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# taz.de -- Geburtstag von Caspar David Friedrich: Als wäre die Zeit angehalten
> Am 5. September vor 250 Jahren wurde Caspar David Friedrich geboren.
> Warum erfasst gerade dieser Maler die Betrachtenden bis heute so?
Bild: Caspar David Friedrich: Böhmische Landschaft mit dem Milleschauer. 1808.…
Um Caspar David Friedrich gibt es jetzt zum 250. Geburtstag einen durch die
Medien angeheizten Hype. Unzählige Ausstellungen jagen einander, größere
und kleinere. [1][Erst Hamburg] mit mehr als 300.000 Besuchern, dann Berlin
ähnlich erfolgreich, als dritte große folgte die gerade laufende Dresdener
Ausstellung, schon die Vorbuchungen schlugen alle Rekorde.
Kleinere und mittlere Ausstellungen in Winterthur, Schweinfurt oder in
Greifswald, Friedrichs Geburtsstadt, wollten nicht verzichten. In
Greifswald hat die ganze Stadt das Jahr über die Friedrichmütze auf mit
ungezählten Veranstaltungen. Die Glasfenster im Greifswalder Dom von Ólafur
Elíasson rufen Friedrichs Himmelsfarben auf, vielleicht der schönste und
vor allem bleibendste Beitrag zum Friedrichjahr.
Doch diesmal springt Caspar David Friedrich auch über die Grenzen (was
nicht selbstverständlich ist). Stockholm hat reagiert, vor allem aber will
am Beginn des kommenden Jahres das Metropolitan Museum in New York alles
Gewesene überbieten, und gebauchpinselt leihen die deutschen Museen aus,
was das Zeug hält. Dabei besitzt das Metropolitan Museum einen einzigen
Friedrich, eine Wiederholung des Dresdener Gemäldes „Zwei Männer in
Betrachtung des Mondes“. In Berlin konnte man sehen, dass es noch weitere
Wiederholungen gibt.
Um sich jedoch weiter auszuweisen, scheint das Metropolitan Museum sich um
das gerade beim Kunstauktionshaus Grisebach versteigerte sogenannte
Karlsruher Skizzenbuch bemüht zu haben. Ärgerlicherweise für die New Yorker
ist es in der Folge zum nationalen Kulturgut erklärt worden und darf
Deutschland nicht mehr verlassen.
Drei deutsche Museen teilen sich mit Hilfe der Siemens Stiftung nun den
Segen. Sicher hat das Medieninteresse, der unendliche Ausstellungsparcours
und eine nicht enden wollende Publikationstätigkeit, mit dem Bestseller von
Florian Illies im Zentrum, den Hype mitproduziert, aber reicht das als
Erklärung für den Ansturm?
## Wiederbelebung um 1890
Bevor wir darüber reflektieren wollen, sind einige historische Überlegungen
am Platz. Schon zu Lebzeiten geriet Friedrich in finanzielle
Schwierigkeiten, außer an die Zarenfamilie und den russischen
Prinzenerzieher Wassili Shukowski verkaufte er kaum noch etwas. Nach seinem
Tod 1840 geriet er mehr oder weniger in Vergessenheit.
Es bedurfte einer Wiederbelebung, sie unternahm der Norweger Andreas Aubert
in den 1890er Jahren. Auf der Suche nach Werken seines Landsmannes Johan
Christian Clausen Dahl kam er nach Dresden. Da Dahl mit Friedrich an der
Elbe im selben Haus gewohnt hat, musste er über Friedrich stolpern. Aubert
entdeckte Friedrich für sich und begann zu forschen.
Diese Entdeckung hat die riesige sogenannte Jahrhundertausstellung von 1906
(die Berliner Friedrich-Ausstellung hat die Zusammenhänge dokumentiert)
fortgeschrieben. Fast hundert Werke Friedrichs, Gemälde und vor allem
Zeichnungen, waren ausgestellt, und die deutschen Museen fingen an zu
kaufen.
Nach dem Ersten Weltkrieg wie auch nach dem Zweiten erfüllte nicht etwa
Friedrich die Trostfunktion mit seinen stillen, zumeist handlungslosen
Bildern, sondern der eher kleinbürgerliche Ludwig Richter. Dass Friedrichs
Bilder nach 1945 Schwierigkeiten hatten, an die Erfolge nach 1900
anzuknüpfen, ist leicht zu erklären. Die Nazis hatten ihn als den Inbegriff
des Deutschen für sich vereinnahmt. Davon musste er sich erst erholen.
## Wettbewerb der Deutungen
Die 1968er und die DDR-Kunstgeschichte entdeckten den politischen
Friedrich, die klassische Kunstgeschichte des Westens primär den
religiösen. Deutungswettbewerbe entstanden. Dass man sich nicht einigen
konnte, liegt schlicht daran, dass Friedrichs Bilder wie eine Fibel gelesen
wurden: Dieser Gegenstand steht definitiv für jenes religiöse Symbol. Nein,
ganz falsch wurde gerufen, er ist politisch zu lesen im Sinne der Symbolik
der Freiheitskriege und [2][des Vormärzes.] Für beides konnten Gründe
angeführt werden. Was tun?
Die Lösung des Problems scheint nicht so schwer zu finden zu sein, wenn man
akzeptiert, dass auch das zeitweise nicht zu leugnende Politische bei
Friedrich religiös überformt ist. Politische Erneuerung war für Friedrich
nur zu denken auf dem Weg über eine protestantische religiöse Reform.
