| # taz.de -- Der Hausbesuch: Sichtbar und sicher sein | |
| > In Stuttgart leitet Alisha Soraya Principe mit dem „Utopia Kiosk“ einen | |
| > Kulturort für queere Menschen – in dem alles in Lila getaucht ist. | |
| Bild: Alisha Soraya Principe gibt Musiker:innen und Künstler:innen eine Bühne | |
| Queere Menschen leben Vielfalt. Denn Geschlecht und Identität sind nicht | |
| zementiert. | |
| Draußen: Das Züblin-Parkhaus ist in Stuttgart ein Begriff. Fünf Etagen hat | |
| der betongraue Klotz zwischen Nobelkaufhaus auf der einen und | |
| Rotlichtbezirk auf der anderen Seite. Im Erdgeschoss des Parkhauses steht | |
| der Schriftzug „Utopia Kiosk“. Dort gibt es keine Bouletten, dort gibt es | |
| Kultur. | |
| Drinnen: Viel ist in Lila getaucht. Aufbewahrungsboxen im Bücherregal, eine | |
| Deko-Qualle im Fenster und auch die Leuchten strahlen violettes Licht aus. | |
| „Lila ist eine Farbe, die immer wieder in queeren Kontexten auftaucht“, | |
| sagt Alisha Soraya Principe. 1969 wurde die Farbe zum Symbol der | |
| Ermächtigung und des Widerstands für die Queer-Rights-Bewegung in den USA. | |
| Und die Gesellschaft betrachtete lesbische Frauen damals als „Lavender | |
| Menace“, also als eine lavendelfarbene Bedrohung. Der Utopia Kiosk ist ein | |
| Safe Space, ein sicherer Ort, für junge, queere Menschen. Für viele ist er | |
| auch so etwas wie ein zweites Wohnzimmer. | |
| Anfänge: Vor 25 Jahren kam Principe in Stuttgart zur Welt. Die deutsche | |
| Mutter arbeitet als Sekretärin, der Vater mit italienischen Wurzeln als | |
| Kaffeeröster und Gastronom. „Das Einzige, das man bei uns gelesen hat, | |
| waren Tratsch-Zeitungen oder Entertainment-Bücher. Ich bin nie wirklich mit | |
| einer Kunst- und Kulturszene in Berührung gekommen. Ich war sehr lange | |
| total eingeschüchtert von Museen“, sagt Principe. Die Barriere sei zu groß | |
| gewesen, in Ausstellungen, Theateraufführungen oder Opern zu gehen. „Ich | |
| wäre von mir aus niemals dort hin.“ Erste Gehversuche auf dem kulturellen | |
| Parkett finden später in der Schule statt. Freund:innen nehmen Principe | |
| mit ins Museum. Plötzlich wird alles viel zugänglicher. | |
| Neuland: Principe ist früh von der queeren Szene fasziniert und gründet | |
| nach dem Abitur mit Freund:innen 2017 den Verein Queerdenker. Sie | |
| beantragten Förderungen und führten 2019 ihr erstes Festival in Stuttgart | |
| durch, mit Workshops zu kreativem Schreiben und Konfliktlösung, gaben | |
| Musiker:innen und Drags eine Bühne. Dann kam Corona. | |
| Alleinsein: Mit der Pandemie beginnt für Principe eine Auseinandersetzung | |
| mit der eigenen nicht binären Geschlechtsidentität. „Ich habe das erste | |
| Mal in meinem Leben allein gewohnt und bin sehr lange nicht von anderen | |
| Leuten wahrgenommen worden.“ Es ist die Zeit der Lockdowns und der Treffen | |
| vor dem Bildschirm. „Damals habe ich gemerkt, dass viel von meinem | |
| Geschlecht nur eine Performance ist, die ich halt mache, um mich | |
| anzupassen. Dabei fühlte ich mich gar nicht so weiblich. Ich tat lediglich | |
| das, was man von mir verlangte.“ Dazu gehörten lange Haare, Make-up, | |
| ständig schlanker sein zu wollen, weil „dicke Frauen“ ja nicht | |
| begehrenswert seien. „Es war damals sehr krass für mich zu realisieren, | |
| dass mein Körper auch okay sein kann, wie er ist.“ | |
| Coming-out: Nur langsam teilte Principe sich anderen mit. „Auch, weil ich | |
| mir nicht ganz sicher war, ob das jetzt so ein temporäres Ding ist oder | |
| nicht.“ Dennoch bleibt es für Principe ein herausforderndes Thema. Viele | |
| können sich unter dem nicht binären Geschlecht nichts Konkretes vorstellen. | |
| „Auf der einen Seite ist da der Wunsch, außerhalb von Geschlechternormen zu | |
| stehen. Auf der anderen Seite sehe ich mich aber auch als genderfluid. Ich | |
| liebe es, mit allen Facetten von Geschlecht zu spielen, fühle mich mal mehr | |
| feminin, mal mehr maskulin.“ | |
| Pronomen: Wer bei Menschen wissen möchte, wie sie angesprochen und damit | |
| geschlechtlich identifiziert werden wollen, etwa als „sie“, als „er“, a… | |
| „sier“ oder [1][sonst etwas], kann einfach fragen. Oder man schaut auf das | |
