| # taz.de -- Massentourismus in Norwegen: Kreuzfahrtschiffe am Aurlandsfjord | |
| > Vor gut 30 Jahren verkaufte unsere Autorin Souvenirs im norwegischen | |
| > Flåm. Heute will sie herausfinden, was der Tourismus mit dem Ort gemacht | |
| > hat. | |
| Bild: Italien, China, USA: Aus der ganzen Welt kommen heute Menschen nach Flåm | |
| Als ich aus dem Zug steige und mich umdrehe, sehe ich sie sofort. Hinter | |
| mir ragt eine Bergwand hoch, sehr nah und sehr steil, von dem Anblick wird | |
| mir schwindelig. Meine erste Begegnung mit Flåm, Sommer 1993. Ich bin zum | |
| Arbeiten hergekommen. Für den kleinen Ort am Aurlandsfjord in [1][Norwegen] | |
| hatte, noch ziemlich bescheiden, eine neue Ära angefangen. Die Flåmbahn | |
| würde am Ende jenes Jahres 380.000 Reisende transportiert haben, ein | |
| ziemlicher Anstieg gegenüber den 200.000, die davor jahrelang üblich waren. | |
| Wir wohnten im ehemaligen Bahnhof und verkauften Souvenirs im ehemaligen | |
| Supermarkt. Dass beide Gebäude gerade erst ausgemustert worden waren, weil | |
| sich der Ort weiterentwickelte, ließ meine vier Kolleginnen und mich weder | |
| über seine Geschichte noch seine Zukunft grübeln. Wir waren hier, weil es | |
| ein cooler Sommerjob war und weil wir mit nützlichen Sprachkenntnissen | |
| punkten konnten. Deutsch stand schon längst weit oben auf der | |
| Prioritätenliste norwegischer Souvenirshop-Inhaber. | |
| Mehr als 30 Jahre später komme ich zurück nach Flåm. Diesmal nähere ich | |
| mich vom Wasser aus. Ich gleite auf einem [2][emissionsfreien | |
| Elektrokatamaran] durch die immer noch schwindelerregend schöne Landschaft. | |
| Nicht nur dieses futuristische Schiff hätte ich mir nicht ausmalen können. | |
| „Disneyland?“, hatte ich mir notiert, als ich hörte, es gebe jetzt eine | |
| Showeinlage beim schönsten der Wasserfälle. Und „[3][Overtourism]?“, als | |
| ich las, dass die Flåmbahn auf ihrem verrückten Kletterkurs, den Berg rauf | |
| und runter, inzwischen rund eine Million Menschen im Jahr transportiert. | |
| Ich will sehen, was das bedeutet. Zum Übernachten finde ich nichts mehr | |
| unter 300 Euro, da hätte ich wohl früher aufstehen müssen. Es wird eine | |
| Tagesreise, die älteste im Angebot: „Norway in a Nutshell“. Die Essenz | |
| Norwegens zu erleben, das ist seit 1976 das Versprechen. Der Anbieter | |
| stellt Tickets und Reisedaten zusammen, fahren muss man dann schon allein. | |
| Zug, Bus, Schiff, Zug, Zug. Von Bergen rein in die Fjorde, [4][hoch ins | |
| Gebirge] und von da wieder zurück in die Stadt. | |
| Der Bus, Abschnitt zwei des Tages, macht einen Zwischenstopp. Auf Geheiß | |
| des Busfahrers stürmen die Passagiere durch eine Hotellobby und auf der | |
| anderen Seite wieder raus – da ist sie, die Aussicht. Fjord von oben! | |
| Fotos! Man darf noch aufs Klo gehen, dann ab zurück in den Bus. Die Frau an | |
| der Rezeption des Stalheim Hotels lacht, als ich sie frage, ob ihr das | |
| absurd vorkomme: Ach nein, die Busse kämen nur ein paar Mal am Tag, danach | |
| sei es ja sofort wieder ruhig. Es gehöre zu ihrem Sommer. | |
