# taz.de -- Westdeutsche Neonazis im Osten: Von Dortmund nach Halberstadt | |
> Seit 2022 beobachtet der Verfassungsschutz, dass Rechtsextreme aus NRW | |
> nach Sachsen-Anhalt ziehen. Was suchen westdeutsche Rechte im Harz? | |
Bild: Polizist geht auf einer Demo 2012 über Flaggen der verbotenen Kameradsch… | |
Halberstadt taz | Die meisten Menschen schaffen es, nie in einem Bericht | |
des Verfassungsschutzes aufzutauchen. Manche müssen dafür nur umziehen. | |
„Der bundesweit bekannte Rechtsextremist und Gründer des Labels ‚Kampf der | |
Nibelungen‘ Alexander Deptolla verlagerte seinen Lebensmittelpunkt von | |
Dortmund (Nordrhein-Westfalen) nach Halberstadt (Landkreis Harz)“, notieren | |
die Verfassungsschützer von Sachsen-Anhalt in ihrem neuen Bericht. Sie | |
schreiben auch, Deptolla sei nicht allein gekommen: „Seit 2022 ist ein | |
Zuzug weiterer rechtsextremistischer Akteure, insbesondere aus | |
Nordrhein-Westfalen, in den Landkreis Harz zu beobachten.“ | |
Diese Zeilen sind aus mehreren Gründen bemerkenswert. Wegen des guten | |
Abschneidens der AfD bei Wahlen in Ostdeutschland. Zieht es Neonazis aus | |
dem Westen dorthin, weil sie sich dort leichter betätigen können? Warum | |
wollen sie aus Dortmund und Umgebung weg? Die Stadt hat eine [1][lange | |
Geschichte rechtsextremer Aktivitäten, Führungsfiguren und Infrastruktur.] | |
Und: Warum Halberstadt? | |
Nach Informationen der taz sind in den vergangenen zwei Jahren neben | |
Alexander Deptolla mindestens vier weitere Männer aus der rechtsextremen | |
Szene nach Halberstadt gezogen: Matthias Deyda, Thorben Vetter, Markus | |
Walter und Ingo A. Diese fünf haben langjährige Erfahrungen in | |
rechtsextremen Strukturen, viele sind Führungspersonen. So schreibt es die | |
Sprecherin des Verfassungsschutzes in Nordrhein-Westfalen auf Anfrage, und | |
so erzählen es Aktivist:innen, die seit Jahren Rechtsextreme in und um | |
Dortmund beobachten. | |
Was bei der taz-Recherche klar wird: Die fünf Männer vernetzen sich in | |
Halberstadt, mobilisieren Gleichgesinnte und mischen auf der Straße mit. | |
Sie sind nicht umgezogen, um sich zur Ruhe zu setzen. | |
Alexander Deptolla ist der erfahrenste der fünf Übersiedler. Er gehörte zur | |
Führung der gewaltbereiten Kameradschaft „Nationaler Widerstand Dortmund“, | |
war [2][Landeschef der Partei „Die Rechte“ in Nordrhein-Westfalen] und ab | |
Anfang 2023 stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Dortmund der | |
NPD, die sich [3][inzwischen „Die Heimat“] nennt. Er organisierte eines der | |
wichtigsten Ereignisse der rechtsextremen Szene in Deutschland, die | |
Kampfsportveranstaltung „Kampf der Nibelungen“. Ein Ziel dieses Events: das | |
Vorbereiten der Teilnehmer auf die gewaltsame Auseinandersetzung mit | |
politischen Gegner:innen. | |
Die vier anderen haben ähnliche Biografien. Matthias Deyda saß für „Die | |
Heimat“ im Dortmunder Stadtrat. Im Februar dieses Jahres [4][hinderte die | |
Stadt Dortmund ihn, nach Ungarn zu reisen], zum „Tag der Ehre“, einem | |
Aufmarsch von Rechtsextremen aus ganz Europa. Walter ist ein Vertrauter von | |
