| # taz.de -- ARD-Serie „A Better Place“: Stell dir eine Welt ohne Gefängnis… | |
| > Die ARD-Serie „A Better Place“ wagt ein Experiment: Gefangene werden zu | |
| > einem Stichtag in die Freiheit entlassen. Gelingt ihre | |
| > Wiedereingliederung? | |
| Bild: Endlich wieder Sonnenstrahlen: Nader (Youness Aabbaz) nach seiner Entlass… | |
| Die Türen öffnen sich und rund 300 Gefangene strömen in die Freiheit. Was | |
| nach dem größten Albtraum aller Konservativen klingt, ist ein Experiment, | |
| das die ARD-Miniserie „A Better Place“ durchspielt: In Rheinstadt, einer | |
| fiktiven mittelgroßen Stadt in Nordrhein-Westfalen, startet das | |
| Pilotprojekt „Trust“. Alle Insassen des lokalen Gefängnisses werden zu | |
| einem Stichtag entlassen, bekommen nach dem Prinzip Housing First eine | |
| Wohnung sowie einen Job. Trust-Mitarbeiter*innen begleiten sie engmaschig | |
| bei ihrem neuen Leben. | |
| Das funktioniert mal besser, mal schlechter. Mark (Johannes Kienast) kehrt | |
| zu Frau und Kindern zurück, alle beäugen sich skeptisch, Vertrauen ist | |
| wenig zu spüren. Nader (Youness Aabbaz) bekommt zwar ein WG-Zimmer weit weg | |
| von seiner alten Umgebung, doch seine Schwester Yara (Aysima Ergün) begrüßt | |
| ihn mit Drogen und einem schicken Auto – bevor sie einen Juwelier | |
| überfällt. „Wer hat sich denn in den letzten zwei Jahren um unsere Mutter | |
| gekümmert?!“, wirft sie Nader an den Kopf, als der sie zur Rede stellt. | |
| Kriminalität, das will uns das zeigen, kommt nicht von ungefähr. Und raus | |
| aus dem kriminellen Milieu zu kommen, wenn Familienmitglieder drinhängen, | |
| ist auch nicht so leicht. | |
| Unter den freigelassenen Gefangenen ist auch ein Mörder: ein Neonazi, der | |
| einen türkeistämmigen Jungen getötet hat. Ihm will niemand eine Wohnung | |
| geben, und so zieht er zunächst bei der Programmverantwortlichen von Trust | |
| ein, Petra Schach (Maria Hofstätter). Er lässt sich nichts sagen, | |
| verweigert sich allen Gesprächen. | |
| ## Opfer zwischen Trauer und Wut | |
| Das ist die eine Seite. Die andere sind die Opfer der Straftaten und deren | |
| Angehörige. Zum Beispiel die Eltern des getöteten Jungen, Tayfun (Sahin | |
| Eryilmaz) und Nesrin Gül (Alev Irmak), zwischen Trauer und Wut, die nicht | |
| wollen, dass der Mörder ihres Sohnes frei herumläuft, sich doch auf eine | |
| Täter-Opfer-Aussprache einlassen, zu der der Mörder letztlich nicht | |
| erscheint. | |
| Widerstand formiert sich. Angehörige fordern „Knast statt Trust“, | |
| Geschäftsleute nach einer Serie von Raubüberfällen mehr Law and Order. | |
| Wie mit Straftätern umgehen? Keine leichte Frage. In Deutschland sollen | |
| Menschen im Gefängnis bestraft, aber auch resozialisiert, also | |
| [1][gesellschaftstauglich gemacht werden]. Deshalb gibt es Ausbildung, | |
| Arbeit, Therapien. Doch das Personal ist knapp, Angebote sind nicht | |
| ausreichend und freie Jobwahl gibt es nicht. Der Alltag ist von morgens bis | |
| abends fremdbestimmt, sodass das Wichtigste gar nicht gelernt werden kann – | |
| oder verlernt wird: Verantwortung für das eigene Handeln übernehmen. | |
| Ein Drittel der Gefangenen wird nach Entlassung rückfällig – [2][bei einer | |
| Bewährungsstrafe sind es weniger]. | |
| Die Idee, Gefängnisse abzuschaffen, ist angesichts dessen alles andere als | |
| absurd. Praxisprojekte gibt es bisher allerdings praktisch keine. Gäbe es | |
| sie, könnten sie aussehen wie das fiktionale Experiment in „A Better | |
| Place“. | |
| Dass Headautor Alexander Lindh („Druck“ und „Mapa“) und sein Team Exper… | |
| von Kriminolog*innen, Sozialarbeiter*innen, Jurist*innen und | |
| Inhaftierten eingeholt haben, sieht man: Charaktere und Herausforderungen | |
| wirken glaubhaft: Täter, [3][die ein neues, straffreies Leben beginnen | |
| wollen] und solche, die die neue Freiheit ausnutzen. Mitarbeiter*innen | |
| von Trust (übrigens auch das nah an der Realität: vor allem Frauen) | |
| zwischen Realpolitik, Idealismus und Zweifeln. Und Opfer und Angehörige mit | |
| Ängsten, tiefer Trauer und dennoch dem Willen, zu vergeben. | |
| ARD, ab 22. 1., 20.15 Uhr, und ab 10. 1. in der Mediathek | |
| 9 Jan 2025 | |
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| ## AUTOREN | |
| Johanna Treblin | |
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