| Umsteigen in Gudvangen, hier liegt sie, die „Future of the Fjords“, so | |
| betont futuristisch mit ihren spitz zulaufenden, verdunkelten Fensterreihen | |
| und den schräg verlaufenden Gangwegen. Die Zukunft der Fjorde – der Name | |
| des Schiffs ist Programm, Marketing und Wunschdenken in einem. Es ist der | |
| ganze Stolz der Betreiber The Fjords. Die gehören zum Konzern Norway’s Best | |
| und der schwebt hier über so ziemlich allem, was Tourismus berührt. So viel | |
| ist seit 1998 passiert, als lokale Akteure, darunter die Kommune selbst, | |
| die Flåmbahn übernahmen und ernst machten mit dem Tourismus. Ihre | |
| Hauptattraktion wäre sonst wohl den Sparplänen der Norwegischen | |
| Bahngesellschaft zum Opfer gefallen. | |
| Nach einer halben Stunde auf dem Wasser dämmert mir, dass ich gerade eine | |
| gute Seite der ganzen Entwicklung erlebe: Es ist ja so still hier! Es | |
| rumpelt nicht, brummt nicht, raucht und tutet nicht und, wahrscheinlich vom | |
| Schiff angesteckt: Niemand spricht laut. Wie angenehm das Reisen ist, wenn | |
| außer vereinzelten Möwenrufen nichts zu hören ist. | |
| So [5][nachhaltig wie möglich] – die Anreise der vorwiegend internationalen | |
| Passagiere mal wegfantasiert – gleiten wir also über dieses tiefe, tiefe | |
| Wasser. Vorbei an ein paar kleinen Dörfern und einzelnen Höfen und fest | |
| umschlossen von hoch aufragenden Bergwänden. Der Nærøyfjord steht seit 2005 | |
| auf der Unesco-Liste des Welterbes. Dafür reicht Schönheit allein nicht, | |
| weitestgehend unberührt muss sie sein. Im [6][durchtunnelten Norwegen] | |
| keine Selbstverständlichkeit, aber hier ist immer noch nicht jeder Ort mit | |
| dem Auto erreichbar. | |
| Ich habe dieses Schiff vorschnell als angeberisch abgetan. Das Design | |
| schafft Platz – 400 Passagiere haben genug Auslauf, es gibt kein Gedrängel | |
| um die beste Aussicht, keine engen Gänge und nicht mal Schlangen vor der | |
| Toilette. Die [7][Erforschung des Übertourismus] wird ausgesetzt wegen: ist | |
| nicht. | |
| Dabei hilft auch der Ort selbst. Die Natur ist hier so viel größer als die | |
| Menschen, es müsste schon einiges passieren, bevor einem das verleidet | |
| wird. Norwegen kann das besonders gut: Man fühlt sich klein und genießt es | |
| auch noch. Perspektiven gerade zu rücken ist eine klassische Fjordaufgabe. | |
| Ich schaue und schaue – und irgendwann erkenne ich tatsächlich einen | |
| Berggipfel wieder. Gleich sind wir da! Ab jetzt gucke ich nur noch nach | |
| vorne. Bis ich den Eindruck habe, dass das Schiff sich gar nicht bewegt, | |
| sondern nur das Bild vor uns näher heranzoomt: Flåm, wie es daliegt am Ende | |
| des Aurlandsfjords. Aber je größer das Bild wird, desto weniger erkenne | |
| ich. Es wird von einem [8][riesigen Kreuzfahrtschiff] überschattet. | |
| Ich wusste, dass sie da sind, aber es ist doch etwas anderes, sie | |
| tatsächlich zu sehen. [9][Früher blieben die Riesendinger im großen | |
| Sognefjord liegen], ausflugswillige Passagiere tuckerten auf kleineren | |
| Schiffen hierher. Das zu ändern war eine Bedingung der Norwegischen | |
