# taz.de -- Hamburger Härtefallkommission: Zu viele Abschiebungen abgenickt | |
> Die Hamburger Härtefallkommission kann Abschiebungen verhindern. Das tut | |
> sie viel zu selten, denn sie ist selektiver aufgestellt als überall | |
> sonst. | |
Bild: Die Härtefallkommission sieht es oft anders als viele Wählerinnen und W… | |
Der Fall eines [1][Hamburger Schülers, der trotz bester Integration | |
abgeschoben werden sollte], erregte im Juli bundesweit Aufmerksamkeit. Das | |
Gesicht von Joel A. prangte in allen großen Medien, eine Petition für sein | |
Bleiberecht brachte es auf mehr als 100.000 Unterschriften. In ihrer | |
nächsten Sitzung entschied die Härtefallkommission der Hamburgischen | |
Bürgerschaft entgegen gerichtlicher Urteile, [2][dass Joel bleiben darf]. | |
Das ist eine gute Nachricht. Denn die Kommission ist das letzte Mittel, | |
wenn alle rechtlichen Wege ausgeschöpft sind und eine Abschiebung droht. | |
Die schlechte Nachricht ist: Bei der Mehrheit derjenigen, über deren | |
Zukunft die Härtefallkommission entscheidet, geht es anders aus. | |
Jedes Jahr landen hier mindestens 25 Fälle. Nur etwa 40 Prozent davon | |
werden zugunsten der Antragsteller beschieden, schätzt der | |
Kommissionsvorsitzende Ekkehard Wysocki (SPD). Es ist trotzdem wichtig, | |
dass es die Kommission gibt: Auch wenn sie nur ein Tropfen auf dem heißen | |
Stein ist, kann sie zumindest einige Fälle richten, in denen das deutsche | |
Aufenthaltsrecht zu besonders ungerechten Ergebnissen führen würde. | |
Im Vergleich zu anderen Bundesländern sind die Regeln der | |
Härtefallkommission in Hamburg jedoch besonders hart. Hier braucht es eine | |
Dreiviertelmehrheit, um einen Härtefall anzuerkennen. Die Kommission ist | |
außerdem die bundesweit kleinste. Sie besteht nur aus vier Abgeordneten, | |
[3][derzeit von SPD, Grünen, Linken und CDU]. Überall sonst werden auch | |
Vertreter von Sozialverbänden und Kirchen eingebunden. Man fragt sich: Wie | |
entscheiden diese vier Menschen mit sicherem Aufenthaltsstatus über das | |
Schicksal derer, die dieses Privileg nicht haben? | |
„Wir arbeiten ohne starre Richtlinien. Jeder Abgeordnete gewichtet die | |
Aspekte unterschiedlich“, sagt Wysocki. „Beispielsweise die | |
Deutschkenntnisse, Familiensituation, Krankheiten oder ob der Antragsteller | |
von Sozialleistungen lebt.“ Faktisch bedeutet das, dass eine besondere | |
Härte eher bei Personen anerkannt wird, die als besonders gut integriert | |
gelten. | |
Die Betroffenen haben aber oft gar nicht die Möglichkeit, sich so zu | |
integrieren, wie es die Kommission gern hätte. Denn wie sollen sie arbeiten | |
gehen, wenn ihnen das gar nicht erlaubt ist? Wie deutsch lernen, wenn ihnen | |
der Zugang zu Sprachkursen verweigert wird? Viele werden infolge von | |
Kriminalisierung an den Rand der Gesellschaft gedrängt. Sie haben kein | |
soziales Netz, das dazu in der Lage wäre, eine Kampagne für sie zu | |
organisieren. | |
## Kriminalisierung verhindert Integration | |
Dabei ist die öffentliche Aufmerksamkeit, die [4][Kampagnen wie die für | |
Joel A.] herstellen, ein weiterer Aspekt für die Entscheidung der | |
Kommissionsmitglieder. „Ich kann ehrlich sagen, dass es mich beeinflusst, | |
wenn über einen Fall sehr viel in den Medien berichtet wird oder wenn ich | |
von anderen Abgeordneten und Wählern darauf angesprochen werde. Das war bei | |
Joel A. der Fall“, sagt Wysocki. „Ich lasse mich davon aber niemals unter | |
Druck setzen.“ Carola Ensslen, die für die Linke in der Hamburger | |
Härtekommission sitzt, sagt: „Ich denke nicht, dass ohne den Druck der | |
Öffentlichkeit so schnell positiv über den Fall von Joel A. beschieden | |
worden wäre.“ | |
Für Joel ist es gut ausgegangen. Doch es bleibt ein ungerechtes System für | |
jene, die keine öffentliche Aufmerksamkeit und Sympathien bekommen. Zumal | |
die Struktur der Härtefallkommission es nicht zulässt, Ungleichbehandlungen | |
entgegenzuwirken. „Es wäre wichtig, dass die Mitglieder der Kommission | |
regelmäßig für Diskriminierungen sensibilisiert werden“, sagt Ensslen. | |
„Bisher gab es keinerlei Bemühungen in diese Richtung.“ | |
## Kommission muss diverser werden | |
Es täte es der Härtefallkommission in Hamburg gut, wenn Menschen sich | |
einbringen könnten, die Migrationserfahrungen gemacht haben oder mit diesen | |
Personen arbeiten und wissen, wie schwer es ist, sich trotz prekärem | |
Aufenthaltsstatus in Deutschland durchzuschlagen. Sie brächten mit | |
Sicherheit ein anderes Verständnis für die Mehrheit mit, die von der | |
Kommission abgewiesen wird. | |
6 Aug 2024 | |
## LINKS | |
[1] /Hamburger-Schueler/!6018139 | |
[2] /Hamburger-Schueler-darf-bleiben/!6023136 | |
[3] /Haertefallkommission-in-Hamburg/!5977120 | |
[4] https://innn.it/joel-bleibt-hier | |
## AUTOREN | |
Marta Ahmedov | |
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