere und größere Konflikte | |
gegeben. Sie stehen stellvertretend dafür, woran und in welchen Wellen die | |
Linkspartei sich in den letzten Jahren entzweite: Ein Vorbote war dabei die | |
Coronapandemie, bei der der Abgeordnete Mehmed Yildiz | |
verschwörungstheoretische und impfgegnerische Positionen einnahm. Endgültig | |
spalteten sich jedoch alle drei Abgeordneten im Zusammenhang mit dem | |
russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine von ihrer Partei ab. | |
Im Gespräch mit der taz betonen alle drei, dass die Partei sich aus ihrer | |
Sicht nicht ausreichend für Frieden und Verhandlungen mit Russland | |
einsetzen würde. Zudem sei die Linke keine sozialistische Partei mehr. | |
Diese inhaltlichen Gründe mögen richtig sein, sind aber wohl nur ein Teil | |
der Wahrheit. Wie Yildiz verließen auch Metin Kaya und Martin Dolzer die | |
Partei erst dann, als es ein politisches Alternativangebot gab: Kaya schon | |
im letzten November, kurz nachdem sich das BSW – damals noch als Verein – | |
offiziell vorgestellt hatte. | |
Yildiz und Dolzer verkündeten ihren Austritt schließlich mit einer | |
gemeinsamen Mitteilung an genau dem Tag der finalen Parteigründung des BSW | |
im Januar. Yildiz behauptet im Gespräch mit der taz, das Datum sei „Zufall“ | |
gewesen. Sein Co-Unterzeichner Dolzer wiederum sagt: „Es war ein politisch | |
bewusst gewählter Tag, um das Versagen der Linkspartei zu verdeutlichen.“ | |
Bisher ist erst Metin Kaya Mitglied im BSW. Aber auch Mehmed Yildiz und | |
Martin Dolzer schließen eine perspektivische Zusammenarbeit oder | |
Mitgliedschaft nicht aus. Dies ist laut Dolzer „von Dynamiken und | |
Gesprächen abhängig“. | |
## Basis und Überbau | |
Bereits jetzt arbeiten die drei Abgeordneten zusammen und veröffentlichten | |
gemeinsame Erklärungen. Und inzwischen steht auch fest: Wenn sie wollen, | |
ist es ihnen rechtlich möglich, eine offizielle Abgeordneten-Gruppe in der | |
Bürgerschaft zu gründen. Dadurch hätten sie im Parlament mehr Rechte als | |
einzelne fraktionslose Abgeordnete. Über die Ausgestaltung dieser | |
potenziellen Gruppe besteht allerdings noch Uneinigkeit: Während Kaya als | |
BSW-Mitglied auch eine BSW-Gruppe gründen will, scheinen Dolzer und Yildiz | |
aktuell eher einen parteiunabhängigen Zusammenschluss anzustreben – | |
jedenfalls, so lange sie selbst noch nicht Mitglieder des BSW sind. | |
Final wird sich die Gruppenfrage voraussichtlich nach der parlamentarischen | |
Sommerpause klären, sagen alle drei der taz. Es könnte entscheidend dafür | |
sein, ob und in welcher Aufstellung das BSW bei den Wahlen für die | |
Hamburgische Bürgerschaft im kommenden Frühjahr antritt. | |
Die Linkspartei sieht ihrer potenziell größten Konkurrentin gelassen | |
entgegen. „Es gibt gerade ja noch gar nichts, wogegen wir uns abgrenzen | |
müssten – meines Wissens nach nicht einmal einen Landesverband“, sagt der | |
Co-Landessprecher Thomas Iwan im Gespräch mit der taz. „Deshalb fokussieren | |
wir uns nicht auf das BSW, sondern auf unsere eigenen Inhalte und die | |
Arbeit in den Stadtteilen. Das hat auch bei den Bezirkswahlen funktioniert, | |
bei denen der Hamburger Landesverband im bundesweiten Vergleich gut | |
abgeschnitten hat.“ | |
Auch Heike Sudmann sagt: „Die große Stärke unserer Fraktion ist, dass die | |
Abgeordneten enorm vernetzt in ihren Bezirken sind und über das Parlament | |
hinaus wirken. Das BSW ist dem überhaupt nicht gewachsen.“ | |
## Warten auf die Ost-Wahlen | |
Für den Aufbau eines BSW-Landesverbandes in Hamburg ist derweil offiziell | |
[2][Zaklin Nastic] zuständig, die auch im Bundesvorstand der Partei sitzt. | |
Einer ihrer engsten Verbündeten dabei dürfte eigentlich Metin Kaya sein, | |
der jedoch offenbar nicht viel Entscheidungsmacht hat: Im Gespräch mit der | |
taz verweist er immer wieder auf den Bundesvorstand der Partei und Zaklin | |
Nastic. Die ist jedoch für ein Gespräch mit der taz über Wochen hinweg | |
nicht zu erreichen. | |
Die Parteigründung könnte sich in Hamburg aus zwei Gründen verzögern: Zum | |
einen, das sagt auch Kaya, will sich das BSW aktuell ganz auf die | |