So weit, so gut, aber wie ist bei alledem die breite Faszination von
Friedrichs Bildern zu erklären?
Nun müssen wir für einen Moment ernst werden. Friedrichs Bilder sind in der
Tat auf besondere Wirkung hin angelegt. Die vorwaltende Handlungslosigkeit,
als wäre die Zeit angehalten, fesselt uns vor dem Bild. Ist das Bild zudem
noch eher achsensymmetrisch angelegt, womit alle dargestellten Gegenstände
auf die senkrechte Mittelachse bezogen sind, wird der Eindruck des
vorsichtig Festgelegten noch verstärkt. Seit dem Mittelalter ist dies eine
höchst ungewöhnliche Form, ursprünglich ikonischen religiösen Bildern
vorbehalten.
Bei Friedrich führt dieses Bildordnungsprinzip – weitere Prinzipien sind
gleich zu nennen – dazu, dass wir vor dem Bild verharren und fragen, was
uns die zarte, aber intensive farbige Fassung der Bilder zu sagen hat. Die
vom Bild gestiftete Stimmung erfasst auch uns.
## Die Bilder fordern Versenkung
Gehen wir davon aus, dass Friedrichs Bilder Versenkung fordern, man sich
ihnen überlassen soll, dann kommen sie zur Wirkung. Man muss nicht genau
sagen können, was einen vor ihnen festhält. Dass da aber etwas Besonderes
ist, meint man zu spüren. Der Kunsthistoriker ist dann gefordert, dieses
Erspürte weiter zu verifizieren.
Man kann es ganz einfach sagen: Es ist die subkutan spürbare Bildordnung,
die die Betrachtenden bindet. Die Bildordnung ist, so heißt es bei einem
Freund Friedrichs, etwas Vorgängiges, das zu Beginn dem Bild zugrunde zu
legen ist. Es ist dann allerdings die Aufgabe des Künstlers, diese
Ordnungsstruktur vor allem mit Hilfe der farbigen Fassung wieder zu
verhüllen, aber so, dass sie unterschwellig weiterwirkt, nur so bleibe das
Bild lebendig.
Für Friedrich ist eine gänzliche [3][Treue der Natur gegenüber] als Gottes
Schöpfung verpflichtend. Seine über tausend Zeichnungen sind beinahe
ausschließlich Naturstudien. Diese Studien verwendet Friedrich ein
Lebelang. Er inseriert sie in seine Bilder unter allen Bedingungen ihrer
Aufnahme vor der Natur. Das heißt, die Naturverpflichtung ist absolut,
allerdings nur bezogen auf Einzelgegenstände, sie werden im Bild sinnvoll
nach Vorstellung des Künstlers zusammengefügt, so dass das Gesamtbild
durchaus nicht einem unmittelbaren Naturvorbild entstammen muss. So sind
die Bilder nicht selten additiv aus Naturdetails zusammengesetzt, erst die
Bildordnung gibt ihnen ihren Platz. Was könnte der tiefere Sinn dieses
Verfahrens sein?
Eine abstrakte vorgängige Ordnung kann auf Gottes Ordnung verweisen.
Friedrich verwendet dafür auch geometrische Figuren und
Verhältnismäßigkeiten: Parabel und Hyperbel, vor allem aber den Goldenen
Schnitt, seit dem 16. Jahrhundert als „divina proportione“, göttliche
Verhältnismäßigkeit, verstanden. Schon im Mittelalter wird Gott als
Geometer, als Weltenbaumeister mit dem Zirkel in der Hand dargestellt, der
alles, wie die Bibel sagt, nach Maß und Zahl eingerichtet hat.
So kann man verkürzt festhalten, die in Friedrichs Bildern zugrunde
gelegte, spürbare Ordnung bindet uns einerseits ans Bild, lässt uns in es
eintauchen und führt uns andererseits dazu, eine Ahnung von Gottes
Naturordnung zu bekommen – eine bloße Naturwiedergabe könnte dies nicht
leisten. Friedrichs Verfahren ist eine Form der Transzendierung, was nichts
anderes meint als einen für ihn anders nicht zu habenden Verweis auf
Höheres.
## Mehr als ein Event
Wir müssen das nicht wirklich realisieren, aber vielleicht kann schon die
Ahnung verständlich machen, dass diese Bilder etwas Ungewöhnliches sind.
Dabei ist es ganz gleichgültig, ob ein Teil des Publikums diese
Ausstellungsflut als ein bloßes Event begreift, von dem man meint, Teil
gewesen sein zu müssen, um mitreden zu können. Schadet ja nichts.
Wenn Friedrich Dich auch nur einmal berührt und Dein Eintauchen in das
Angebotene bewirkt hat, so hat er schon gewonnen. Wenn Du dann ehrlich
bist, kannst Du dies nicht vergessen. Du siehst Natur und erfährst etwas,
das die Natur übersteigt.
4 Sep 2024
## LINKS
[1] /Werkschau-zu-Caspar-David-Friedrich/!5977595
[2] /Karl-Marx-Ausstellung-in-Trier/!5500676
[3] /Caspar-David-Friedrich-ohne-Klimakrise/!6023114
## AUTOREN
Werner Busch
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