| Bahngesellschaft bei der Übernahme der Flåmbahn und die erste großen | |
| Maßnahme der Gemeinde Aurland. Die Mutterschiffe bis hierher kommen zu | |
| lassen, sollte mehr Passagiere und also mehr Geld für Ausflugsanbieter, | |
| Bahn und Handel bringen. 1999 wurde der Cruisekai fertig. | |
| Der Katamaran unter mir gleitet nun fast zierlich wirkend am | |
| Kreuzfahrtriesen vorbei. Und ich sehe dahinter, in der bunten Masse aus | |
| Gebäuden, Fahrzeugen und Menschen, auf die wir zusteuern, etwas Vertrautes: | |
| den alten Bahnhof, in dem ich vor 31 Jahren gewohnt habe. „Flåmsbana | |
| Museet“ steht groß dran. Meine Saisonarbeiterinnen-WG ist ein Museum | |
| geworden. | |
| Ich gehe an Land und weiß schon: Schluss mit dem angenehmen Reisen, hier | |
| ist es genau so, wie ich es befürchtet hatte. Ich brauche Kaffee. Gehe | |
| zuerst an dem Gebäude vorbei, das 1993 neu und alleine dort stand, jetzt | |
| ist es von vielen noch viel neueren eingerahmt. An der Seite hinter einer | |
| Absperrung steht eine Bank, darauf ein Schild: nur für Personal. Die | |
| brauchen hier jetzt offenbar kleine Schutzräume. Ich gehe weiter, links | |
| stehen fünf Reisebusse geparkt, rechts sehe ich eine Art Foodcourt, Buden | |
| aufgereiht mit angeblich lokalem Essen, dazwischen Stände mit angeblich | |
| lokalem Handwerksschnickschnack, Menschenmassen schieben sich hindurch. Ich | |
| schiebe hinterher, aber es ist mir zu viel, schnell wieder raus auf der | |
| anderen Seite. | |
| Ich passiere weitere Gebäude mit Restaurants und Imbissen, auf dem | |
| Parkplatz Autos über Autos. Meinen Kaffee kaufe ich am Ende entnervt bei | |
| der Flåm Bakery, weil die Schlange sich da am schnellsten zu bewegen | |
| schien. Die Bedienung spricht nur Englisch. | |
| Mit dem Becher in der Hand gehe ich am Kai entlang, Fahrradverleih reiht | |
| sich an Schnellboot-Ausflugs-Bude und Souvenirstand. Aber der alte | |
| Picknicktisch da, etwas abseits und ganz frei, der kommt mir bekannt vor. | |
| Wie in jedem Touristenhotspot entkommt man dem Schlimmsten nach ein paar | |
| Metern Fußweg. | |
| Da vorne habe ich gearbeitet. „Flåm Sweater Shop“ steht jetzt darüber, | |
| neuer Name, selbes Thema. | |
| Wir wussten, wann die Züge der Flåmbahn ankamen, dann standen wir im Laden | |
| parat und sahen sie kommen. Hunderte Menschen, die gleichzeitig | |
| ausschwärmten und von denen ein guter Teil bei uns auftauchen würde. Sie | |
| taten, was nur Touristen tun: Sie kauften Trollfiguren und Strickpullover | |
| mit Elchmotiv, Briefbeschwerer mit eingraviertem Eisbär und Eierwärmer in | |
| Form kleiner Wikinger. Manchmal standen welche bei uns im Wohnzimmer, auf | |
| der Suche nach dem Bahnhof. Wir hängten irgendwann ein Schild an die Tür, | |
| in vier Sprachen: Dies ist nicht der Bahnhof. | |
| Es ist immer noch so, verstehe ich, nur maximal aufgepumpt. | |
| Der Umsatz aus dem Tourismus ist hier zwischen 1998 und 2019 von 80 | |
| Millionen Norwegischen Kronen, damals rund 20 Millionen D-Mark, auf fast | |
| eine Milliarde Kronen gestiegen, zur Zeit rund 85 Millionen Euro. Das gibt | |