Deutschlands prominentester [5][Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck]. | |
Die Männer um Alexander Deptolla können organisieren, sie haben gute | |
Kontakte zu Rechtsextremen im In- und Ausland. Was machen sie in einer | |
Kreisstadt am Rande des Harzes? | |
Deptollas Partnerin wohnt in Halberstadt. Aber die Umzüge sind keine reine | |
Privatsache. Michael Brück, einer der bekanntesten Neonazis Dortmunds und | |
mit Alexander Deptolla eng verbunden, warb bereits 2020 in einem Podcast | |
dafür, in den Osten Deutschlands zu gehen. Er sagte, der Westen sei | |
politisch verloren. In Dortmund gibt es seit einigen Jahren stärkeren | |
polizeilichen Druck auf die Szene und wachsende gesellschaftliche | |
Gegenwehr. Brück zog nach Sachsen. | |
„Seit den 1990er Jahren gibt es eine Tradition westdeutscher | |
Rechtsextremer, nach Ostdeutschland zu gehen“, sagt David Begrich vom | |
Verein Miteinander in Sachsen-Anhalt. „Hier erfahren sie einen größeren | |
Handlungsspielraum.“ Die Normalisierung rechtsextremen Gedankenguts sei | |
viel weiter fortgeschritten, die Immobilienpreise niedriger. Begrich sagt, | |
es hätte auch andere Regionen treffen können. | |
Halberstadt hat eine Geschichte von Rechtsextremismus und Gewalt. [6][2007 | |
schlugen Männer aus der rechten Szene eine Theatergruppe zusammen], 2000 | |
erstach ein Nazi-Skin einen 60-Jährigen, der sich über das Abspielen des | |
Horst-Wessel-Liedes beschwert hatte. | |
Daniel Szarata ist seit 2021 Oberbürgermeister von Halberstadt. Der | |
CDU-Politiker sagt, er habe gemischte Gefühle dabei, mit einem Journalisten | |
über die Neuzugänge in seiner Stadt zu reden. „Dass diese Menschen hier | |
wohnen, freut mich nicht“, sagt er am Telefon. „Aber ich habe keine Lust | |
auf das Image der 90er Jahre. Wir sind keine rechte Stadt.“ | |
Szarata hat selbst Erfahrung mit der Bedrohung durch Rechtsextremisten. Am | |
Abend des 14. Februar 2022 konnte er zusehen, wie [7][mehrere hundert mit | |
Fackeln bewehrte Demonstranten vor sein Wohnhaus zogen.] Angeführt wurden | |
sie von der lokalen neonazistischen Gruppe „Harzrevolte“. Die hat sich | |
mittlerweile aufgelöst. Viele Leute hätten sich hinterher bei ihm | |
entschuldigt, sagt Szarata. Er stehe „im guten Kontakt mit dem | |
Verfassungsschutz und der Polizei“. Und: „Bisher ist die Lage ruhig, kein | |
Anstieg an Aktivitäten, keine Konzerte, keine Veranstaltungen.“ | |
Robert Fietzke sieht das etwas anders. Er leitet die Zora, ein | |
soziokulturelles Zentrum in Halberstadt. Er beobachte, „dass die Dortmunder | |
sich vernetzen, über Messenger-Dienste und auf den Montagsmärschen mit eher | |
rechten, verschwörungsideologischen Milieus, die sich selbst nicht als | |
rechtsextrem betrachten.“ | |
Alexander Deptolla und andere aus der Gruppe tauchen seit April dieses | |
Jahres auf diesen Montagsmärschen in Halberstadt auf. Am 8. April, dem | |
Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, liefen sie und | |
andere Rechtsextreme als eigener Block auf der Demonstration mit. Auf ihrem | |
Transparent stand: „Wir gedenken der Toten von Halberstadt“. | |
Diese Montagsmärsche richteten sich 2020 – wie in vielen ostdeutschen | |
