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# taz.de -- Nato-Einsatz im Bosnienkrieg: Die Lehre von Goražde
> Schon vor der Kosovo-Intervention hat die Nato im Westbalkan eingegriffen
> und sogar einen Genozid verhindert. Aber der Frieden ist zunehmend
> gefährdet.
Bild: Ein Panzer als Friedensbote: Albanische Geflüchtete jubeln 1999 einem Na…
Dieses Jahr markiert zum 25. Mal das Nato-Bombardement gegen Serbien und
das damit verbundene politische Ende des serbischen Präsidenten Slobodan
Milošević. Dieser hatte ab 1989 versucht, große Teile Jugoslawiens für
Belgrad zu vereinnahmen, um alle serbisch besiedelten Gebiete unter einem
Dach zu vereinen. Dazu führte er vier Feldzüge mit der Jugoslawischen
Volksarmee und paramilitärischen Gruppen gegen die Teilrepubliken Slowenien
und Kroatien ab 1991, Bosnien und Herzegowina 1992 und die autonome Provinz
Kosovo 1998.
In der Samstagsausgabe der New York Times schrieb der Premier Kosovos,
Albin Kurti, einen bemerkenswerten [1][Gastbeitrag]: „Save NATO. It saved
my homeland.“ Eine besondere Danksagung an die erfolgreichste
Militärallianz der Geschichte für ihren Einsatz im Kosovo 1999. Dass die
Nato bereits ab 1993 im Bosnien-Krieg immer wieder intervenierte und so
viele tausend Menschenleben rettete und 1994 einen Völkermord verhinderte,
ist weit weniger bekannt.
Die Nato hatte ihre Luftstreitkräfte ab 1993 den Vereinten Nationen (UN)
angeboten. Deren Interventionen in Bosnien und im Kosovo sind grundlegend
verschieden, denn die UN forderten die Nato in Bosnien immer nur als Ultima
Ratio an. Im Gegensatz zur Kosovo-Intervention, wo die Nato „all in“ war
und frei agieren konnte.
Im März 1993 begann das Nato-Engagement mit der militärischen Durchsetzung
eines Flugverbots. Im Februar 1994 kam es dann zum ersten Kampfeinsatz in
der Nato-Geschichte, als F-16-Maschinen vier serbische Kampfflugzeuge
abschossen. Die Umsetzung des Flugverbots ist ein zu wenig gewürdigter
Erfolg, denn die serbische Luftwaffe hätte weitaus größere Zerstörungen
anrichten können als die serbische Artillerie. Dies hat unzähligen
Zivilisten und Regierungssoldaten das Leben gerettet.
## Der verhinderte Genozid
Im April 1994 wäre es ohne die Nato und die Androhung von umfassenden
Luftangriffen fast zur Katastrophe gekommen. Die Truppen des serbischen
Generals Ratko Mladić standen bereits am Ortsrand der ostbosnischen
UN-Schutzzone Goražde, in der über 60.000 Menschen lebten. Luftschläge
auf serbische Stellungen und immenser politisch-diplomatischer Druck
von USA und Nato verhinderten damals einen bevorstehenden Völkermord, der
tragischerweise 15 Monate später in der nahegelegenen Enklave Srebrenica
von serbischen Einheiten verübt wurde.
Ein umfassenderes Nato-Engagement hätte noch unzählige weitere
Menschenleben retten können. Der US-Luftwaffengeneral McPeak sagte bereits
am 1. Mai 1993: „Geben Sie uns die Zeit, und wir werden über jede einzelne
Artilleriestellung fliegen und diese ausschalten.“ Er strafte damit
zögerliche Politiker, Diplomaten und Militärs Lügen. Hätten die UN auf
McPeak gehört, wäre der Bosnien-Krieg schon im Sommer 1993 beendet und der
Völkermord verhindert worden.
Wenn heute einige Politiker „mehr Diplomatie“ zur Beilegung des
Ukraine-Krieges fordern, hört sich das für die Opfer der Balkan-Krieg wie
blanker Hohn an, denn damals herrschte das Primat der Diplomatie über drei
Jahre vor.
