# taz.de -- Lyrik als Fußball-Kontrastprogramm: „Gedichte können weh tun“ | |
> Lyrik passt als kürzeste Form der Literatur zur Instagram-Aufmerksamkeit: | |
> Christoph Danne und Tina Ilse Maria Gintrowski beweisen das in | |
> Bremerhaven. | |
Bild: Katalonische Landschaft: Christoph Danne hat sie versucht, poetisch zu ve… | |
taz: Herr Danne, Sie lesen mit Tina Ilse Maria Gintrowski in Bremerhaven | |
Lyrik. Fühlen sie sich wohl als [1][Kontrastprogramm zum Fußball?] | |
Christoph Danne: Ja, total! Es ist einfach ein Alternativangebot zum | |
Fußball, ich bin gespannt, wer es annehmen wird. Ich selbst gucke auch | |
gerne Fußball. Aber ich schaue schon seit zehn Tagen jedes Spiel und freue | |
mich, auch mal etwas anderes machen zu können. | |
Sie haben keine Angst, dass Ihnen die Leute wegbleiben? | |
Nein, überhaupt nicht. Wir Lyriker:innen sind da hart im Nehmen. Wir | |
sind kleine Runden gewöhnt, manchmal lese ich vor 80, manchmal auch nur vor | |
zehn Leuten. Ich freue mich immer über Zuhörende, aber letztlich liefern | |
wir immer die gleiche Show ab, egal wie viele kommen. | |
Was bedeutet Lyrik im Jahr 2024? | |
Lyrik ist die kürzeste und kompakteste Form, die die Literatur zu bieten | |
hat. In unserer schnelllebigen Welt mit Instagram-Aufmerksamkeitsspannen | |
ist es ein passendes Format, um zu einer neuen Perspektive zu gelangen. Es | |
sind kurze Szenen und wenig Text, die die Lesenden in ganz neue Welten | |
eintauchen lassen. Lyrik ist nicht unbedingt zugänglicher als ein Roman, | |
aber von Textmenge und Zeit, die investiert werden muss, viel | |
überschaubarer. In meiner Mittagspause nehme ich immer einen Lyrikband mit. | |
Dann trinke ich einen Kaffee und lese ein oder zwei Gedichte und klappe das | |
Buch wieder zu. Man kann in nur wenigen Zeilen der Schönheit begegnen. | |
Woher kommt Ihre Inspiration? | |
Für mich liegt die Inspiration auf der Straße. Ich bin viel unterwegs, | |
weswegen ich mich in meinen Texten oft der Fremde widme. In meinem Band | |
„Firnis & Revolte“ habe ich versucht, [2][katalonische Landschaften] | |
poetisch zu vermessen, die Menschen und ihr Leben abzubilden. Es sind oft | |
ganz kleine Szenen, die beim Kaffeetrinken oder beim Spazierengehen | |
entstehen. | |
Haben Sie einen persönlichen Bezug zu dieser Region? | |
Ich war schon als kleiner Junge mit meinen Eltern in den Sommerferien dort. | |
Ich kenne die Strände, Straßen und Menschen von früher und komme heute | |
selbst mit meinen Kindern wieder dorthin zurück. Es ist ein Zufall und ich | |
bin froh darüber. Es ist ein Stück Zuhause in der Fremde. | |
Ihre Gedichte haben etwas Tröstliches. Wollen Sie Ihre Leser:innen | |
ermuntern? | |
Das ist eine Facette, was ich mit den Leser:innen machen möchte. Ob das | |
klappt und wie die Leser:innen die Gedichte auffassen, stellt sich | |
natürlich erst im Nachhinein heraus. Gedichte können trösten. Sie sind aber | |
auch oft Erinnerungsarbeit, um eigene Dinge, die einen beschäftigen, | |
abzuarbeiten. Gedichte können weh tun, in den Arm nehmen und schmerzlich | |
die Realität abbilden. Jede:r Leser:in wird etwas anders darin finden. | |
„Firnis & Revolte“ ist Ihr elfter Gedichtband. Reicht das zum Leben? | |
Nein, definitiv nicht. Aber ich kann auch nicht ohne Lyrik leben. Ich bin | |
seit etwa 20 Jahren in der Szene unterwegs und kenne nur zwei oder drei, | |
für die diese Kunstform zum Leben reicht. Für meinen Broterwerb arbeite ich | |
nebenher im Buchladen, das passt thematisch auch gut zusammen. Im Moment | |
arbeite ich etwa die Hälfte der Woche dort, die andere widme ich dem | |
Schreiben. Mein drittes Standbein ist ein kleiner Verlag, in dem ich unter | |
anderem die Werke von Tina Ilse Maria Gintrowski, die auch am Samstag | |
liest, verlege. | |
Würden Sie lieber nur dichten? | |
Wenn ich erzähle, dass mir das Schreiben von Gedichten nicht zum Leben | |
reicht, erreichen mich oft mitleidige Blicke. Für viele ist das ein | |
Dilemma, aber ich sehe das als die Garantie meiner künstlerischen Freiheit: | |
Ich kann die nächsten Jahre nichts Schreiben oder alles, was ich möchte, | |
weil ich davon nicht leben muss. | |
28 Jun 2024 | |
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## AUTOREN | |
Johanna Weinz | |
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