| es nicht umsonst. Bei allen Bemühungen, Reisende in allen Jahreszeiten | |
| herzulocken: Der Handel in Aurland erwirtschaftet ein Drittel seines | |
| Jahresumsatzes im Juli und August. Und was passierte, als [10][wegen Corona | |
| plötzlich alles stillstand]? Die Arbeitslosigkeit stieg von 0 auf 25 | |
| Prozent, war statt der niedrigsten plötzlich die höchste im Land. | |
| Die Menschen hier sind davon abhängig, dass es läuft. | |
| Ich gehe rüber in den Laden, den ich früher nur in unserer kitschigen | |
| Arbeitsuniform betreten habe. Sie ähnelte bewusst den norwegischen | |
| Trachten. Einmal war eine Amerikanerin sehr enttäuscht, als sie hörte, dass | |
| ich gar kein Bauernmädchen von einem der einsam gelegenen Höfe oben am | |
| Berghang bin, sondern eine Abiturientin aus Deutschland. Weil ich ihre | |
| Frage ehrlich beantwortete, bekam sie aus Versehen einen Blick in das | |
| Spiel, das gespielt wird: Warum wollte sie denn, dass ich ein Bauernmädchen | |
| aus den Bergen bin? Warum hatte ich eine Uniform an, die genau das | |
| suggerieren sollte? Menschen haben Vorstellungen von Orten, die sie | |
| besuchen, und damit lassen sich Geschäfte machen. Ach, Menschen. | |
| Es dominieren auch 2024 noch Strickpullover und Trollfiguren im | |
| Souvenirladen. Gerade ist nicht viel los, ich spreche eine der | |
| Verkäuferinnen an. Sie erzählt gerne, in fast perfektem Norwegisch: Dieser | |
| Laden gehöre heute zu einem von dreien, insgesamt seien sie 50 | |
| Saisonkräfte. Sie selbst sei aus Spanien und schon den vierten Sommer | |
| dabei, und sie finde es super. Ich kann sie verstehen, es ist eine | |
| intensive Arbeit in einer eigenen kleinen Blase. Aber als Zuschauerin macht | |
| mich das heute alles sehr müde. | |
| Ich habe nur noch eine Stunde, bis der Zug mich den Berg hochfährt, ich | |
| will schnell noch den Hügel raufgehen wie damals nach der Arbeit. Kein | |
| freier Feldweg mehr, sondern eingezäunte Spazierwege mit Hinweisschildern. | |
| Eine französische Familie pflückt am Wegrand Himbeeren, ein Pärchen kommt | |
| mir Hand in Hand entgegen, dann bin ich allein. Immer noch schön hier, | |
| trotz des Kreuzfahrtschiffs im Panorama. Mit ein bisschen Abstand geht’s. | |
| Auf dem Rückweg komme ich an einem hübschen Café vorbei. Hier arbeitet | |
| Anders und siehe da: ein Einheimischer. Davon gibt es nicht so viele, in | |
| Flåm selbst nur ein paar Hundert, Tendenz sinkend. „Ich bin hier | |
| aufgewachsen“, sagt Anders, es klingt durchaus stolz. Er ist 17, im | |
| Tourismus arbeite er schon seit Jahren. Dieser Job, im noch ganz neuen Café | |
| Bakkastova, gefällt ihm bisher am besten. „Weil das Café authentisch | |
| norwegisch ist“, sagt er. Seine Mutter leite übrigens die Rezeption dort im | |
| Hotel. | |
| Ob es ihnen nicht manchmal zu viel werde, frage ich ihn, die ganzen Leute | |
| hier. „Vor ein paar Jahren dachte ich das mal, da wollte ich mit dem | |
| Fahrrad durchs Zentrum fahren und kam nicht durch.“ Seitdem habe die | |
| Gemeinde das mit den Kreuzfahrtschiffen aber besser reguliert, sagt er, es | |
