Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Die Wahrheit: Der spitze Punkt in der Logik
> Neues von der Sprachkritik: Mitunter greift das Hirn blitzschnell daneben
> und wählt statt des korrekten Wortes eine schiefe Alternative aus.
Bild: Manchmal, wenn es flink gehen muss, liegt der falsche Fisch auf der richt…
Dass es keine Alternative gebe, machte Margret Thatcher jahrelang den
Briten weis. Und im Jahr 2010 wurde das Wort „alternativlos“, das Angela
Merkel zu der Zeit gern im Munde führte, zum Unwort des Jahres erklärt.
Doch trotz aller postulierten „Alternativlosigkeit“ geht es immer auch
anders, in der Politik, in der Wirtschaft, im alltäglichen Zusammenleben
und sogar in der Sprache. Vieles ist möglich und zu jedem Wort, zu jedem
Satz gibt es eine Alternative, und manche wäre sogar richtig gewesen.
„Asien ist der Kontinent mit der höchsten Bevölkerung“, gibt Wikipedia se…
Wissen preis, sodass man nun ausrechnen kann, dass diese 4,651 Milliarden
Menschen zählende Bevölkerung sogar höher als der größte Berg, der Mount
Everest, ist: Veranschlagt man wegen der Erwachsenen und der Kinder eine
durchschnittliche Körpergröße von 1,50 Meter, erhält man eine Strecke von
6.976.500 Kilometern und landet weit hinter dem Mond.
Doch bleiben wir auf der Erde, gehen wir nach Karlsruhe! Dort ist ein
Restaurant löblicherweise bestrebt, den Bevölkerungsüberschuss zu
verringern, und offeriert „Original indische Cousine“. Die Cousinen seien
also gewarnt, doch verstecken ist möglich, besonders in Reutlingen: Dort
wird über eine Maklerfirma eine „Große ruhige Wohnung mit uneinsichtigem
Balkon“ angeboten. Auch wer das Glück hat, sich in der Nähe, in Esslingen
zu befinden, kriegt seine Chance und muss bloß via Ebay etwas Land kaufen,
denn: „Das gesamte Grundstück ist nahezu uneinsichtig.“ Damit ist es
besonders gut geeignet für kurzsichtige Cousinen.
Realistischerweise sind das bloße Gedankenspiele und ist fiktiv. Oder ist
es fiktional? Selbst echte Romanschreiber wissen das nicht
auseinanderzuhalten. Oder sind es fiktionale? Anders gefragt: Gibt es
Benjamin von Stuckrad-Barre wirklich? Gibt es seinen letzten Roman, der
angeblich „Noch wach?“ heißt, wirklich?
## Fiktiver Roman
„Ich habe einen Roman geschrieben, wirklich einen Roman, und der ist
fiktiv“, sagte er nicht mehr ganz wach im Spiegel, aber das Kulturmagazin
„Kulturzeit“ des Kultursenders 3sat gibt ihm recht: „Jetzt ist sein
fiktives Werk auf dem Markt!“ Das Geld dafür muss allerdings echt sein.
Illegal ist solches Treiben, Schreiben und Marktschreien nicht, weshalb es
auch nicht „im polizeilichen Frühlingszeugnis auftaucht“ (Nassauische Neue
Presse) – oder eben nur dort.
Nicht im Frühlingszeugnis, überhaupt nicht in der Welt, sondern in der
Medienwelt tauchen andere schöne Dinge auf. Da „kann das Kartellamt neue,
schneidige Instrumente nutzen“ (taz), die wenigstens rattenscharf aussehen,
wenn sie schon nicht bei den Ermittlungen gegen die Kartelle helfen; ein
Verkehrsbetrieb kündigt die „Absenkung des Fahrplans“ an und lässt das
Göttinger Tageblatt somit sein Niveau absenken; und die ARD sendet ein
Feature über die einstige Bundeshauptstadt Bonn, fragt: „Was passierte im
Bundeskanzleramt, im Wasserwerk und im Langen Eugen?“, und pointiert: „Was
ist heute noch ersichtlich?“
Was sehr fein das Niveau des Öffentlich-Rechtlichen Rundfunks vor Augen
führt, der nicht plump und platt an der Optik, am Schein hängt, also an dem
klebt, was sichtbar ist. Nein, er geht tiefer und ergründet das Sein, spürt
den verborgenen Ursachen des Wandels nach, sodass sie ersichtlich werden –
sofern das im Fernsehen mit seinen Bildern möglich ist.
