# taz.de -- Historisches Urteil gegen NS-Verbrecher: Die Geschichte irregeleite… | |
> Die Sekretärin des KZ Stutthof darf jetzt laut BGH verurteilt werden. Für | |
> den KZ-Kommandanten fanden Richter 1955 vor allem eins: strafmildernde | |
> Gründe. | |
Bild: KZ-Prozess Stutthof in Bochum: der Angeklagte Werner Hoppe (auf der Ankla… | |
Fast 80 Jahre nach Kriegsende ist der Bundesgerichtshof zu einem klaren | |
Urteil gekommen. Auch wer wie die heute 99-jährige Irmgard Furchner nur als | |
Sekretärin in einem Konzentrationslager tätig war, hat sich der Beihilfe | |
zum Massenmord an über 10.000 Menschen schuldig gemacht. [1][Das Urteil] | |
zeigt aber auch, wie milde im Vergleich dazu die Justiz in den ersten | |
Jahren der Bundesrepublik mit NS-Tätern umgegangen ist. | |
Ein skandalöses Beispiel unter vielen: Paul Werner Hoppe. Der war der | |
Kommandant des KZ Stutthof, dem Furchner damals [2][als Schreibkraft | |
zuarbeitete.] Und er kam in den 1950er-Jahren mit einer relativ kurzen | |
Haftstrafe davon – mit einer heute unfassbar klingenden Urteilsbegründung. | |
## Hoppe erteilte Befehle zur Vergasung | |
Der 1910 geborene Hoppe war [3][laut Gerichtsunterlagen] bereits im | |
November 1932 der NSDAP und im Januar 1933 der SS beigetreten. Ab Mitte der | |
1930er war er in unterschiedlichen Positionen auch in Konzentrationslagern | |
tätig. 1938 wurde Hoppe zum Stab des Führers der | |
„SS-Totenkopf-Verbände-Konzentrationslager“ in Oranienburg versetzt. 1942 | |
wurde er als SS-Sturmbannführer zum Kommandant des KZ Stutthof und blieb es | |
bis Januar 1945, als er die Evakuierung durch einen Todesmarsch begann. | |
In dieser Zeit wurde Stutthof zum Vernichtungslager ausgebaut. Vor allem | |
1944 wurden zehntausende Menschen aus Ungarn oder aus anderen Lagern wie | |
etwa Auschwitz hierhin verlegt. Es kam zu einer „rapiden Vergrößerung der | |
Häftlingskopfzahl“, wie das Landgericht Bochum 1955 in seinem Urteil gegen | |
Hoppe feststellte. „Die Sterblichkeit unter den Häftlingen war um diese | |
Zeit besonders gross“, infolge ansteckender Krankheiten wie Ruhr, | |
Fleckfieber, Typhus, die sich aufgrund der mangelnden Hygieneeinrichtungen | |
leicht ausbreiten konnten. | |
Im Herbst 1944 wurde eine sogenannte Kleiderentlausungsanlage zur Vergasung | |
von Juden genutzt. Die entsprechenden Befehle [4][hatte laut Gericht Hoppe | |
erteilt]. „Außer durch Vergasung ist im KL Stutthof mit Billigung des | |
Angeklagten Hoppe im Rahmen der von ihm befohlenen Vernichtungsaktion 89 | |
(Endlösung der Judenfrage) die Tötung jüdischer Häftlinge auch durch | |
Erschießungen mittels Genickschusses betrieben worden“, heißt es weiter im | |
Urteil. | |
## Nur fünf Jahre | |
Trotz seiner eindeutig belegten Nazi-Karriere wurde Hoppe 1955 in einem | |
ersten Prozess vom Landgericht Bochum nur zu einer Haftstrafe von etwas | |
mehr als fünf Jahren verurteilt. | |
Zwar sei „die Massenvernichtung jüdischer Menschen im ‚Dritten Reich‘ (�… | |
nach ihrem Ausmaß und Durchführung eine entsetzliche Untat“, schrieben die | |
Richter des Landgerichts und kamen zu dem Schluss: „Für alle diejenigen, | |
die sich die barbarischen Beweggründe für diese grauenhafte Ausrottung von | |
Millionen unschuldiger Menschen zu eigen gemacht und bei der Planung und | |
