# taz.de -- Die Wahrheit: Gepinselte Frechheiten im Schnee | |
> Die wahre Kunstkritik: Ein Besuch beim aktuellen Star der diesjährigen | |
> Mal-Saison Caspar David Friedrich in Greifswald und seinem | |
> Leinwandgrauen. | |
Bild: Malte immer alle von hinten, dieser gefühlige Friedrich, selbst die Land… | |
Ein warmer, blauer Himmel spannt sich über Greifswald. Schon am Vormittag | |
gibt die Sonne Mecklenburg-Vorpommerns Vollgas, kein weißes Wölkchen trübt | |
die Atmosphäre – das perfekte Wetter für einen Besuch der | |
Caspar-David-Friedrich-Ausstellung! Die Menschen in den Gassen und auf den | |
Plätzen der Altstadt, auf den Terrassen der Cafés blicken optimistisch in | |
unsere schöne Welt, sind auch, dem Klimawandel sei Dank, kaum angezogen – | |
es sind immerhin 20 Grad, aber es ist auch erst Januar. | |
Wir dagegen beugen uns dem altmodischen Dresscode und betreten mit | |
geschlossenem Hemd und langer Hose das Mecklenburgische Landesmuseum. Dort | |
nimmt uns Kustodin Dr. Rodehilde Rodenwald bei der Hand, als wir bei den | |
ersten Bildern entsetzt zurückprallen: Diese furchtbar kahlen | |
Winterlandschaften mit dem vielen Weiß – „Schnee“, erläutert Frau Roden… | |
–, diese klirrend leeren Bäume, diese wie im Endstadium der | |
Parkinson-Krankheit erstarrten Ruinen, die offenbar irgendwelche Menschen | |
symbolisieren sollen, Bekannte des Malers vielleicht, diese frostigen | |
Trümmerhaufen anstelle liebevoll restaurierter Kirchen und Klöster – wozu | |
eigentlich jedes Jahr unsere fünf Euro Spende an die Deutsche Stiftung | |
Denkmalschutz?! | |
Wie schockgefroren stehen wir steif und entgeistert vor diesem | |
unmenschlichen Grauen, auf das uns niemand vorbereitet hat, als wir heute | |
Morgen spontan den Entschluss fassten, statt ins Spaß- und Erlebnisbad | |
Göttingen hierherzufahren. Und jetzt so was! | |
Doch wir kommen wieder in die Spur und fragen Dr. Rodenwald, ob dieser | |
Caspar David Friedrich tatsächlich im letzten Jahrhundert gelebt und die | |
großen Katastrophen der deutschen Geschichte hautnah miterlebt hat, ob | |
diese Bilder wirklich in den Jahren 1944/45 entstanden seien? Oder bald | |
danach? Aber wo bitte sind dann die Trümmerfrauen? | |
## Ewig toter Maler | |
Die Frau unterbricht uns. Wenn wir ihr glauben dürfen, ist der Maler schon | |
ewig tot, lebte irgendwie vom 18. ins 19. Jahrhundert, die genauen Zahlen | |
haben wir natürlich vergessen. Geschichte halt. Wir leben heute! Im Hier | |
und Jetzt! Und sind in der ganzen Welt zu Hause, nicht nur in Vorpommern | |
oder im Erzgebirge wie dieser Stubenhocker, der bestimmt nie eine tolle | |
Kreuzfahrt mit Tausenden supernetten Menschen gemacht hat! | |
„Hatte der Friedrich überhaupt alle auf der Latte?“, erkundigen wir uns bei | |
Dr. Rodenwald, die indigniert in die Ferne schaut: „Wenn Sie meinen, ob der | |
Künstler eine solide Handwerkerausbildung hatte, nein. Wenn das allerdings | |
eine sexuelle Anspielung gewesen sein soll, kann ich Ihnen nur die Auskunft | |
geben, dass Friedrich ein treuer Ehemann und braver Vater war.“ | |
Doch wir insistieren, denn wenn eines an diesen Bildern auffällt, dann, | |
dass er die Menschen von hinten malt. War er in Wahrheit andersrum? Und hat | |
so wenig Rosa und Pink benutzt, um so zu tun, als ob? Aber selbst als voll | |
eingespurter Hetero hätte er doch vor 200 Jahren ein Zeichen setzen können, | |
schon aus megaselbstverständlicher Solidarität! Aber nein, wenn einer | |
absolut nicht gegen veraltete bürgerliche Konventionen rebelliert, dann der | |
hier. Pfui, Herr Friedrich! | |
Wir überwinden uns und schauen uns weiter diese alten, komplett aus der | |
Zeit gefallenen Ölschinken an. Natürlich immer in der Hoffnung, dass uns | |
irgendwas für das Eintrittsgeld entschädigt, das wir wohl besser für eine | |
Pizza, ein Bier und einen Espresso ausgegeben hätten. | |
Stattdessen müssen wir langweiliges altes Zeugs anglotzen, Krempel wie die | |
ultimativ öden „Kreidefelsen auf Rügen“ – der Typ hat halt nie den Grand | |
Canyon gesehen, und es gibt auch geile Fotos, die man abmalen kann, wenn | |
man selber keinen Bock hat, hinzufahren! | |
## Bescheuerter Ölgötze | |
Dann dieser bescheuerte „Wanderer über dem Nebelmeer“, der sich besser | |
unter Menschen begeben hätte, statt mutterseelenallein in der Landschaft | |
herumzustehen wie eine Ölgötze, total autistisch das. Schade um die | |
Leinwand! Und dann auch noch „Das Eismeer – eine Frechheit. Als wenn es | |
nicht die Karibik gäbe, zwei Wochen DomRep Last Minute für etwas mehr als | |
1.000 Euro! | |
Nein, mit diesem Penner Caspar David Friedrich war echt nichts los. Allein | |
schon der Name! Wer sich hierher verirrt hat, um bunte Bilder von fröhlich | |
feiernden Menschen zu sehen, wird total enttäuscht, verliert alle | |
Lebensfreude, denkt an Selbstmord. Kein Wunder, dass der Typ einsam in | |
seinem Atelier mit dem Pinsel in der Hand vor der armen Leinwand saß! Aber | |
vielleicht war es ein Glück für seine Mitmenschen, seine Frau, seine | |
Familie. Wir jedenfalls schütteln den Kopf, aber nichts kommt raus. | |
Frau Dr. Rodehilde Rodenwald weiß es mal wieder besser und behauptet glatt, | |
der Pinselfritz habe seine Gefühle durch die Malerei ausgedrückt. Auweia! | |
Was das wohl für Gefühle waren, die durch einsame Landschaften, leere | |
Strände, nacktes Eis dargestellt werden?! Und warum fahren Leute, die das | |
mögen, nicht einfach nach Grönland? Statt nach Greifswald wie wir? | |
Wir danken und gehen, übergeben uns draußen. Inzwischen hat sich der Himmel | |
zugezogen, es fieselt, ist kalt und trübe – und das im Winter! Wir fassen | |
es nicht, können auch das nicht fassen. Was finden manche Leute nur an | |
diesem Kasper namens Friedrich, an seinen düsteren, kalten, toten | |
Landschaften, die einem schnöde jenen Rücken zukehren, mit denen jeder | |
normale Mensch sie anschauen sollte? Wären wir doch ins Spaß- und | |
Erlebnisbad gefahren! Göttingen, home of the fun, wir kommen! | |
17 Jan 2024 | |
## AUTOREN | |
Peter Köhler | |
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