Gerade im Sport, beispielsweise im Basketball, ist vieles möglich. Dort
gibt es nicht nur weithin ersichtliche „Stars zum Anpacken“ (taz) – es gi…
auch die passende Mode für sie: „Kim Kardashian weitet ihr Imperium auf die
Sportwelt aus“, berichtet die Neue Zürcher Zeitung und prophezeit: „In der
NBA tragen die Spieler wohl schon bald ihre Unterwäsche.“ Basketballer in
Spitzen-Dessous – ein Anblick für die Korbgötter.
## Sportliche Dessous
Die taz blickt selbstverständlich nicht auf solche Äußerlichkeiten, sondern
nur aufs sportliche Geschehen. „Die Basketballer der Sacramento Kings
ärgern in den Play-offs mächtig den Titelverteidiger“, weiß sie und unkt:
„Am Mittwoch ist der nächste Clou geplant“ – und hat damit selbst schon …
einen Clou gelandet, wenn auch keinen Coup. Der aber kann gelingen, wenn
sie mutig „vorn angreifen“ (taz) und nicht hinten.
Ähnliche Wörter zu verwechseln ist leicht, weil das Hirn sie offenbar an
ähnlicher Stelle archiviert und man beim blitzschnellen Zugriff schon mal
danebengreifen kann. Zum Denken, das ist „der spitze Punkt“ (NDR 4), bleibt
oft keine Zeit. So kommt es zum Kurzschluss: „Die Extremitäten Ihrer Hunde
sind fachgerecht in der Hundetoilette zu entsorgen!“, gebietet ein
Hinweisschild auf einem Wanderweg bei Bad Tölz; das Fehmarner Wochenblatt
Der Reporter annonciert einen „Spieltreff für Eltern im Grundschulalter“;
und auf dem Nachbarschaftsportal nebenan.de haben Eltern komplett die
Übersicht verloren: Sie haben etwas „zu verschenken“, und zwar:
„Neugeborene Pampers“.
Vielleicht wird alles besser, wenn aus den Pampers dereinst Lehrer geworden
sind, im besten Fall sogar Deutschlehrer. Nur spielt die Zeit so wenig mit
wie die Zeitung, streben doch immer weniger junge Leute in den Lehrberuf,
„obwohl die Studienplätze erhöht worden sind“ (taz) – und es nichts hü…
wenn die Studienplätze tiefergelegt würden und sich die eifrigen Studiosi
einen krummen Rücken holen.
Und die Alternative, die es immer gibt? Statt Lehrer werden und
Deutschaufsätze korrigieren, Autor werden und Sprachglossen schreiben! Denn
„wer sich so gebiert“ (Cem Özdemir), als wüsste er alles besser, ist der
gebärdete Kritiker. Oder der gebürtige. Oder geborene. Wie der Verfasser
dieser spöttischen Zeilen. Oder ist er doch bloß ein „stets zu einem Schalk
aufgelegter Typ“ (Schach-Magazin), dem der Scherz im Nacken sitzt?
29 Nov 2023
## AUTOREN
Peter Köhler
## TAGS
Sprache
Sprachkritik
Fehler
Die Wahrheit
Gesellschaftskritik
Kunst
Deutsche Sprache
Die Wahrheit
Die Wahrheit
Rentner
## ARTIKEL ZUM THEMA
Die Wahrheit: Bäume in aller Munde
Nicht nur Marmor, Stein und Eisen werden falsch gebrochen, auch
Sprachbilder erleiden metaphorisch Schiffbruch. Eine Sprachkritik.
Die Wahrheit: Stunk und Stinkung
Gegenwart sauer, Zukunft süß! Das neueste Kommentar zu der Lage von unsere
Nation. Mit allen Worten, scharf wie Galle, über Unmut, Zorn und Aufstand.
Die Wahrheit: Gepinselte Frechheiten im Schnee
Die wahre Kunstkritik: Ein Besuch beim aktuellen Star der diesjährigen
Mal-Saison Caspar David Friedrich in Greifswald und seinem Leinwandgrauen.
Die Wahrheit: Überraschende Überraschungen
Neues aus der Sprachkritik: Redundante Wiederholungen sinngleicher Wörter
sind inzwischen alltäglicher Alltag im Sprachgebrauch sprechender Sprecher.
Die Wahrheit: Der Millionen-Mal-Wiedergeborene
Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Narendra „Narhalla“
Modi, Indiens Nummer null.
Die Wahrheit: Der Seuchenmann
Schurken, die die Welt beherrschen wollen – heute: Karl „Kunstfehler“
Lauterbach, approbierter Health-Apostel.
Die Wahrheit: Dem Zipperlein Trotz
Das Alter. Oder die Hälfte des Alters. Oder das Alter als Alter. Eine
dringende Erörterung ohne Rente. Aber mit vielen Worten. Über das Alter.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.