# taz.de -- Gefängnis-Komödie „Alles nur Theater?“: Und Godot kommt doch | |
> Die Komödie „Alles nur Theater?“ spielt im Gefängnis, die Insassen werd… | |
> zu Schauspielern. Das ist unterhaltsam, aber dem Film fehlt auch etwas. | |
Bild: Antonio (Antonio Albanese) mit seinen Schaustellern, den Gefängnisinsass… | |
Im Grunde sind sie schon so etwas wie ein eigenes Genre, diese Filme und | |
Geschichten, in denen Menschen, die sonst nicht viel Glück im Leben gehabt | |
haben, mithilfe der Kunst endlich zeigen können, was in ihnen steckt. Das | |
kann leicht kitschig werden, und das Spannungspotenzial ist auch begrenzt, | |
da man von Beginn an im Groben weiß, worauf das Ganze hinausläuft. | |
Jetzt kommt mit Riccardo Milanis „Grazie ragazzi“ (der deutsche Verleih hat | |
sich für den Titel „Alles nur Theater?“ entschieden) aber ein Film auf die | |
hiesigen Leinwände, den man sich trotzdem gut angucken kann. | |
Tatsächlich basiert „Grazie ragazzi“ in vielen Details auf einer wahren | |
Geschichte, die allerdings schon ein Weilchen zurückliegt. Mitte der | |
achtziger Jahre leistete der Regisseur Jan Jönson in Schweden | |
Pionierarbeit, als er in einem Hochsicherheitsgefängnis mit Häftlingen | |
Samuel Becketts „Warten auf Godot“ inszenierte und die Produktion Erfolge | |
auf etlichen renommierten Theaterbühnen des Landes feierte. | |
Jönson und seine Truppe dürften Vorbildcharakter für zahllose | |
Knast-Theaterprojekte gehabt haben, die in den letzten Jahrzehnten überall | |
entstanden sind. | |
## Theaterworkshop im Gefängnis | |
In Berlin etwa ist das [1][Gefängnistheater „Aufbruch“] bereits seit einem | |
Vierteljahrhundert fester Bestandteil der Kulturszene. Auch ist Milani gar | |
nicht der Erste, der die Erfolgsgeschichte von Jönsons Knacki-Godot | |
verfilmt. Erst vor eineinhalb Jahren kam in Deutschland mit „Ein Triumph“ | |
dieselbe Story auf Französisch ins Kino, mit Lyon als Schauplatz und Kad | |
Merad in der Hauptrolle. Aber wie gesagt, wer das verpasst hat, kann auch | |
jetzt ins Kino gehen und sich die Sache in italienischer Version ansehen. | |
Der alternde Schauspieler Antonio wird nicht von einer weitreichenden | |
Vision getragen, als er den kleinen Job annimmt, einen Theaterworkshop im | |
Gefängnis zu geben. Lust hat er zwar nicht, aber auch nichts zu verlieren; | |
seit Jahren bekommt er keine Rollen am Theater mehr und verdient die Miete | |
für seine miese kleine Wohnung mit dem Synchronisieren von Pornos. | |
Auch der Knastjob lässt sich wenig ermutigend an. Nur vier Männer | |
erscheinen zum Workshop; doch mit Ach und Krach gelingt es ihnen, nach den | |
bewilligten sechs Stunden Probe ein albernes kleines Märchen zur | |
Belustigung der Mitgefangenen auf die Bühne zu bringen. Ein Achtungserfolg, | |
immerhin. | |
Erst danach kommt Antonio, berührt durch die seltsame Lebenssituation der | |
Gefangenen, eine Eingebung: „Warten auf Godot“ möchte er mit den Häftling… | |
inszenieren. Es war das erste Stück, für das er als junger Schauspieler auf | |
der Bühne stand. | |
## Unterhaltsam, trotz grober Typisierung | |
„Alles nur Theater?“ ist als (Typen-)Komödie definitiv unterhaltsam, | |
wenngleich teilweise ohne Grund recht dick aufgetragen wird. In einer der | |
ersten Gefängnisszenen etwa muss Antonio über Telefon einen Porno | |
synchronisieren und rammelt dabei einen Metallspind – eine völlig | |
überflüssige Szene, zu der der sonst wohltuend zurückhaltend agierende | |
Hauptdarsteller Antonio Albanese vermutlich vom Regisseur ebenso gedrängt | |
wurde wie sein Filmcharakter von der Porno-Disponentin. | |
Antonios alter Schauspielfreund Michele (Fabrizio Bentivoglio) wiederum, | |
der mit eigenem Theater Erfolge feiert, wird als herablassender Schnösel | |
porträtiert, was mit seiner Rolle als Möglichmacher des eigentlich | |
unmöglichen Projekts gar nicht wirklich zusammengeht. | |
Über eine grobe Typisierung hinaus gewinnen auch die schauspielernden | |
Häftlinge wenig individuelles Profil. Nur über den jungen Schöngeist Aziz, | |
dem eines Tages wegen einer rassistischen Beleidigung das Messer | |
ausgeruscht sei, wie er erzählt, und über den Mafioso Diego gibt es | |
zumindest andeutungsweise eine Backgroundstory. | |
Dagegen wissen wir nicht, was den jungen Analphabeten Damiano, der Lucky | |
spielt, ins Gefängnis gebracht hat – oder warum er nicht lesen und | |
schreiben kann –, und auch nicht, was der temperamentvolle Mignolo, der | |
bei jeder Besuchsgelegenheit rustikal mit seiner Frau rammelt, sich hat | |
zuschulden kommen lassen. | |
Klar, es ist ein Ensemblefilm, da gibt es nicht so viel Gelegenheit für | |
individuelles Feintuning, aber es wäre schon interessanter gewesen, die | |
Personen etwas genauer kennenzulernen, statt sich minutenlang anzusehen, | |
wie sie sich beim Einüben von Zungenbrechern immer wieder verhaspeln. So | |
schwimmt der Film doch zu bequem auf der Oberfläche mit dieser Story, die | |
sich zwar selbst gut trägt, aber etwas mehr Tiefgang auf jeden Fall | |
verdient hätte. | |
22 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Katharina Granzin | |
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