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# taz.de -- Andreas Zumach feiert 70. Geburtstag: Unverdrossen friedensbewegt
> Einst organisierte er die großen Friedensdemos im Bonner Hofgarten,
> schrieb dann Jahrzehnte für die taz. Jetzt klärt Zumach über den
> Ukrainekrieg auf.
Bild: Engagiert am Mikrofon: Andreas Zumach (links) bei einer taz-Veranstaltung…
Der Berliner Publizist Andreas Zumach erinnert sich in diesen Wochen und
Monaten wieder sehr gut an die Auseinandersetzungen aus den 1980er Jahren.
Wie der damalige CDU-Generalsekretär Heiner Geißler damals Aussagen
führender Grüner zu einer legendär gewordenen Tirade gegen den Pazifismus
nutzte. Die heutigen Attacken auf den Pazifismus ähnelten der infamen
Geschichtslüge Geißlers, konstatiert Zumach. Beispielsweise wenn
Friedensdemonstrant:innen zugerufen würde: „Lumpenpazifisten, geht
doch zu Putin!“
Konkret reagierte Geißler im Juni 1983 auf ein kurz zuvor im Spiegel
veröffentlichtes [1][Interview von Joschka Fischer und Otto Schily], die
seinerzeit dem Vorstand der grünen Bundestagsfraktion angehörten. Der
spätere Außenminister und der spätere Innenminister hatten darin über ein
mögliches Widerstandsrecht gegen die Atomrüstung gesprochen.
Er fände es „moralisch erschreckend, dass es offensichtlich in der
Systemlogik der Moderne, auch nach Auschwitz, noch nicht tabu ist, weiter
Massenvernichtung vorzubereiten – diesmal nicht entlang der
Rassenideologie, sondern entlang des Ost-West-Konflikts“, sagte Fischer in
dem Interview.
Diesen Satz nutzte Geißler im Bundestag zu einem demagogischen
Generalangriff auf den Pazifismus. Unter dem Beifall der Unionsfraktion
sagte er: „Der Pazifismus der 30er Jahre, der sich in seiner
gesinnungsethischen Begründung nur wenig von dem unterscheidet, was wir in
der Begründung des heutigen Pazifismus zur Kenntnis zu nehmen haben, dieser
Pazifismus der 30er Jahre hat Auschwitz erst möglich gemacht.“
## Empörung über Geschichtsklitterung
Diese Aussage sorgte für heftige und wütende Proteste im Parlament. Der
SPD-Abgeordnete Horst Ehmke warf Geißler eine ungeheuerliche
Geschichtsklitterung vor: „Der Pazifismus hat Auschwitz nicht möglich
gemacht, er ist in Auschwitz umgekommen.“
Wie seinerzeit würden Pazifist:innen erneut fälschlich für die
Appeasementpolitik der Westmächte Großbritannien und Frankreich gegenüber
dem nationalsozialistischen Deutschland verantwortlich gemacht, die 1938 im
Münchner Abkommen mündete, empört sich Zumach. Dabei habe es damals weder
in Großbritannien noch in Frankreich eine relevante pazifistische Bewegung
gegeben, erinnert er. Schon gar keine, die die Regierungen dieser Länder
davon abgehalten hätte, gegen Hitler vorzugehen.
Im Gegenteil: Überzeugte Pazifisten wie Albert Einstein hatten genau das
gefordert. Und in Deutschland seien die pazifistischen Kräfte noch
schwächer gewesen. „Die wenigen deutschen Pazifisten saßen schon längst in
den Konzentrationslagern, waren gefoltert und ermordet worden, bevor der
Holocaust in Auschwitz und anderen Orten begann“, so Zumach.
## Im Unruhestand
Sich mit Andreas Zumach an seinem heutigen Wohnort in Berlin zu treffen,
ist gar nicht so einfach. Obwohl eigentlich im Ruhestand, ist der mehrfach
ausgezeichnete Journalist derzeit viel unterwegs. Landauf, landab hält er
Vorträge, in denen er den Ukrainekrieg analysiert, spricht auf Konferenzen
oder auch auf Friedensdemonstrationen.
