| # taz.de -- Roman „Godwin“ über Geschäft mit Fußball: Suche nach der „… | |
| > Joseph O'Neill schreibt in seinem Roman „Godwin“ über die Suche nach | |
| > einem begabten jungen Fußballspieler und über das postkoloniale Drama. | |
| Bild: Wer wird der neue Messi? | |
| Die Welt feiert in diesem Sommer eine nicht enden wollende Sportparty, nach | |
| der Fußball-EM und der Copa America geht es gleich in Paris mit den | |
| Olympischen Spielen weiter. Wer sich als Fan für diese Ereignisse | |
| begeistert, der kann sich einer schieren Orgie des Event-Patriotismus | |
| hingeben. | |
| Bis Mitte August wird es nonstop Gelegenheiten geben, sich mit den | |
| Mitgliedern irgendeiner Nationalmannschaft bei dem Bemühen zu | |
| identifizieren, stellvertretend für ihr Land in einem Sportwettbewerb die | |
| Vertreter anderer Länder zu besiegen. | |
| Dabei treten für jeden, der hinschauen mag, mit unmissverständlicher | |
| Deutlichkeit die inneren Widersprüche des zeitgenössischen Sports zutage. | |
| Die Vermarktung der Ereignisse beruht auf einem gewissen Willen zum | |
| Nationalstolz, während die Akteure zumeist kosmopolitische Nomaden in einem | |
| globalisierten Business sind. | |
| Die Mehrheit verdient ihr Geld nicht in der Heimat, die Gemeinsamkeiten mit | |
| den Anhängern enden nach dem Abpfiff. Die multiethnische Verfasstheit der | |
| meisten Teams spottet des Nationalstaatsgedankens aus dem 19. Jahrhundert, | |
| der einst der Konzeption solcher Turniere zugrunde lag. | |
| ## Postkoloniale Welt im Sport | |
| Da könnte ein Roman, der sich am Beispiel des Sports mit den großen Themen | |
| der postkolonialen Welt beschäftigt, kaum zu einem besseren Zeitpunkt | |
| kommen. Joseph O’Neills „Godwin“ interessiert sich, ohne dabei übertrieb… | |
| zu moralisieren, dafür, wie sich im Fußball, ungeschminkter vielleicht als | |
| anderswo, koloniale Strukturen und Einstellungen halten und durchsetzen. | |
| Der Roman beschreibt [1][eine Moby-Dick-hafte Jagd] nach einem Phantom, in | |
| diesem Fall nach einem sagenhaft begabten jungen Fußballspieler aus einem | |
| armen afrikanischen Land, das es überhaupt erst zu identifizieren gilt. | |
| Alles, was es von diesem Knaben gibt, ist ein Handy-Video in dem er bei | |
| einem Barfußspiel auf einem Bolzplatz seine unglaublichen Künste vorführt. | |
| Wo es gedreht wurde, muss erst mit mühseliger Detektivarbeit ermittelt | |
| werden. Und das ist erst der Beginn der Suche nach der „schwarzen Perle“, | |
| wie einer der Suchenden den zu bergenden Schatz unter trotziger Verwendung | |
| rassistischer Klischees bezeichnet. | |
| Die Bergung dieses Schatzes verspricht, wie immer bei einer Schatzsuche, | |
| unermessliche Reichtümer. Sollte sich der Knabe tatsächlich als der neue | |
| Lionel Messi herausstellen, würden nicht nur er, seine Familie und sein | |
| Dorf, sondern vor allem seine Finder über Nacht zu Multimillionären. | |
| ## Nicht moralisch, nicht schwer | |
| Die zwei Seiten der Suche werden von zwei der Suchenden repräsentiert. Da | |
| ist ein knorriger französischer Talentscout namens Lefebvre, der ohne | |
| Skrupel seit Jahrzehnten den afrikanischen Kontinent nach dem einen großen | |