| sei okay jetzt. | |
| Laut einer Befragung von 2019 findet rund die Hälfte der Einwohner der 14 | |
| meistbesuchten norwegischen Reiseziele, bei ihnen seien „passend viele“ | |
| Gäste. Die andere Hälfte antwortete es seien „zeitweise zu viele“. In Fl�… | |
| jemanden zu finden, der offen darüber spricht, dass alles zu viel ist, ist | |
| nicht leicht. Man handele sich Ärger ein in der Gemeinde, höre ich später | |
| von einem Einheimischen am Telefon. Er hasst die Kreuzfahrtschiffe, es regt | |
| ihn alles auf, aber er will damit nicht zitiert werden. Immerhin, sagt er, | |
| sie stinken nicht mehr so wie früher. | |
| Warum ist das eigentlich so eskaliert? Ach, wer wundert sich schon. Alles | |
| muss ständig wachsen und mehr werden, und Menschen machen, wozu sie Lust | |
| haben, wenn sie niemand daran hindert. Wer wollte es ihnen verübeln? Im | |
| Zeitalter von Bucketlists, [11][Vanlife] und Travel Content wird die | |
| Sehnsucht, bestimmte Orte mit eigenen Augen gesehen zu haben, in den | |
| sozialen Medien [12][zusätzlich dauergefüttert]. Und wenn niemand Grenzen | |
| setzt, wird es wohl einfach immer weiter eskalieren. In Norwegen wird im | |
| Regierungsauftrag an Ideen gearbeitet, wie man Reisende animiert, sich | |
| etwas mehr im Land und über das Jahr zu verteilen, mit neuen Angeboten für | |
| weniger bekannte Gegenden, zum Beispiel. | |
| Und es werden auch Grenzen gesetzt – Flåm etwa hat die zulässige | |
| Stickstoffausstoßmenge für Kreuzfahrtschiffe gesenkt, wie Hafendirektor Tor | |
| Mikkel Tokvam berichtet. Aber die Grenzen, die die Regierung in Oslo setzen | |
| will, kommen hier überhaupt nicht gut an. Seit Jahren kämpft die Gemeinde | |
| gegen die geplante Vorgabe an, nach der schon ab 2026 nur noch | |
| [13][emissionsfreie Kreuzfahrtschiffe] in die UNESCO-Fjorde fahren sollen. | |
| Die Kommune befürchtet große wirtschaftliche Schäden. | |
| Was die Gemeinde vor allem fordert: Geld für die seit Jahren geplante | |
| Landstromanlage am Hafen. Damit sollen hier liegende Schiffe mit Ökostrom | |
| versorgt werden, die dann ihre Dieselgeneratoren ausstellen könnten. „Die | |
| Anlage wäre eigentlich schon fertig“, schreibt Hafendirektor Tor Mikkel | |
| Tokvam der taz. Aber eigenhändig 100 Millionen Kronen zu investieren, und | |
| dann bricht ihnen wegen der Regel aus Oslo der Kreuzfahrttourismus weg – | |
| das gehe nicht. | |
| Als ich mich vom Café Bakkastova verabschiede, ruft Anders noch hinterher: | |
| „Auf die rechte Seite setzen! Aber das weißt du vielleicht noch.“ Nein, ich | |
| hatte es vergessen, danke, Anders. Der Zug fährt den längsten Teil seiner | |
| 20 Kilometer mit der besten Aussicht rechts. Im ersten Wagen finde ich | |
| einen freien Fensterplatz. Plötzlich habe ich die Stimme des Schaffners von | |
| damals im Kopf, sein Englisch mit norwegischem Akzent. Heute hängen hier, | |
| wie es überall auf der Welt wäre, Bildschirme, und es laufen Durchsagen vom | |
| Band. Die Stimme spricht Englisch, Chinesisch und Deutsch. | |
| Der Zug ist voll bis oben hin, es werden sehr viele Sprachen gesprochen. | |
