# taz.de -- Thriller „Longlegs“ mit Nicolas Cage: Die giftigen Zähne der H… | |
> Gegen den Teufel und alle Rationalität ermittelt wird in Oz Perkins’ | |
> neuem Film. „Longlegs“ vereint Serienkillerjagd mit okkultem | |
> Horrorthriller. | |
Bild: Eine FBI-Agentin am Limit: Lee Harker (Maika Monroe) | |
„Longlegs“ ist einer dieser Filme, bei denen das Rattern der | |
Marketingmaschine schon länger zu hören ist. Superlative sind in diesen | |
crossmedialen Kampagnen so obligatorisch wie blödsinnig. Er sei der | |
„gruseligste Film des Jahrzehnts“, war zu hören und zu lesen, während der | |
Film in einem Atemzug mit [1][Ari Asters] Mystery-Horror-Drama „Hereditary“ | |
genannt wurde, dessen Schockerqualitäten sich nicht nur bei Genrefans zum | |
Teil ins popkulturelle Gedächtnis eingebrannt haben. | |
Erhebliches Kapital schlug die PR zum Film von Oz Perkins, ältester Sohn | |
von ebenjenem Anthony Perkins, der als Norman Bates in Alfred Hitchcocks | |
Klassiker „Psycho“ Geschichte schrieb, selbstverständlich aus seinem | |
schauspielerischen Joker: Nicolas Cage. Die Spannung wurde durch kurze | |
Teaser-Clips erhöht, in denen die von Cage gespielte Figur bewusst im | |
Dunkeln blieb. | |
Der zum popkulturellen Meme avancierte Schauspieler, der zuletzt in | |
[2][Kristoffer Borglis „Dream Scenario“] die Träume der Menschen als | |
Jedermann heimsuchte, später deren Alpträume als Mörder, spielt das pure | |
Böse: Longlegs, einen vermenschlichten Teufel, der auf Erden wandelt und | |
die Hölle im Gepäck hat. | |
Das ist, trotz aller Geheimnistuerei um den Killer, kein Spoiler, denn | |
Longlegs taucht gleich in der ersten, den Horror für alles Folgende | |
setzenden Szene vor einem abgelegenen Familienhaus auf und spricht ein | |
kleines Mädchen an. Dass ihm dank der grauen Flatterhaare, fahler, faltiger | |
Haut und morbidem Grinsen im Verlauf des Films eine gewisse Komik anhaftet, | |
tut Cages filmgeschichtsträchtigem Auftritt keinen Abbruch. | |
## Parallelen zu Genreklassikern der 1990er | |
Er wirkt wie die untote Version eines einstigen Glamrockstars, und das ist | |
gewollt, denn Perkins huldigt der bunten Spektakelrockmusik aus den | |
1970er-Jahren, indem er seinem Film ein Zitat aus dem Song „Get It On“ von | |
T. Rex voranschiebt und es leitmotivisch auch aufgreift: „Well you’re slim | |
and you're weak / You’ve got the teeth of the hydra upon you / You’re | |
dirty, sweet, and you’re my girl.“ | |
Der von Cage mitproduzierte Film folgt in drei Akten der FBI-Ermittlerin | |
Lee Harker, gespielt von der in David Robert Mitchells Horrorfilm „It | |
Follows“ genregeschulten Maika Monroe, auf Mörderjagd. Weil die Intuition | |
der Frau überragend ist und sie, wie der vorgesetzte Agent Carter (Blair | |
Underwood) ihr attestiert, beinahe hellseherische Fähigkeiten hat, ist sie | |
mit dem Fall des Serienkillers Longlegs betraut. | |
Der hat über die letzten 30 Jahre verteilt bald ein Dutzend Familien auf | |
dem Gewissen, auf mysteriöse Weise passiv, muss man spezifizieren, denn | |
immer haben die Väter zu Messern, Gewehren und Hämmern gegriffen und ein | |
Massaker veranstaltet, bevor sie sich selbst töteten. Die zentralen | |
Parallelen zwischen allen Fällen: In jeder Familie gab es eine Tochter, die | |
am 14. des Monats Geburtstag hatte, und immer fanden sich Briefe mit einem | |
codierten Text am Tatort, die mit „Longlegs“ unterzeichnet waren. | |
Perkins’ Film atmet eine gehörige Portion Filmgeschichte. Dass er selbst in | |
den 1990ern spielt, also in jenem Jahrzehnt, in dem die in vielen Texten zu | |
„Longlegs“ oft und nicht umsonst bemühten Genreklassiker „Das Schweigen … | |
Lämmer“ von Jonathan Demme und David Finchers „Sieben“ die | |
Kinobesucher:innen nachhaltig verstört haben, erscheint plausibel. | |
## Perkins fühlt sich im Gruselkino zu Hause | |
Verstörend auf seine Art ist auch „Longlegs“, wie nachhaltig, das muss | |
sich noch zeigen. Denn Perkins bringt Serienkillerjagd mit okkultem | |
Horrorthriller zusammen in einem Modus, der auf irritierende Weise schräg | |