Klein- und Mittelstädten – gegen die Coronamaßnahmen. Seither läuft jede | |
Woche ein stabiles rechtes Protestmilieu durch Halberstadt. Am vergangenen | |
Montag waren auf einem Video der Organisatoren 150 bis 200 Menschen zu | |
sehen. Auf den Transparenten stand neben Anti-Impf-Slogans auch „Grüne an | |
die Front“. Wegen eines [8][„Ami go home“-Plakats des verbotenen | |
rechtsextremen Compact-Magazins] ermittelt inzwischen die Polizei. Es | |
redete ein AfD-Landtagsabgeordneter. | |
Für die Neonazis aus Dortmund ist das ein ansprechendes Publikum. Das | |
Interesse ist beiderseitig: Auf einem Video ist zu sehen, [9][wie | |
Organisatoren der Montagsmärsche Alexander Deptolla mit Handschlag] und | |
Lächeln begrüßten. Deptolla kam mit Gästen wieder, einer Gruppe Neonazis | |
aus der etwa eine Autostunde entfernten Stadt Burg. „Diese Männer sind seit | |
Jahren nicht mehr gemeinsam in Erscheinung getreten“, sagt eine Sprecherin | |
des Regionalen Beratungsteams gegen Rechtsextremismus. „Eventuell versucht | |
Alexander Deptolla, sie unter seine Fittiche zu nehmen.“ | |
Mindestens einer der rechtsextremen Zuzügler wurde zudem mehrfach [10][bei | |
Weda Elysia] gesehen. Das ist ein Verein völkischer Siedler:innen, der im | |
nahe gelegenen Dorf Wienrode seit 2018 einen Gasthof besitzt und | |
Grundstücke kauft. | |
Auch in Halberstadt gibt es die Befürchtung, Deptolla und die anderen | |
könnten Häuser für die rechtsextreme Szene erwerben. Markus Walter besaß in | |
Nordrhein-Westfalen ein Gebäude, in dem rechtsextreme Sänger und die | |
Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck auftraten. Matthias Deyda und | |
Alexander Deptolla waren Gesellschafter einer Immobilienfirma. | |
Nach taz-Informationen gehört zweien aus der Gruppe bereits ein Haus in | |
Halberstadt, in der Wernigeröder Straße. Deptolla nutzt eine Halle auf dem | |
Gelände der 2022 geschlossenen Halberstädter Möbelwerke als Sitz für seine | |
Firma „Tremonia Druck“. Wird er dort [11][Kampfsport-Events für | |
Rechtsextreme] veranstalten? Dafür seien die derzeitigen Räumlichkeiten | |
jedoch zu klein, sagt Oberbürgermeister Daniel Szarata. | |
Der CDU-Politiker hofft, dass sich Alexander Deptolla weiter unauffällig | |
verhält. Robert Fietzke von der Zora wünscht sich ein entschlosseneres | |
Vorgehen der Politik. Die Sprecherin des Verfassungsschutzes in | |
Nordrhein-Westfalen schreibt: „Bei den Wegzügen in den vergangenen Jahren | |
konnte als Muster beobachtet werden, dass jemand, der wegzieht und am neuen | |
Ort positive Erfahrungen macht, weitere Szeneangehörige zum Nachzug | |
motiviert.“ | |
28 Jul 2024 | |
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[1] /Rechtsextremismus-im-Ruhrgebiet/!5595208 | |
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[8] https://www.tagesschau.de/inland/regional/sachsenanhalt/mdr-halberstadt-erm… | |
[9] https://www.youtube.com/watch?v=hN8HzxcIleI | |
[10] https://www.mdr.de/nachrichten/sachsen-anhalt/magdeburg/harz/weda-elysia-r… | |
[11] /Rechte-Kampfsportclubs/!6019902 | |
## AUTOREN | |
Daniel Schulz | |
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