Introduction
Introduction Statistics Contact Development Disclaimer Help
# taz.de -- Gedenken an Almudena Grandes: Zwischen Schweigen und Applaus
> Autorin Almudena Grandes war wie niemand sonst die Stimme Madrids. Der
> Verein Atlético weiß das zu würdigen, der Bürgermeister der Stadt
> weniger.
Bild: Die Beerdigung der Schriftstellerin Almudena Grandes auf dem Friedhof La …
Der Prophet – oder in diesem Fall die Schriftstellerin – gilt nichts in der
eigenen Stadt. Das gilt für die am 27. November in ihrer Heimatstadt Madrid
verstorbene Autorin [1][Almudena Grandes] – zumindest wenn es um das
offizielle Madrid geht. Weder die Stadtverwaltung unter Bürgermeister José
Luis Martínez-Almeida aus den Reihen der konservativen Partido Popular (PP)
noch seine Parteikollegin und Chefin der Regionalregierung Isabel Díaz
Ayuso würdigten die im Alter von 61 Jahren nach schwerer Krankheit
Verstorbene, wie sie es verdient hat.
Dabei war Grandes wie niemand anderes die Stimme Madrids der letzten 40
Jahre. Die Feministin gab den Frauen eine Stimme, die sich [2][nach dem Tod
von Diktator Francisco Franco] in den 1970er und 1980er Jahren aus den
Machoverhältnissen Spaniens befreiten. Ihre in 20 Sprachen übersetzten
Bücher sind das kollektive Gedächtnis derer, die für Freiheit eintraten und
eintreten. Schreiben war für sie „eine Form, die Dinge, die mir nicht
gefielen, zu verzaubern und die Realität zu verändern“, definierte die
Autorin des internationalen Bestseller „Lulú: Die Geschichte einer Frau“
ihr Tun.
Das zu würdigen, ist ganz und gar nicht im Sinne von Almeida und Ayuso. Sie
wissen beide nur zu gut, wem sie ihr Amt verdanken. Der eine regiert in
Koalition mit den rechtsliberalen Cuidadanos (Cs) und der Unterstützung der
rechtsextremen Vox. Die andere regiert alleine, ist aber auf die Stimmen
der Ewiggestrigen im Regionalparlament angewiesen.
## Nur eine „unermüdliche Arbeiterin“
[3][Stadtoberhaupt Almeida bedauerte Grandes' Tod] erst dann, als er auf
einer Pressekonferenz mehrmals danach gefragt wurde. Und Ayuso lobte nicht
etwa das demokratische Engagement und die Feder von Grandes. In einem
Beileidsschreiben an die Familie fand sie nur die Worte „unermüdliche
Arbeiterin“ für die Schriftstellerin, die die spanische Literatur in den
letzten Jahrzehnten geprägt hat wie wenige.
Niemand aus der Führungsriege der PP nahm an der Trauerfeier auf dem
Friedhof in Madrid teil, wo Hunderte Künstler, Intellektuelle,
Gewerkschafter, Politiker – unter ihnen Regierungschef Pedro Sánchez –
sowie unzählige einfache Leser und Leserinnen ihre Autorin verabschiedeten.
[4][Ayuso weihte stattdessen lieber eine Krippe ein] und Almeida machte ein
Video öffentlich, in dem er in einem Madrider Park von Stein zu Stein über
einen Bach hüpfte. Zwei Tage später stimmte der Bürgermeister im Stadtrat
mit seiner PP, Ciudadanos und Vox einen Antrag nieder, Grandes, die in
Madrid geboren wurde, aufwuchs, schrieb und schließlich starb, zur
Ehrenbürgerin der Hauptstadt zu ernennen.
## Nach Grandes wird keine Bibliothek benannt
„Wenn man über diese Art der Anerkennung spricht, die das Höchste ist, wäre
eine ruhigere Debatte seitens derer, die das unterstützen, notwendig
gewesen“, erklärte Almeida erneut auf Nachhaken der Presse anlässlich einer
Buchvorstellung in einem Stadtteil Madrids. Die Opposition hätte versucht,
ihn mit einem Dringlichkeitsantrag zu überrumpeln, gab er zu verstehen.
Außerdem stimmten die drei Rechtsparteien den Antrag nieder, Grandes eine
Bibliothek zu widmen. Die Rechten konnten sich mit der Opposition nur
darauf einigen, der Autorin eine Straße zu widmen, wo und wie wichtig diese
ist, auch darüber herrscht kein Einvernehmen.
