# taz.de -- Autorin Barbi Marković über Sport: „Fußball ist ein Sinnbild f… | |
> Autorin Barbi Marković erzählt, warum sie über Fußball und seine | |
> ausgrenzende Kraft geschrieben hat – und über seine Rolle im zerfallenden | |
> Jugoslawien. | |
Bild: Dragan Stojković’ letzter Auftritt für Jugoslawien | |
taz: Sie haben [1][ein Buch über Fußball geschrieben], das mit dem Satz | |
endet: „Ich hasse Fußball.“ Wie passt das zusammen? | |
Barbi Marković: Der Fußball ist ein Sinnbild für vieles, was ich als Kind | |
in den 1990ern in Jugoslawien erlebt habe. Plötzlich kam auf dem Schulhof | |
die Frage, für welches Team du bist: Partizan Belgrad oder Roter Stern | |
Belgrad. Gemäß deiner Antwort wurdest du entweder verprügelt oder umarmt. | |
Das galt auch für die Popkultur: Bist du Punk oder Metal, trägst du Reebok | |
oder Nike? Aber es blieb nicht dabei. Auf einmal ging es auch um deine | |
Nationalität und es wurde erwartet, sich in eine Gruppe einzureihen und für | |
diese zu brüllen, zu prügeln, zu töten und zu sterben. Der Fußball war der | |
Rahmen, um mich mit diesem Entweder-oder zu beschäftigen. | |
taz: Zwei Spiele sind für das Buch wichtig: [2][Dinamo Zagreb gegen Roter | |
Stern] im Mai 1990, das aufgrund von Ausschreitungen zwischen kroatischen | |
und serbischen Fans nicht gespielt wurde. Und das verlorene | |
WM-Viertelfinale zwischen Jugoslawien und Argentinien im Juni 1990. Was hat | |
Sie daran interessiert? | |
Marković: Im Buch zerfällt die Familie der Ich-Erzählerin. Gleichzeitig | |
zerfallen eine ganze Gesellschaft und ein Land. Die Randale im Zagreber | |
Maksimir-Stadion gelten oft als Vorbote für den Krieg in Jugoslawien. Diese | |
Stimmung wollte ich beschreiben. Ich kann mich aber auch noch gut an das | |
WM-Spiel gegen Argentinien erinnern. Es war das letzte Spiel Jugoslawiens | |
bei einem internationalen Turnier und ging im Elfmeterschießen verloren. | |
„Piksi“ hat auch einen Elfmeter verschossen. Der Zerfall lag bereits in der | |
Luft, aber das Land hat sich ein letztes Mal hinter der Flagge versammelt. | |
Als das Spiel vorbei war, habe ich mir gedacht: Oje, der jugoslawische | |
Traum ist geplatzt. | |
taz: Sie stellen im Buch die Frage, ob es etwas verändert hätte, wenn | |
Jugoslawien damals in Italien Weltmeister geworden wäre. Was glauben Sie? | |
Marković: Wahrscheinlich nicht. So mächtig ist Fußball auch wieder nicht. | |
taz: „Piksi“ ist auch ein Spiel mit dem Genre der Sportreportage. Was | |
schätzen Sie daran? | |
Marković: Für mich als Schriftstellerin ist das Beschreiben von Fußball – | |
[3][vor allem im Radio] – wie Kunst und hat etwas Poetisches. Es hat mich | |
immer fasziniert, wie die Kommentatoren in Sekundenschnelle neue Bilder für | |
etwas finden, das sich ständig wiederholt. Oder die Metaphern, die oft | |
schief sind, aber dennoch prägnant. | |
taz: Die Kunst des Fußballkommentars verwenden Sie auch für die Darstellung | |
Ihrer Protagonistin. | |
Marković: Ich wollte über die scheinbar belanglosen Ereignisse eines | |
Mädchens im Alltag so berichten, als ob es der Kommentar eines | |
