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# taz.de -- Schau zu Samuel Becketts Fernsehstücken: Wozu das Fernsehen einmal…
> Der Württembergische Kunstverein Stuttgart zeigt Samuel Becketts
> Fernsehstücke für den SDR in einer Ausstellung. Sie sind so abstrakt wie
> durchdacht.
Bild: Samuel Beckett „Quadrat I“, Fernsehspiel für den SDR, 1981
Isolierter könnten sie nicht sein, die vier in verschiedenfarbige
Kapuzenumhänge gehüllten Figuren. Zu sehen sind sie in dem Video „Quadrat
1“ des irischen Schriftstellers Samuel Beckett, das aktuell im
Württembergischen Kunstverein gezeigt wird. Nacheinander tauchen sie auf
und laufen hektisch die Seiten eines beigen Quadrats ab.
Immer wieder bewegen sich zwei von ihnen gleichzeitig auf die Mitte des
Quadrats zu. Kurz bevor sie sich treffen, machen sie einen kleinen Bogen,
dann setzen sie ihre hektische Tour fort. Kontaktaufnahme? Fehlanzeige.
Irgendwann verlassen sie nacheinander das Bild. Das war’s. Ende des Films.
Dauer: neun Minuten.
Eine minimalistische, abstrakte, bis ins kleinste Detail durchdachte
Choreografie. Etwas, auf das sich der Betrachter einlassen muss. Nichts
Ungewöhnliches für die konzentrierte Atmosphäre eines Ausstellungsraums.
Und nichts Ungewöhnliches für den [1][Literaturnobelpreisträger] Samuel
Beckett, den Spezialisten für Isolation, Verzweiflung und formale
Reduktion.
So schön, so passend – oder eben auch nicht. Denn Becketts existenzielle
Meditation wurde nicht für einen Ausstellungsraum konzipiert. Sondern für
das Gegenteil davon: das Medium, das für Massengeschmack, Unterhaltung und
oberflächliche Zerstreuung steht. Fürs Fernsehen. „Quadrat 1“ ist eine
seiner „crazy interventions“, wie Beckett seine Fernsehproduktionen selbst
nannte.
Sieben davon entwickelte er zwischen 1966 und 1985 für den Süddeutschen
Rundfunk (SDR). Der [2][Württembergische Kunstverein in Stuttgart] widmet
ihnen nun die Ausstellung „Über Fernsehen, Beckett“. Es ist das erste Mal
weltweit, dass alle sieben Beckett-SDR-Fernsehspiele gleichzeitig zu sehen
sind. Zum Glück. Und endlich. Denn die Ausstellung zeigt, wozu Beckett –
und eben auch das Fernsehen – damals fähig waren.
## Türen ins Nichts
Die durchweg intimen Kammerspiele sind fast alle in Grautönen gehalten. Zu
sehen ist nie mehr als ein kahler, grauer Raum, manchmal nur ein
Lichtkreis. Wenn es einmal Fenster oder Türen gibt, führen sie ins Nichts.
Die Protagonisten sind vollkommen isoliert – und stehen dabei trotzdem
unter ständiger Beobachtung, werden überwacht und angetrieben, von Stimmen,
Geräuschen oder auch düsterer Musik.
Die beiden Ausstellungskuratoren, der irische Künstler Gerard Byrne und die
ebenfalls irische Kuratorin Judith Wilkinson, haben sich ein interessantes
Präsentationsformat überlegt: Obwohl für den Fernsehbildschirm produziert,
werden die Fernsehspiele in kinosaalartigen Kuben auf große Leinwände
projiziert.
Das intensiviert ihre Wirkung: Die Protagonisten treten dem Zuschauer in
Lebensgröße entgegen. Die bedrückenden Szenenbilder setzten sich in den
dunklen Kinosälen fort. Der Betrachter ist dem langsamen Erzählrhythmus und
der formalen Strenge der Inszenierung ganz ausgeliefert.
## Alles ist genau geplant
Unweigerlich stellt sich die Frage, ob sich ein heutiges Fernsehpublikum
überhaupt noch auf die handlungsarmen Produktionen einlassen würde. Ohne
auf einen der vielen weiteren Sender oder andere digitale Angebote
auszuweichen, ohne sich vom Summen, Blinken oder Klingeln des Handys
ablenken zu lassen?
Zur Entstehungszeit von Becketts Fernsehspielen gab es diese Form der
Ablenkung noch nicht. Bis Mitte der 80er Jahre standen den Zuschauern in
Deutschland maximal drei öffentlich-rechtliche Fernsehprogramme zur
Verfügung. Erst mit dem Start der Privatsender 1984 begann der Wettbewerb
auf dem Fernsehmarkt.
Originaldokumente in der Ausstellung zeigen, wie akribisch Beckett die
Möglichkeiten nutzt, die der SDR ihm damals bietet. Jeder Schritt, jede
Kamerabewegung, jeder Lichteinsatz ist genau geplant. Der Ire hat sich bis
ins kleinste Detail mit dem Medium Fernsehen auseinandergesetzt. Schon zu
seiner ersten SDR-Produktion „He Joe“ 1966 erschien er mit einem technisch
vollständig ausgearbeiteten Drehbuch.
## Ganz Kinder ihrer Zeit
Becketts Fernsehspiele haben etwas Zeitloses – und sind doch ganz Kinder
ihrer Zeit. Auch das wird dank zeitgenössischer Dokumente in der
Ausstellung deutlich. Die Themen Überwachung, Isolation und Gerechtigkeit
waren im Stuttgart der siebziger Jahre hyperpräsent.
Denn Becketts zweite SDR-Produktion wurde am 1. November 1977 ausgestrahlt,
zwei Wochen nachdem die erste Generation der RAF im Gefängnis in
Stuttgart-Stammheim tot aufgefunden worden war. Eine Woche zuvor hatte in
der Stuttgarter Domkirche das Staatsbegräbnis für [3][Hanns Martin
Schleyer] stattgefunden.
Auch wenn Becketts Fernsehspiele wahrscheinlich nie für ein Massenpublikum
gedacht waren und es wohl auch nie erreicht haben, eines macht „Über
Fernsehen, Beckett“ doch mehr als deutlich: In den richtigen Händen und
unter den richtigen Produktionsbedingungen kann das Fernsehen Programme
produzieren, die sogar fünfzig Jahre später noch eine eigene Ausstellung
wert sind.
12 Nov 2024
## LINKS
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## AUTOREN
Verena Harzer
## TAGS
öffentlich-rechtliches Fernsehen
Fernsehen
Ausstellung
Stuttgart
Rote Armee Fraktion / RAF
Film
Italien
Schwerpunkt Rassismus
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