Es ist eine Rückkehr zu seinen Wurzeln. Denn in seinen jüngeren Jahren war
der am 30. Juli 1954 in Köln geborene Pazifist aktiv in der Aktion
Sühnezeichen Friedensdienste und maßgeblich beteiligt an den Protesten
gegen die damals von der NATO wie vom Warschauer Pakt gefährlich eskalierte
Aufrüstung in Europa.
Bis 1986 noch Mitglied der SPD, gehörte Zumach als Sprecher des
Koordinierungsausschusses der Friedensbewegung zu den Organisator:innen
der beiden [2][Großdemonstrationen 1981 und 1983] auf der Bonner
Hofgartenwiese. Von 1988 bis zum Renteneintritt 2020 arbeitete er dann als
UN-Korrespondent [3][vor allem für die taz], aber auch noch etliche weitere
Medien in Genf. Seitdem hat er wieder mehr Zeit für friedens- und
sicherheitspolitische Vorträge und Diskussionsveranstaltungen.
## „Wahl zwischen zwei großen Übeln“
Zumach gehört nicht zu jenen, denen irgendeine Sympathie oder Verharmlosung
Putins unterstellt werden kann. Schon Russlands militärische Intervention
auf der Krim und im Donbass 2014 kritisierte er scharf. „Eine wesentliche
Voraussetzung für die Wirksamkeit von Pazifismus ist seine
Glaubwürdigkeit“, sagt er. „Das bedeutet, den Einsatz und die Androhung
militärischer Gewaltmittel ausnahmslos zu kritisieren, egal, wo und durch
wen sie stattfindet.“
Der Ukrainekrieg frustriert Zumach zutiefst: „Wir haben die Wahl zwischen
zwei großen Übeln: Das eine wäre, der Krieg geht noch sehr lange weiter mit
sehr viel mehr Toten und Zerstörung.“ Am Ende würden Kiew und andere
Städte so aussehen wie Grosny nach dem Zweiten Tschetschenienkrieg – und
Russland gewinne dann doch militärisch. „Oder aber Putin greift, weil er
sich so in die Ecke gedrängt fühlt, doch zur Atomwaffe.“
Verglichen mit diesen beiden fürchterlichen Szenarien sei die Forderung
nach einer möglichst baldigen Waffenruhe und Verhandlungen noch die beste
Option. „Aber ich mache mir da keine Illusionen und sage auch nicht, dass
die Ukraine kapitulieren soll“, so Zumach. So lehnt er trotz seiner
pazifistischen Haltung die militärische Unterstützung des überfallenen
Lands zum Zweck der Selbstverteidigung nicht ab.
## Weiterhin überzeugter Pazifist
An seiner grundsätzlichen pazifistischen Überzeugung hat sich dadurch
nichts geändert, ganz im Gegenteil. Der alte Slogan „Frieden schaffen ohne
Waffen“ sei heute „gültiger und richtiger als je zuvor“, sagt der
[4][„Veteran der Friedensbewegung“] (Spiegel). Es sei nur „ein törichtes
Missverständnis zu glauben, er hätte immer nur gemeint, in einer konkreten
Situation, wo ein Konflikt bereits auf die Gewaltebene eskaliert ist und
eine Seite Waffen einsetzt, zu sagen, wir setzen aber unsererseits keine
Waffen ein“.
Für alle Gewaltkonflikte seit 1990 lasse sich feststellen, dass die von
Pazifist:innen immer wieder eingeforderten zivilen Instrumente zur
Prävention, Deeskalation und Beendigung dieser Konflikte entweder überhaupt
nicht oder nur unzureichend eingesetzt wurden, viel zu spät oder gar in
falscher, konfliktverschärfender Weise. Aber das könne nicht bedeuten, sich
deshalb nicht weiter dafür zu engagieren.
Oberste Aufgabe des Pazifismus bleibe, sich dafür einzusetzen, dass in der
Europäischen Union, in der gesamteuropäischen Organisation für Sicherheit
und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) und global auf Ebene der Vereinten
Nationen endlich die notwendigen zivilen Mittel, Instrumente und
Kompetenzen hergestellt, stark gemacht und auch eingesetzt werden, mit
denen verhindert werden kann, dass Konflikte überhaupt auf eine Kriegsebene
geraten.