| Instagram Profil. In Principes Fall steht die englische Variante | |
| „they/them“ im Steckbrief. Sie kann das und das sein. Principe wählte auf | |
| Social Media die englischen Pronomen, da diese inzwischen etabliert und | |
| über den englischsprachigen Raum hinaus bekannt sind. Im Deutschen wird | |
| noch [2][darüber diskutiert], wobei Principe die eingedeutschte Version | |
| „dey/denen/deren“ benutzt. Eine simple und respektvolle Lösung sei es | |
| jedoch, sagt Principe, einfach den Namen der Person durchgängig zu | |
| verwenden – so wie in diesem Text. | |
| Verständnis: Den Wunsch, mit den eigenen Pronomen angesprochen zu werden, | |
| respektierten nicht alle. Manchmal ist es Principe schlichtweg zu | |
| anstrengend, diesen Kampf immer wieder zu führen. „Es gibt viele Leute, die | |
| es nicht lernen wollen.“ Principe hat dennoch Verständnis. „Ich merke oft, | |
| dass solche Abwehrhaltungen aus der Sorge kommen, etwas falsch zu machen.“ | |
| Große Schuldgefühle seien aber unnötig. Immer richtig gendern, das gelinge | |
| weder Principe noch den meisten anderen perfekt. | |
| Sprache: Nur mit den Eltern spricht Principe nicht über Pronomen. Die seien | |
| selbst [3][eher konservativ erzogen], aber eine große Stütze. „Sie lieben | |
| mich bedingungslos.“ Den in Süditalien groß gewordenen Vater, für den | |
| Deutsch die Zweitsprache ist, möchte Principe nicht bitten, seine Sprache | |
| anzupassen. | |
| Bildung: Principe ist die erste Person in der Familie mit einem | |
| Uniabschluss. Im Anglistik- und Psychologiestudium beschäftigt sich | |
| Principe vor allem mit [4][queerer Literatur]. „Ich habe sehr viel Theorie | |
| gelesen. Ich verstand plötzlich, wie viel mehr da ist als das, was man | |
| sieht.“ Alles, was man erschaffe, zeige den Kontext, in dem man existiere. | |
| Das gelte besonders für zeitgenössische Kunst. „So habe ich gemerkt, dass | |
| ich auch Räume kreieren möchte. Ich sehe mich sehr gerne als die Person, | |
| die Menschen eine Bühne gibt.“ | |
| Kulturarbeit: Über Principes Engagement bei „100 Prozent Mensch“, einer | |
| gemeinnützigen Organisation, die sich für die Rechte von queeren Menschen | |
| einsetzt, ergab sich die Leitung des Utopia Kiosks, Stuttgarts erstem | |
| Kunst- und Kulturraum für Queers. Principe verbringt dort mehr Zeit als zu | |
| Hause, verantwortet das Programm, gibt Musiker:innen und | |
| Künstler:innen eine Bühne und ist regelmäßig gerührt, wenn Menschen sich | |
| bei der Open Stage nach vorne wagen und persönliche Texte und Gedichte | |
| vortragen, die sie noch niemandem gezeigt haben. Der Kiosk scheint ein Ort, | |
| wo man sichtbar und doch sicher sein kann. | |
| Geld: Unsicher sei dagegen die Finanzierung. Es sei frustrierend, wie sehr | |
| Kunst- und Kulturräume von Geldern abhängig sind. Solche Räume wie der | |
| Utopie Kiosk seien nun einmal nicht auf Profit ausgelegt, doch aus reinem | |
| Idealismus solle auch im Kiosk niemand arbeiten. „Ich möchte nicht, dass | |
| Leute hier umsonst auflegen, selbst wenn es für einen guten Zweck ist.“ Der | |
| Kiosk existiert dank einer Förderung des Parkhausbetreibers, den | |
| Bareinnahmen am Wochenende und Projektförderungen, die Principe beantragt. | |
| Utopie: Queere Orte könne man auch wunderbar ohne die Regenbogenfahne, die | |
| mittlerweile [5][sehr kommerzialisiert sei], gestalten. „Diese Labels | |
| brauchen wir natürlich weiterhin dringend für politische Forderungen und um | |
| die Missstände zu bekämpfen, die es einfach gibt.“ Die vielen Geschichten, | |
| die über queere Menschen erzählt würden, seien oft von Tragik durchzogen, | |
| sagt Principe. „Aber queere Menschen sind nicht nur Opfer.“ Die queere | |
| Community sei auch eine sehr fröhliche Community. „Schon allein aus Trotz.“ | |
| Wegen all dem sind Orte wie der Kiosk so bedeutend. Sie bieten Raum, um | |
| eine utopische Zukunft auszuprobieren. „Es ist wirklich krass, dass ich so | |
| einen Raum haben und diese Arbeit machen darf“, sagt Principe. | |
| 28 Sep 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Marta Popowska | |
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