| Deutsch, Chinesisch, südasiatische Sprachen, die ich nicht erkennen kann, | |
| Schwedisch, Italienisch und amerikanisches Englisch. Und manchmal sogar | |
| Norwegisch. Mit all diesen Leuten tuckert die Bahn erst das langgezogene | |
| Tal mit dem Fluss entlang, stetig bergauf, es kommt der erste Tunnel. Dann | |
| die Aussicht auf die Bergwand mit Tunneln auf mehreren Etagen, auf den | |
| alten Zickzackwegen der Bahnarbeiter, an die das Design der „Future of the | |
| Fjords“ heute erinnern soll. | |
| Ich bin schon ganz aufgeregt, jetzt kommt der Kjosfossen. „You may step out | |
| and use your cameras“: Das war 1993 die Ansage des Schaffners. Der | |
| Wasserfall war schon immer eine Sehenswürdigkeit. Aber jetzt: Statt | |
| Bahnsteig eine riesige Terrasse. Hunderte Menschen sind aus dem Zug | |
| gestiegen und halten ihre Handys in die Höhe. Ich stelle mir vor, wie der | |
| Kjosfossen sich kaputtlacht über den Anblick. Statt Gelächter ertönt aber | |
| Musik, und weiter oben springt eine Gestalt in Rot, mit langer | |
| Blondhaarperücke: tatsächlich, eine Showeinlage! Deswegen hatte die Stimme | |
| im Zug vorhin was von den Huldras erzählt, den mythischen Wesen, die Männer | |
| in den Berg locken. | |
| Es ist so absurd, dass es eigentlich nicht ernst gemeint sein kann. | |
| Weswegen es die Leute amüsiert, weswegen sie gut gelaunt weiterfahren. | |
| Interessanter Effekt. Ich wäre trotzdem dafür, die Leute fünf Minuten ohne | |
| zusätzliche Action vor dem Kjosfossen stehen zu lassen. | |
| Ein paar Tunnel noch, darunter der sehr besondere mit 180-Grad-Kurve, dann | |
| sind wir oben. In Myrdal, 866 Meter über dem Meer. In anderthalb Stunden | |
| erst kommt der Zug zurück nach Bergen hier vorbei. Ich bin so müde, wie es | |
| nur eine mit Eindrücken überfütterte Touristin sein kann. | |
| Später schreibe ich Tor Mikkel Tokvam, dem Hafendirektor: Was denkt er, | |
| haben sie alles unter Kontrolle? Er nennt es eine kurze Spitze, wenn 500 | |
| Leute gleichzeitig aus der Bahn steigen und 400 vom Schiff gehen, nach zehn | |
| Minuten sei es wieder friedlich. Er räumt aber auch ein, dass das noch | |
| nicht alles ist: „Der Umfang an Wohnmobilen und [14][Airbnb] wird langsam | |
| zur Herausforderung“, sagt er. Er glaube, dass das die kommenden Jahre mehr | |
| reguliert werden müsse. „Verstopfte Straßen, wildes Camping und Müll, | |
| Wohnsiedlungen, in denen mehrere Häuser nicht von ihren Besitzern bewohnt, | |
| sondern vermietet werden – das stört das Wohlbefinden ein bisschen.“ Für | |
| einen, der im Zentrum der Entwicklung steht, eine deutliche Aussage. | |
| Flåm ist nur einer von vielen Orten in denen die Tourismus-Eskalation den | |
| ursprünglichen Alltag abgeschafft hat. Die [15][geschaffenen Zustände zu | |
| managen], darum geht es jetzt. Ich werde irgendwann nachfragen, ob sie am | |
| Au=rlandsfjord wenigstens die Wohnmobile unter Kontrolle gebracht haben. | |
| Und ein wenig um die alten Zeiten trauern, deren Ende ich 1993 ahnungslos | |
| mit eingeläutet habe. | |
| 24 Aug 2024 | |
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