Es war die Präsidentin des spanischen Parlaments, Meritxell Batet, die der
Autorin schließlich die Anerkennung zollte, die ihr das offizielle Madrid
versagte. „Ich möchte mit den Worten von Almudena Grandes schließen, die
‚diese Wintersonntage, an denen der schönste Himmel der Welt Madrid für den
Sonnenaufgang wählt‘ willkommen heißt“, beendete Batet ihre Ansprache bei
eine Feierstunde zum Jahrestag der Einführung der demokratischen Verfassung
nach Ende der Diktatur.
## Beifall von unerwarteter, aber umso wertvollerer Seite
Diese Worte seien „ein Symbol der Hoffnung, dass wir das genießen, was uns
verbindet und was wir gemeinsam und in treuer Koexistenz erreichen können.“
Batet forderte die Anwesenden auf „eine Politik zu fördern, die den
Herausforderungen Rechnung trägt, denen wir uns gemeinsam stellen müssen,
und den Weg für eine Einigung ebnet.“ PP, Cs und Vox verweigerte auch hier
den Beifall.
Der wurde der Verstorbenen dann doch noch völlig unerwartet zuteil. Der
hauptstädtische Erstligist [5][Atlético de Madrid], dessen glühende
Anhängerin Grandes war, projektierte ein Porträt der Autorin mit Trauerband
auf die Stadionleinwand. Heimmannschaft und Besucher-Elf aus Mallorca
standen still auf dem Platz.
Die von der Vereinshymne untermalte Schweigeminute endete in tosendem
Applaus, der nicht zuletzt ein Protest gegen das Schweigen der Stadt- und
Regionsoberen war. Der bekannte Fernsehreporter Jordi Evole verbreitete
diese Bilder auf Twitter, begleitet von den Worten: „Wenn der Fußball auf
der Höhe der Zeit ist. Danke Atletí.“
14 Dec 2021
## LINKS
[1] /Archiv-Suche/!518579&s=Almudena+Grandes&SuchRahmen=Print/
[2] /Grossdemos-in-Spanien/!5143716
[3] /Stickoxid-in-Europas-Metropolen/!5812535
[4] /Spanischer-Sender-im-Griff-der-Rechten/!5801383
[5] /Fussball-und-Menschenrechte/!5629896
## AUTOREN
Reiner Wandler
## TAGS
Literatur
Spanien
Madrid
Atlético Madrid
Fußball
Spanien
Schwerpunkt Leipziger Buchmesse 2024
Spanien
Podemos
Literatur
## ARTIKEL ZUM THEMA
Autorin Barbi Marković über Sport: „Fußball ist ein Sinnbild für vieles“
Autorin Barbi Marković erzählt, warum sie über Fußball und seine
ausgrenzende Kraft geschrieben hat – und über seine Rolle im zerfallenden
Jugoslawien.
100 Jahre Kommunistische Partei Spanien: Streit um Gedenkbriefmarke
Erzkatholische Anwälte blockieren eine Gedenkbriefmarke an die
kommunistischen Partei Spaniens. Die rechte Opposition beschwert sich auch.
Buch über Stadt-Land-Gefälle: Die Geister des leeren Spaniens
Sergio del Molinos Buch „Leeres Spanien“ legt den Stadt-Land-Gegensatz auf
der iberischen Halbinsel offen. Nun erscheint es auf Deutsch.
Häusliche Gewalt und Missbrauch: UN-Experten machen Spanien Vorwürfe
Das Land müsse Kinder besser vor gewalttätigen Vätern schützen, heißt es.
Die Justiz favorisiere auch in solchen Fällen oft das männliche Elternteil.
Neues Politikbündnis im Spanien: Links – und weiblich
Politikerinnen in Spanien haben Pläne für ein Bündnis vorgestellt. Sie
wollen damit den regierenden Sozialisten die linke Vorherrschaft abknöpfen.
Maria Sanchez über „Land der Frauen“: „Es hilft, zurückzuschauen“
Sie könnte nicht schreiben, ohne Tierärztin zu sein. Die Spanierin María
Sánchez über Familie, Agrarkultur und Feminismus.
You are viewing proxied material from taz.de. The copyright of proxied material belongs to its original authors. Any comments or complaints in relation to proxied material should be directed to the original authors of the content concerned. Please see the disclaimer for more details.