Fußballspiels wäre. Jedes Detail bekommt große Aufmerksamkeit und jeder | |
schaut ihr zu, obwohl niemand anwesend ist. Das hat mich als | |
Schriftstellerin gereizt. | |
taz: „Piksi“ Stojković ist aktuell Trainer der serbischen | |
Nationalmannschaft. Nach der enttäuschenden EM 2024 hat sich Präsident | |
Vučić persönlich für seinen Verbleib eingesetzt. Stojković wiederum hat | |
Vučić vor seiner Wahl unterstützt. Ist der Fußball in Ex-Jugoslawien nicht | |
von der Politik zu trennen? | |
Marković: „Piksi“ war als junger Mann sehr lustig und hatte eine witzige | |
Calimero-Frisur. Da das Buch die Kindheit eines Mädchens behandelt, fand | |
ich „Piksi“ als Figur naheliegend – auch in Anlehnung an die Pixi-Bücher. | |
Ich habe erst im Zuge der Recherche mehr über ihn erfahren. Als Spieler war | |
er ein guter Stratege. Das ist er wohl bis heute geblieben. Denn ohne gute | |
Verbindungen in die Politik kommt man in Serbien nicht voran. Der Schritt | |
zur Korruption ist dann auch nicht mehr weit. Davon ist das ganze Land | |
betroffen – und der Fußball ist ein Teil davon. | |
taz: Der Titelgeber des Buches, Dragan „Piksi“ Stojković, genießt bei Rot… | |
Stern Heldenstatus. Das Buchcover ist jedoch in den Farben von Partizan | |
gehalten. Wen wollten Sie provozieren? | |
Marković: Mir war klar, dass ich mit dem Buch keine Werbung für „Piksi“ | |
oder seine Mannschaft machen möchte. Daher war Rot-Weiß keine Option. Ich | |
habe mich dann für Schwarz-Weiß entschieden, weil das Buch am Sportplatz | |
des FK BASK (Belgrader Akademischer Sportklub) beginnt. Dessen Farben sind | |
auch Schwarz-Weiß. Als Kind war ich mit meinem Vater öfters im | |
BASK-Stadion, manchmal sogar an meinem Geburtstag, wenn ich Pech hatte. Ich | |
habe mich dort zwar gelangweilt, aber wenn ich am Schulhof gesagt habe, | |
dass ich BASK gut finde, wussten die Leute nicht, wo sie mich einordnen | |
sollen. | |
taz: Sie beschreiben den Fußball als Spielfeld für Ausgrenzung und Hass. | |
Bei Weltmeisterschaften kommen aber viele unterschiedliche Menschen | |
zusammen, um ein Fest zu feiern. Können Sie dem gar nichts abgewinnen? | |
Marković: Ich habe schon Spaß, wenn es diese großen Turniere wie WM oder EM | |
gibt, alles bunt ist und es von Spiel zu Spiel spannender wird. Aber ich | |
tue mir immer noch schwer mit der Aufteilung in Lager. Das liegt auch | |
sicher daran, dass dieses Denken in meiner Heimat in Nationalismus und | |
Krieg geendet hat. Aber ich finde diese Einteilung in Nationen auch im | |
Alltag und in der Literaturszene schwierig. Ich habe einen serbischen Pass, | |
lebe aber seit 20 Jahren in Österreich. Manchmal werde ich als serbische | |
Autorin, dann wieder als Stimme der österreichischen Literatur bezeichnet. | |
Muss ich mich entscheiden? Ich bezeichne mich am ehesten als Wienerin – so | |
wie ich damals am Schulhof FK BASK gesagt habe. | |
21 Nov 2024 | |
## LINKS | |
[1] https://www.voland-quist.de/werke/piksi-buch/ | |
[2] /Fussball-WM-Quali-Kroatien-vs-Serbien/!5070882 | |
[3] /Aesthetik-des-Fussballs/!5731032 | |
## AUTOREN | |
Florian Haderer | |
Stephan Wabl | |
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