## Forderung nach atomarer Abrüstung aktueller denn je
Noch eine andere alte Forderung der Friedensbewegung hält Zumach für
aktueller denn je: die nach atomarer Abrüstung. Putin führe seinen
konventionellen Krieg „im Schatten der Atomwaffen, mit denen er auf gezielt
missverständliche Weise droht“. Das würde doch alle bestätigen, die gesagt
haben, die atomaren Massenvernichtungswaffen müssten aus der Welt geschafft
werden. „Stattdessen heißt es jetzt, wir müssten auf Dauer bei der
nuklearen Bewaffnung bleiben, die Teilhabe daran ausbauen oder sogar eine
eigene europäische Atomwaffenstreitmacht aufbauen“, kritisiert Zumach.
Das sieht [5][Paul Schäfer nicht anders]. „Die Drohungen von Putin, Lawrow,
Medwedjew und Co. mit dem Einsatz dieser Terrorwaffen im laufenden Krieg
haben noch einmal klar gemacht, wie dringlich der von der
UN-Generalversammlung angenommene Vertrag über die Vernichtung der
Atomwaffenarsenale ist“, sagt der Kölner Soziologe, der von 2005 bis 2013
verteidigungs- und abrüstungspolitischer Sprecher der Linksfraktion im
Bundestag war. Gerade NATO und EU seien aufgerufen, ihre Fixierung auf
Hochrüstung und endlose Rüstungsmodernisierung aufzugeben und Vorschläge
für eine Politik der Entmilitarisierung unter dem Dach der UNO zu
entwickeln.
An erster Stelle stünden dabei die nuklearen Massenvernichtungswaffen,
deren vollständige Beseitigung auf die Tagesordnung gesetzt werden müsse.
Dass auch der Westen seit der Jahrhundertwende an Rüstungskontrolle und
Abrüstung nicht mehr interessiert gewesen ist, sei ein großer Fehler. Es
sei schon erschreckend, in welchem Ausmaß das Denken in
Kalte-Kriegs-Kategorien hierzulande wieder Einzug gehalten habe, beklagt
der 75-Jährige.
## Gegen Einäugigkeit und Doppelmoral
Wie Zumach, mit dem er öfters diskutiert, kritisiert aber auch Schäfer die
Einäugigkeit und Doppelmoral nicht nur in Politik und Medien, sondern auch
in Teilen der Friedensbewegung. „Eine neue Friedensbewegung kann nur auf
der Basis des Völkerrechts und der Empathie mit den Angegriffenen agieren“,
sagt er. Sie müsse beides tun – sowohl für Diplomatie werben als auch für
konsequente Sanktionen gegen Russland eintreten.
Schäfer unterstützt daher ebenfalls die militärische Hilfe für die Ukraine.
Das ändere aber nichts daran, dass es richtig sei, „grundsätzlich eine
restriktive Rüstungsexportpolitik zu fordern“, sagt er bei einem Treffen
im Haus der Demokratie in Berlin. Die Friedensbewegung müsse lernen, mit
einem solchen Widerspruch umzugehen.
Pazifismus sei „eine konkrete Utopie“, sagt Paul Schäfer. Utopisch, weil er
nicht als unmittelbare Handlungsanleitung für alle erdenklichen
konfliktträchtigen Situationen missverstanden werden dürfe. Konkret, weil
mit ihm nicht nur ein hehres Zukunftsziel beschrieben würde, sondern der
Pazifismus „in der Gegenwart zum Denken in friedenspolitischen und zivilen
Alternativen zwingt“. Andreas Zumach widerspricht nicht.
Vorabdruck aus: Pascal Beucker: Pazifismus – ein Irrweg? Verlag W.
Kohlhammer, Stuttgart 2024, 178 Seiten, gebunden, 19 Euro, ISBN
978-3-17-043432-5. Das Buch erscheint am 31. Juli und ist Teil der
[6][Trilogie „Von Krieg und Frieden“].
30 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.spiegel.de/politik/wir-sind-ein-schoener-unkrautgarten-a-d4992f…
[2] /Kleine-Chronologie-der-groessten-Demos/!5989674
[3] /Andreas-Zumach/!a161/
[4] https://www.spiegel.de/geschichte/russland-ukraine-krieg-veteran-der-friede…
[5] /Paul-Schaefer-zu-Friedensbewegung/!5915768
[6] https://shop.kohlhammer.de/kohlhammer-trilogien-paket-von-krieg-und-frieden…
## AUTOREN
Pascal Beucker
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