| Fund abgrast, der ihn reich macht. Und auf der anderen Seite ist da der | |
| gebildete, liberale Amerikaner Mark, dessen Karriere in einer Sackgasse | |
| steckt und der durch Zufall in diese Schatzsuche hineinstolpert. | |
| Mark unterliegt zunächst der Versuchung des abenteuerlichen Spiels, ist | |
| jedoch letztlich froh, als er seiner Naivität wegen ausgebootet wird und in | |
| sein wohl [2][geordnetes Leben in Pittsburgh] zurückkehren darf. Dort | |
| taucht er wieder in seinen Arbeitsalltag als Marketingschreiber für die | |
| Pharmabranche ein, eine Parallelwelt, deren schmerzlich langweilige Details | |
| mit der Stimme seiner afroamerikanischen Kollegin Lakesha erzählt werden. | |
| Am Ende holen – ohne zu viel zu verraten – Mark in der vermeintlich | |
| behüteten Umgebung seiner amerikanischen Großstadt die Folgen seines | |
| afrikanischen Abenteuers doch noch ein. Wenn man den Roman auf eine | |
| Botschaft reduzieren wollte, wäre es die, dass sich das postkoloniale Drama | |
| unseres Planeten nicht auf die südliche Halbkugel begrenzen lässt, sondern | |
| dass es vor unser aller Haustür stattfindet, und oft nicht nur davor, | |
| sondern auch dahinter. | |
| Doch das klänge zu moralistisch und schwer für das, was der globale Nomade | |
| O’Neill, der in Mozambique, Holland, dem Iran, der Türkei und den USA | |
| gelebt hat, zu machen versucht. | |
| Wie in seinen vorangegangenen [3][Romanen „Netherland“] und „The Dog“ | |
| findet Joseph O’Neill in den Aporien der globalisierten Welt vor allem das | |
| humoristische, Farce-hafte. Sie wird dadurch bei ihm nicht weniger grausam. | |
| Vielmehr zeichnet er alle Beteiligten als letztlich unbeholfene Akteure in | |
| einem Geschehen, das sie hilflos macht und überfordert. Und in das wir | |
| ausnahmslos alle verwickelt sind, und sei es bei einer so scheinbar | |
| unschuldigen Tätigkeit wie dem Betrachten eines Fußballspiels. | |
| 29 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Film-The-Whale/!5927640 | |
| [2] /US-Wahlkampf-in-Pennsylvania/!5719897 | |
| [3] /Kolumne-Kulturbeutel/!5078896 | |
| ## AUTOREN | |
| Sebastian Moll | |
| ## TAGS | |
| Buch | |
| Roman | |
| Fußball | |
| Sport | |
| Postkolonialismus | |
| Afrika | |
| Fußball | |
| Gospel | |
| Theater | |
| Frauen | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| Autorin Barbi Marković über Sport: „Fußball ist ein Sinnbild für vieles“ | |
| Autorin Barbi Marković erzählt, warum sie über Fußball und seine | |
| ausgrenzende Kraft geschrieben hat – und über seine Rolle im zerfallenden | |
| Jugoslawien. | |
| Ndegeocellos Album über James Baldwin: Sein Buch hat ihr Leben verändert | |
| „No More Water – The Gospel of James Baldwin“: US-Musikerin Meshell | |
| Ndegeocello ehrt den Schriftsteller mit einem süffigen Konzeptalbum. | |
| „Hamlet“ beim Wiener Impulstanz Festival: Nackt, fragil und mit Blumen im A… | |
| Die südafrikanische Choreographin Dada Masilo verschafft Shakespeares | |
| „Hamlet“ ein zweites Leben. Es liegt jenseits der Hegemonieansprüche | |
| Europas. | |
| Roman „Brown Girls“: Stimmen aus der Peripherie | |
| Autorin Daphne Palasi Andreades erzählt in ihrem Debütroman „Brown Girls“ | |
| vom Aufwachsen nicht-weißer Mädchen im New Yorker Bezirk Queens. |