ist. Wie ernst, bitte, soll das alles gemeint sein? | |
Da ist einerseits eine Stilsicherheit, die ihren Effekt nicht verfehlt. In | |
paranoiden Weitwinkeleinstellungen, schleichenden Kamerabewegungen und an | |
Stanley Kubrick erinnernden langsamen Zooms und zentralistischen | |
Bildkompositionen voller visueller Clues fängt Kameramann Andres Arochi | |
das Treiben ein. | |
Untermalt von dem mal offensiv mit Dissonanzen an den Nerven sägenden, mal | |
unterschwellig von Autonomer sensorischer Meridianreaktion (ASMR) | |
affizierten Sounddesign von Eugenio Battaglia bersten auch triviale Momente | |
vor Spannung und hauen einen einige gezielt gesetzte Jumpscares aus dem | |
Kinosessel: eine formal elaborierte Reizüberflutung in einer Dunkelheit in | |
unheilvollen Räumen. | |
Nach seinem Exorzismushorror „Die Tochter des Teufels“ und nach „Gretel & | |
Hänsel“, mit dem er als Regisseur international bekannt wurde, fühlt sich | |
Perkins sichtlich im Gruselkino zu Hause. Andererseits legt die ebenfalls | |
übervolle motivische Grundierung von „Longlegs“ eine gewisse campiness | |
nahe, ob gewollt oder nicht, das weiß nur Perkins selbst. | |
## Effektkino und popkulturelle Diskursfläche | |
Denn neben dem komödiantischen Potenzial von Cages Longlegs, der in einer | |
urigen Szene wie ein teuflischer Wiedergänger von „Big Lebowski“ in einem | |
Supermarkt herumschlurft, steht eine Genremotiv-Jonglage: eben jene Briefe | |
voller okkulter Zeichen, die auch an Harker zugestellt werden, Bezüge zu | |
den neun Kreisen der Hölle aus Dantes „Inferno“ und zur Offenbarung des | |
Johannes inklusive, creepy Porzellanpuppen mit teuflischem Potenzial und | |
ein Opfer, das als einzige Überlebende ein tristes Dasein in der | |
Geschlossenen verbringt. | |
Und selbstverständlich Harker als Lone Wolf, die nur gelegentlich | |
telefonischen Kontakt zur gläubigen Mutter (Alicia Witt) pflegt. „Unsere | |
Gebete schützen uns vor dem Bösen“, sagt Letztere und rennt mit ihrem | |
Glauben bei der Tochter nicht gerade offene Türen ein. | |
Dass der Fall für die FBI-Agentin immer stärker auch eine persönliche Tour | |
de Force wird, passt perfekt zu den nostalgischen Genre-Vibes des Films, | |
der mehr und mehr die Gegenwart in Breitbild und die Vergangenheit im | |
quadratischen Format in einen Dialog bringt. | |
Auf zweiter Ebene ist der Film auch eine Auseinandersetzung mit den inneren | |
Teufeln, denen mit kohärenten Erklärungsmustern und Rationalität, auf die | |
in „Longlegs“ schließlich sowieso gepfiffen wird, nicht mehr beizukommen | |
ist. Den Film als pessimistischen Kommentar auf unsere Gegenwart zu lesen, | |
würde ihm allerdings mehr Tiefe unterstellen, als er hat. | |
Perkins versteht es, die Gelüste nach Spannung zu befriedigen, nach | |
Schrecksucht und dem Abgründigen. Die Dichte und Komplexität der Vorbilder | |
von Demme und Fincher erreicht „Longlegs“ dabei jedoch nicht, denn | |
inhaltlich will die Schnitzeljagd der FBI-Agentin nicht recht überzeugen. | |
Es gelingt Perkins trotz all seiner stilistischen Finesse nicht, eine | |
größere kriminologische Spannung aufzubauen und der Ermittlung als Akt | |
einer persönlichen Passionsreise mehr abzugewinnen. Auch zaubert der Film | |
in seinem turbulenten und überflüssig aufklärungssüchtigen Ende eine auf | |
die Spitze beziehungsweise in die Hölle getriebene Opferkultur aus dem Hut. | |
Als Effektkino und [3][popkulturelle Diskursfläche mit nicht zu | |
unterschätzendem medialen Echo] ist „Longlegs“ dennoch allemal interessant. | |
Perkins greift auf Motive und Chiffren des Horrorkinos zurück, bedient sich | |
aus der Filmgeschichte und vermengt alles mit einem zeitgeistigen Hang nach | |
Oberflächenreizen zu einem eigensinnigen Horrorhybrid. Und Cages Longlegs | |
wird sicher noch einen Moment durch die Instagram- und Tiktok-Feeds spuken | |
und für Grusel oder Lacher sorgen. Oder eben für beides. | |
8 Aug 2024 | |
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## AUTOREN | |
Jens Balkenborg | |
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