Einleitung an führender Stelle mitgewirkt haben, könnte deshalb nach | |
Auffassung des Gerichts keine Strafe zu hoch sein.“ Sie hätten „unter | |
Missbrauch ihrer Vorgesetztenstellung zahlreiche Untergebene, die ihrer | |
Erziehung und Veranlagung nach an sich jedem Verbrechen fernstehen und | |
-standen, in Schuld und Strafe mit hineingezogen.“ | |
Doch genau zu diesem „Kreise der so Irregeleiteten und Verführten gehören | |
nach Auffassung des Gerichts auch die Angeklagten“, wie es das Gericht | |
formulierte. Ihre Schuld entspringe nicht ihrer eigenen Ideen- und | |
Gefühlswelt. „Sie wurzelt vielmehr in einer inneren Entscheidungsschwäche, | |
die die Angeklagten daran gehindert hat, sich entsprechend rechtlichem und | |
sittlichem Gebot auch fremdem verbrecherischen Willen zu entziehen und | |
jeden Beitrag zu dessen Verwirklichung standhaft zu versagen.“ | |
## Anweisungen von Hoppe „nur weitergegeben worden“ | |
Der „grundlegende Befehl Adolf Hitlers über die ‚Endlösung der Judenfrage… | |
und die konkrete Anweisung, „die im KL Stutthof befindlichen Juden bis zum | |
31. 12. 1944 zu vernichten“, sei von Hoppe eben nur weitergegeben worden. | |
Deshalb sah das Gericht von einer lebenslangen Zuchthausstrafe ab. | |
Selbst Hoppes langjährige Mitgliedschaft in der SS, in der er kurz vor | |
Kriegsende noch zum Obersturmbannführer befördert worden war, wertete das | |
Gericht als strafmildernd. Dem Angeklagten sei „die Pflicht zu unbedingtem | |
Gehorsam in jahrelanger erzieherischer Einwirkung bei der SS, bei der | |
absolute Befehlstreue bekanntermaßen als oberstes Gebot galt, immer wieder | |
eingeimpft worden“. | |
Für Hoppe und einen weiteren Angeklagten spreche auch, so hieß es weiter im | |
Urteil, dass sie „bisher gerichtlich nicht bestraft und offensichtlich | |
keine verbrecherischen Naturen sind. Vielmehr ist dem Angeklagten Hoppe zu | |
bescheinigen, dass er als tapferer Frontoffizier auf den | |
Hauptkriegsschauplätzen sich bewährt hat“. Kurz muss man an dieser Stelle | |
an [5][die aktuelle Diskussion um die Ergänzung des Traditionserlasses der | |
Bundeswehr] denken, der es erlauben sollte, einstige | |
[6][Wehrmachtsangehörige als Beispiele für Kriegstüchtigkeit anzuführen]. | |
## „Von den Judentötungen abgesehen“ | |
Aber zurück ins Jahr 1955. Nicht zuletzt hätte den Angeklagten „von den | |
Judentötungen abgesehen – sonst keine konkreten persönlichen Verfehlungen | |
und Übergriffe gegenüber Lagerhäftlingen nachgewiesen werden“ können, | |
urteilte das Landgericht. Deshalb halte es eine „Zuchthausstrafe von 5 | |
Jahren und 3 Monaten für die erforderliche, aber auch ausreichende Sühne.“ | |
Zwar wurde das Urteil 1956 vom Bundesgerichtshof aufgehoben. Hoppe wurde | |
1957 in einem neuen Verfahren zu neun Jahren Haft verurteilt. Aber schon | |
1960 wurde er aus dem Gefängnis entlassen. | |
Paul Werner Hoppe starb 1974 als Rentner in Bochum. So klar und gerecht das | |
neue Urteil des Bundesgerichtshofs ist, kommt es bloß zu spät. | |
20 Aug 2024 | |
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[5] /Wehrmacht-und-Bundeswehr/!6028063 | |
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## AUTOREN | |
Gereon Asmuth | |
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