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# taz.de -- Urteil gegen KZ-Sekretärin bestätigt: „Es kommt nicht auf die U…
> Die Verurteilung Irmgard Furchners wegen Beihilfe zum Massenmord hält. Es
> ist das erste rechtskräftige Urteil gegen eine zivilbeschäftigte
> KZ-Mitarbeiterin.
Bild: Irmgard Furchner bei ihrem Prozess in Itzehoe im Dezember 2022
Leipzig taz | Die ehemalige KZ-Sekretärin Irmgard Furchner wurde zurecht
wegen Beihilfe zum Mord in über 10.000 Fällen verurteilt. Das entschied an
diesem Dienstag der Bundesgerichtshof (BGH) in einem Grundsatzurteil; auch
eine Schreibkraft konnte Beihilfe zum Massenmord leisten. Der BGH
bestätigte [1][damit ein Urteil des Landgerichts Itzehoe aus dem Dezember
2022].
Irmgard Furchner ist heute 99 Jahre alt. Die Taten, die ihr vorgeworfen
werden, liegen achtzig Jahre zurück. Von 1943 bis 1945 war sie Schreibkraft
im KZ Stutthof nahe Danzig. „Soll eine Straftat nach so langer Zeit
überhaupt noch verfolgt werden?“, fragte die Vorsitzende Richterin Gabriele
Cirener gleich zu Beginn der Urteilsverkündung und griff damit die
öffentliche Debatte auf. „Die Antwort des Gesetzes ist ganz klar“, sagte
Cirener dann, „Mord verjährt nicht.“
Das KZ Stutthof war zunächst ein Arbeitslager und wurde Sommer 1944 dann
faktisch zum Vernichtungslager. Zehntausende Gefangene starben an den
lebensfeindlichen Bedingungen. Die großteils jüdischen Häftlinge bekamen zu
wenig Nahrung, Wasser und Kleidung und kaum medizinische Behandlung. Später
kamen auch eine Genickschussanlage und eine Gaskammer zum Einsatz. Viele
Häftlinge wurden auch von Stutthof nach Auschwitz verbracht oder starben
auf Todesmärschen.
Das war, so der BGH, die Haupttat. Als Täter seien verantwortlich [2][der
KZ-Kommandant Paul Werner Hoppe], sein SS-Stab und die NS-Führung um Adolf
Hitler und Heinrich Himmler. Irmgard Furchner habe zu den Morden von
Stutthof „physische und psychische Beihilfe“ geleistet.
## Bestellung von Zyklon B
Furchner habe sich als „zuverlässige und gehorsame Untergebene“ in den
Lagerbetrieb eingeordnet und damit den Lagerkommandanten unterstützt. Ihre
Tätigkeit im „inneren Kreis des Vertrauens“ wertete der BGH als psychische
Beihilfe.
Daneben habe Furchner aber auch physische Beihilfe geleistet, also durch
reale Handlungen am Massenmord mitgewirkt. „Das KZ war wie eine Behörde
organisiert, da gab es sehr viel Schriftverkehr. Deshalb war eine
Schreibkraft erforderlich“, erklärte die Vorsitzende Richterin. Von den
Befehlen des Kommandanten bis zur Bestellung des Vernichtungsgases Zyklon
B, alles lief über den Schreibtisch des KZ-Geschäftszimmers und Furchner
war die einzige Stenotypistin des Lagers.
Auch am Vorsatz Furchners hatte der BGH keinen Zweifel. Es sei
unvorstellbar, dass sie zwei Jahre lang nicht mitbekommen habe, was in
Stutthof passierte. „Jeder im Lager kannte den Geruch verbrannten
Menschenfleisches aus dem Krematorium“, erklärte Cirener. Der BGH kam
deshalb zum Schluss, dass die Beweiswürdigung des LG Itzehoe ohne
Rechtsfehler erfolgte.
Der Anwalt von Furchner, Wolf Molkentin, hatte in der mündlichen
Verhandlung Ende Juli argumentiert, Furchner habe doch nur „neutrale
Handlungen“ verrichtet. Ob sie Schreibarbeiten in einer Bank oder in einem
KZ erledigt, dürfe rechtlich keinen Unterschied machen.
Dies ließ der BGH aber nicht gelten. Neutrale berufliche Handlungen seien
nur dann straffrei, wenn der Helfer nicht wisse, dass er an einer Straftat
mitwirke oder dies nur für möglich halte. Wer aber wie Furchner um den
verbrecherischen Charakter des KZs wisse, könne sich nicht auf die
Neutralität seiner Handlungen berufen. „Ihre Schreibarbeiten haben damit
den Charakter von Alltagshandlungen verloren“, betonte Richterin Cirener.
Damit wurde erstmals eine zivilbeschäftigte KZ-Mitarbeiterin rechtskräftig
verurteilt. Doch für den BGH machte das keinen Unterschied. „Es kommt nicht
darauf an, ob ein Täter eine Uniform trägt“, erklärte Cirener.
Irmgard Furchner konnte sich auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Sie
hatte im Lauf der Jahrzehnte zwar dreimal bei der Polizei als Zeugin über
ihre KZ-Tätigkeit ausgesagt und jedes Mal habe man ihr versichert, dass sie
persönlich sich nicht strafbar gemacht habe. Das zähle heute aber nicht
mehr, denn es sei Ausdruck einer „fehlgeleiteten Strafverfolgungspraxis“
gewesen, so die Richterin. (Siehe nebenstehenden Text) Diesen deutlichen
Begriff benutzte der BGH erstmals.
Furchner war aus gesundheitlichen Gründen nicht nach Leipzig gekommen. Sie
muss nun aber auch nicht ins Gefängnis, denn das LG Itzehoe hatte sie nur
zu einer zweijährigen Jugendstrafe auf Bewährung verurteilt. Dabei wurde
auch der lange Zeitablauf berücksichtigt.
Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, lobte
das Urteil: „Für Schoa-Überlebende ist es enorm wichtig, dass eine späte
Form der Gerechtigkeit versucht wird.“
20 Aug 2024
## LINKS
[1] /Prozess-gegen-ehemalige-KZ-Sekretaerin/!5900761
[2] /Historisches-Urteil-gegen-NS-Verbrecher/!6031505
## AUTOREN
Christian Rath
## TAGS
KZ Stutthof
Holocaust
Shoa
NS-Verbrechen
Schwerpunkt Nationalsozialismus
Justiz
BGH
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Griechenland
NS-Verbrechen
Homosexuelle
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