## Mit gebundenen Händen
Ohne die Autorisierung der UN-Führungsspitze konnte die NATO nicht
eingreifen. Dieses „dual-key-system“ verminderte per se jedwede
militärischen Erfolgsaussichten. Die militärischen und politischen
Repräsentanten des UN-Generalsekretärs, der Japaner Yasushi Akashi und der
französische General Bernard Janvier, waren Gegner von Luftangriffen.
Erst Stunden nach dem finalen Vorstoß auf Srebrenica bewilligten sie als
Alibi-Aktion einen Nato-Angriff: Als Mladićs Mördertrupp bereits die Stadt
eingenommen hatte, griffen zwei F-16-Flugzeuge an, nachdem Dutzende
Maschinen stundenlang vergeblich auf den Einsatzbefehl im „stand-by“ in der
Luft gewartet hatten. Der niederländische F-16-Einsatzleiter, Jouke
Eikelboom, kommentierte bitter: „Uns wurde erst erlaubt einzugreifen und
das Feuer zu löschen, als das Haus bereits komplett abgebrannt war. Es war,
als müssten wir mit einer auf dem Rücken festgebundenen Hand kämpfen.“
[2][Der serbische Genozid] änderte alles. Die USA übten immensen Druck auf
die UN aus, um Luftangriffe zu genehmigen. Als serbische Einheiten Ende
August 1995 drei Granaten auf den Marktplatz Sarajevos feuerten und damit
38 Menschen ermordeten und über 150 verletzten, war die Stunde der Nato
gekommen. Nach zwei Wochen Luftangriffen beendeten Mladićs Truppen die
längste Belagerung einer Hauptstadt. Die Nato kann stolz sein, die ersten
zwei Kriege in Europa nach 1945 beendet und somit in Bosnien unzählige
Leben gerettet und im Kosovo einen zweiten Völkermord verhindert zu haben.
## Milošević' Erben
Knapp 30 Jahre danach sieht sich Bosnien abermals mit einer potenziellen
Sezession konfrontiert. Seit Jahren bereitet [3][der ultranationalistische
Serbenführer Milorad Dodik] die Abspaltung des von ihm kontrollierten und
serbisch-dominierten Landesteils, der Republika Srpska (RS), vor.
Unterstützt wird Dodiks Zündeln durch Belgrad und Moskau. Dodik hat, vorbei
an den legitimen und multiethnischen Streitkräften des Landes,
beträchtliche paramilitärische Verbände aufgebaut und mit Kriegswaffen
ausgerüstet. Einen Teil dieser lässt er alljährlich [4][bei einer
verfassungswidrigen Paramilitärparade] zum Gründungstag der RS
aufmarschieren, vorbei an russischen Diplomaten, verurteilten
Kriegsverbrechern und Belgrader Regierungsvertretern.
Obwohl der Hohe Repräsentant für Bosnien und Herzegowina, der ehemalige
deutsche Landwirtschaftsminister Christian Schmidt, letztes Jahr
angekündigt hatte, dass es diese illegale Parade so nicht mehr geben werde,
tat er nichts, um sie zu verhindern. Es fehlt nicht mehr viel zur
Unabhängigkeit der RS und den Anschluss an Serbien. Damit würden Dodik und
der serbische Präsident Aleksandar Vučić das von Milošević 1991 begonnene
Projekt eines Großserbiens vollenden. Unter den allgemein sehr
geschichtsbewussten Serben bekämen Dodik und Vučić somit Heldenstatus.
Russlands Botschafter drohte Bosnien bereits zweimal mit einem
„Ukraine-Szenario“. Da es so scheint, als wolle Schmidt sich nicht zu sehr
mit den Vertretern eines zukünftigen großserbischen Staats anlegen, gibt es
nur eine Option, um Dayton und somit Bosnien zu retten: die signifikante
Aufstockung der EU-Friedensmission Eufor-Althea. Die EU sollte präventiv
handeln – solange dies noch möglich ist.
22 Jul 2024
## LINKS
[1] https://www.nytimes.com/2024/07/05/opinion/kosovo-nato-independence-democra…
[2] /Jahrestag-des-Srebrenica-Massakers/!6019796
[3] /Uno-Resolution-zum-Srebrenica-Massaker/!6005560
[4] /Republika-Srpska-begeht-Staatsjubilaeum/!5982462
## AUTOREN
Alexander Rhotert
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