Landtagswahlen im Osten fokussieren. Es könnte sein, dass bundesweit keine | |
weiteren Landesverbände gegründet werden, bis diese rum sind. Zum anderen | |
geht das Gerücht um, dass es schon vor der Gründung gekracht hat im | |
Hamburger BSW: In der zweiten Reihe sollen unter anderem der ehemalige | |
Linken-Schatzmeister Christian Kruse und Torsten Teichert für den | |
Parteiaufbau zuständig gewesen sein. | |
Teichert war einst persönlicher Referent des Hamburger Bürgermeisters Klaus | |
von Dohnanyi, der ebenfalls vor einigen Wochen groß ankündigte, das BSW | |
unterstützen zu wollen. Er gilt als Organisationstalent, eigentlich ein | |
Geschenk für die Partei. Jetzt soll er jedoch im Streit hingeschmissen | |
haben, noch bevor es richtig losging. Für ein Gespräch mit der taz ist | |
Teichert nicht zu erreichen. | |
Wie viele Personen in Hamburg bereits Mitglied im BSW sind, lässt sich | |
nicht in Erfahrung bringen. Bundesweit hatte die Partei im Juni nur etwa | |
650 Mitglieder – dafür aber 8.000 Mitgliedsanträge und 17.000 registrierte | |
Unterstützer. Das BSW setzt auf einen Parteiaufbau von oben und will nur | |
handverlesene Mitglieder in die Partei lassen, um zu verhindern, dass die | |
von der Spitze vorgegebenen Inhalte basisdemokratisch verändert werden. | |
Daher ist auch das Mitgliederpotenzial in Hamburg schwer einschätzbar. | |
## Jung gegen Alt | |
So oder so muss man feststellen: Die Austritte infolge der Gründung des BSW | |
haben der Linkspartei in Hamburg unterm Strich nicht geschadet. Im ersten | |
Halbjahr 2024 sind 80 Mitglieder ausgetreten – und mit 170 Menschen mehr | |
als doppelt so viele neu dazugekommen. Aktuell zählt der Landesverband mehr | |
als 1.700 Mitglieder. | |
Einer, der kürzlich erst dazugekommen ist, ist der 26-jährige Nico | |
Paustian. „Die Partei von Sahra Wagenknecht mit ihren migrationsfeindlichen | |
Positionen ist für mich Teil eines gesellschaftlichen Rechtsrucks“, sagt er | |
im Gespräch mit der taz. „Dagegen wollte ich etwas tun.“ Da die Linksjugend | |
Solid in Hamburg schon seit Langem zerstritten und in der Öffentlichkeit so | |
gut wie unsichtbar ist, wollte Paustian ein alternatives Angebot für junge | |
Menschen schaffen: Zusammen mit drei weiteren gründete er im vergangenen | |
Jahr in seinem Bezirk Altona die „Junge Linke“. Eine Gruppe unter demselben | |
Namen hatte sich vorher schon im Bezirk Eimsbüttel gegründet. | |
Als Paustian das Projekt startete, war er noch nicht einmal Mitglied in der | |
Linkspartei. Im Dezember trat er dann doch bei. „Wir wollen als junge | |
Menschen ja auch echten Einfluss auf die Partei ausüben können“, begründet | |
er diesen Schritt. | |
Obwohl die Junge Linke Altona noch nicht einmal ein Jahr besteht, ist sie | |
bereits sehr aktiv und organisiert monatlich mehrere Veranstaltungen. Damit | |
erreicht sie auch junge Menschen, die noch nicht Parteimitglied bei den | |
Linken sind. Ende Juli fuhr eine Gruppe aus sieben Personen von ihnen nach | |
Leipzip, um den Landtagswahlkampf der Linken in Sachsen praktisch zu | |
unterstützen. | |
Die Linke hat damit etwas, was sich in Bezug auf das BSW in Hamburg nicht | |
erkennen lässt: Junge Menschen, die noch keine gescheiterten | |
Parteikarrieren hinter sich haben und die motiviert sind, der Partei von | |
unten in rosigere Zeiten zu verhelfen. Auch wenn das BSW bereits jetzt | |
namhafte Stadtbürger zu seinen Unterstützern zählen kann, ist ein [3][Klaus | |
von Dohnanyi] eben auch schon 96 Jahre alt. | |
Das kann in den beiden Wahlkämpfen im nächsten Jahr entscheidend werden, | |
denn große Namen allein werden da nicht reichen – dafür ist Hamburg als | |
Stadtstaat dann doch zu klein und persönlich. Und so haben beide Parteien | |
bei all ihren Unterschieden dann doch eine Gemeinsamkeit: Sie stehen vor | |
einem ganzen Batzen Arbeit. | |
24 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Linksfraktion-in-Hamburg-verliert-Sitz/!6013626 | |
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## AUTOREN | |
Marta Ahmedov | |
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