| # taz.de -- Verletzlichkeit im Beruf: Der unheimliche Besuch vom Nichts | |
| > Im Job ständig Absagen zu bekommen, ist so üblich wie unangenehm. | |
| > Besonders, wenn wegen PMS das Selbstwertgefühl ohnehin auf dem Tiefpunkt | |
| > ist. | |
| Bild: Weinen hilft – Taschentücher auch | |
| Mit PMS eine Absage zu erhalten, schaltet nochmal ein neues Level an | |
| Selbstzweifeln frei. Leider keine leere Phrase, sondern gelebte Erfahrung. | |
| Wegen einer Seitenstrangangina (ja, auch das noch!) durfte ich meine | |
| Therapiestunde online zu Hause abhalten. | |
| Gerade widmeten wir uns meinen [1][Krankheitsängsten], als am rechten | |
| Bildschirmrand eine Mail aufploppte. Die ersten Sätze ließen mich bereits | |
| nichts Gutes erahnen und tatsächlich war es die Absage für einen Pitch. | |
| Damit muss man als Autor*in umgehen können. Dauernd muss man Ideen | |
| anpreisen, im besten Fall verkaufen, muss mit den Änderungen klarkommen und | |
| muss dann noch die Kritik von außen aushalten können. | |
| Muss, muss, muss, hätte, hätte Fahrradkette. Ich kann damit nicht so gut | |
| umgehen. Und mal ehrlich, wahrscheinlich bin ich damit auch nicht alleine. | |
| Nur ist es als unprofessionell und unerwachsen verschrien, diese | |
| [2][Verletzlichkeit zu zeigen]. | |
| Überhaupt große Gefühle, lieber alles kleiner darstellen, freundlich | |
| nicken, bloß nichts anmerken lassen. Dieses Credo der Erwachsenenwelt gilt | |
| nicht für [3][Therapiestunden]. | |
| Ein Glück. Konnte ich mich nun also ausgiebig der Abwertung meiner | |
| Persönlichkeit widmen. Getreu meinem Motto „Erst mal weinen“, begannen mit | |
| Erhalt der E-Mail einige Tränen zu fließen und ich informierte meinem | |
| Therapeuten darüber, „ein kleines Nichts“ zu sein. | |
| „Also Frau Lorenz, was Sie schon alles erreicht haben!“ „Ja, nein, ja, ab… | |
| trotzdem ich kann einfach nichts, das müssen Sie zugeben, schließlich waren | |
| Sie live dabei, als der Beweis hierfür mich eben erreichte. Jetzt muss ich | |
| gleich auch noch zur Krebsvorsorge und bin krank und habe PMS. Wie kann | |
| einem kleinen Nichts derart viel zugemutet werden?“ | |
| ## Außerhalb kapitalistischer Verwertbarkeitskriterien | |
| Wusste er jetzt auch nicht. Etwas beruhigen konnte er das kleine Nichts | |
| aber doch noch. Und so kam ich, Sarah Lorenz, 40 Jahre, wieder zum | |
| Vorschein. Das Gefühl der Unzulänglichkeit, der Talentfreiheit und des | |
| Imposters – auch bekannt als das Hochstaplersyndrom – klopfte dennoch alle | |
| paar Minuten wieder bei mir an. Und weil wir uns so gut kennen, ließ ich es | |
| jedes einzelne Mal erneut herein, fehlte nur noch, dass ich ihm ein | |
| Käffchen angeboten hätte. | |
| Am wohlsten fühlt es sich bei mir – wie jedes unangenehme Gefühl – wenn i… | |
| PMS habe. Da kann es seine volle Wucht entfalten. Mich vergessen machen, | |
| was ich – außerhalb kapitalistischer Verwertbarkeitskriterien – noch bin. | |
| Mir einreden, bisher viel Glück gehabt zu haben, aber irgendwann fliegt man | |
| eben doch auf, siehste mal, jetzt auch du! | |
| Nun ist es ja normal, geknickt zu sein wenn man eine Absage erhält. Ob für | |
| einen Text, eine neue Arbeitsstelle oder eine Wohnung. Deswegen seine | |
| gesamte Persönlichkeit in Frage zu stellen, erscheint mir jedoch | |
| unverhältnismäßig. | |
| Dass mich diese – ach so erwachsene – Reflexion ob der | |
| Unverhältnismäßigkeit davon abhalten wird, die nächste Absage (während PMS) | |
| souveräner handzuhaben, bezweifle ich. Auch nächstes Mal werde ich wieder | |
| ALLES anzweifeln, denn das kleine Nichts fühlt sich einfach zu wohl bei | |
| mir. | |
| Im Übrigen ist das Akronym PMS im Wort IMPoSter enthalten und das kann wohl | |
| kaum ein Zufall sein. Merkt euch das bitte, wenn das Nichts euch das | |
| nächste Mal Lügen ins Ohr schreit. | |
| 23 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Sarah Lorenz | |
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