# taz.de -- Konflikt um Bergkarabach: Wasser als Waffe | |
> Nach der Rückeroberung von Bergkarabach hat Aserbaidschan dort massiv in | |
> den Ausbau der Wasserkraft investiert. Mit welchem Kalkül? | |
Im Mai erlebte Armenien einen der schwersten Stürme seit Jahrzehnten. Für | |
gewöhnlich sei das Frühjahr nicht die Jahreszeit für Stürme, hatte man mir | |
erzählt. Der heftige Regen, der auch in einen Zusammenhang mit der globalen | |
Erderwärmung gebracht wird, hatte drei Flüsse über die Ufer treten lassen | |
und die nördlichen Regionen des Landes überschwemmt. Es gab drei Tote und | |
einen beträchtlichen Schaden an Viehbeständen und Infrastruktur; die | |
internationale Gemeinschaft sandte Katastrophenhilfe. | |
Meine Schuhe waren völlig durchnässt, als ich auf der Suche nach Schutz | |
durch die Straßen der armenischen Hauptstadt Jerewan rannte. Die | |
unheilvolle Stimmung am Himmel schien die Stimmung auf der Straße | |
widerzuspiegeln. 2020 hatte das Nachbarland Aserbaidschan begonnen, die | |
umkämpfte Region vom Erzfeind Armenien zurückzuerobern. Im September | |
vergangenen Jahres wurde der Sieg besiegelt. | |
Die Armenier schließen nicht aus, dass die Aserbaidschaner angesichts der | |
anhaltenden Streitigkeiten über die neue Grenzziehung zwischen den | |
kaukasischen Nachbarländern erneut angreifen werden. Dabei ist ihnen klar, | |
dass sie mit Blick auf ihre begrenzten militärischen Ressourcen und | |
angesichts der Tatsache, dass Aserbaidschan von der Türkei unterstützt | |
wird, nicht gewinnen können. | |
Aber dieses Bewusstsein vermischt sich mit einem Gefühl von Trotz: dass die | |
regierenden Politiker das Problem sind, allen voran der derzeitige | |
Premierminister Nikol Paschinjan, und dass also noch nicht alles verloren | |
ist. | |
## Der Krieg ist allgegenwärtig | |
Nachdem Paschinjan entschieden hatte, als Teil des Friedensprozesses vier | |
Grenzdörfer Aserbaidschan zuzuschlagen, kam es in der armenischen | |
Hauptstadt am 26. Mai zu Protesten – es war derselbe Tag, an dem die | |
katastrophalen Überschwemmungen den Norden des Landes trafen. Trotz des | |
Regens füllten Zehntausende Demonstranten den Platz der Republik und die | |
angrenzenden Straßenzüge in Jerewan. | |
Menschen unterschiedlichsten Alters trugen die armenische Flagge oder | |
schwenkten die Farben von Arzach – der armenische Name für Bergkarabach – | |
und forderten Paschinjan auf abzutreten. Ich fragte eine Kollegin, die die | |
Proteste filmte, ob hier vielleicht Russland seine Finger im Spiel habe? | |
„Nein“, sagte sie, die Menschen hier seien nicht prorussisch, „sie sind | |
proarmenisch“. | |
Jeder, mit dem ich während der Woche im Mai in Armenien sprach, kam | |
irgendwann auf den Krieg zu sprechen. Wo sollte man die 120.000 | |
Kriegsflüchtlinge aus Bergkarabach, die ethnisch Armenier sind und alle im | |
September 2023 geflohen waren, unterbringen? Wie es angehen könne, dass | |
Aserbaidschaner einfach das kulturelle Erbe der Region zerstörten? Und ob | |
irgendjemand auf der internationalen politischen Bühne eigentlich noch zu | |
Armenien halte? | |
Fast nebenbei, als ob das offensichtlich wäre, erwähnten die Einheimischen, | |
dass die Aserbaidschaner auch wegen des Wassers gekommen seien. Dass es das | |
Wasser sei, worum es ihnen in diesem Krieg gehe. Ein Armenier sagte mir: | |
„Schau dir die Gebiete an, die sie besetzt haben. Dort gibt es einen großen | |
Wasserreichtum.“ | |
Dann habe ich begonnen zu recherchieren, welche Rolle das Wasser spielt im | |
ältesten Konflikt im Südkaukasus. | |
Angesichts der Topografie Aserbaidschans einerseits und der Veränderungen | |
durch den Klimawandel andererseits sahen viele [1][Experten] und | |
[2][Wissenschaftler] den Bergkarabachkrieg als einen [3][„Kampf um | |
Wasserressourcen“]. Die Realität ist allerdings differenzierter. | |
Seit dem Zerfall der Sowjetunion war Bergkarabach eine umkämpfte Region, | |
auf die sowohl Aserbaidschan als auch Armenien Gebietsansprüche erhoben: | |
Aserbaidschan, weil die Region offiziell auf dem Staatsgebiet der | |
Kaukasusrepublik liegt; und der Nachbar im Westen, weil die Mehrheit der | |
Einwohner Bergkarabachs ethnische Armenier*innen sind. Tatsächlich ist | |
die Gegend wasserreich: Acht Zuflüsse der Kura und des Araks, der größten | |
Flüsse in der Region, entspringen hier – das macht Bergkarabach zentral | |
wichtig für die Trinkwasserversorgung im Südkaukasus. | |
Die Länder dieser Region – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – liegen im | |
den Ebenen von Kura und Araks. Aserbaidschan liegt am weitesten | |
flussabwärts Richtung Kaspisches Meer. Rund 75 Prozent der Wasserressourcen | |
des Landes, die vor allem als Trinkwasser und zur Bewässerung gebraucht | |
werden, stammen aus Oberflächenwasser, das außerhalb des Staatsgebiets | |
entspringt. | |
Die Region leidet schon jetzt [4][unter Wasserknappheit]. Es ist eine | |
ungute Mischung aus einem ohnehin halb trockenen Steppenklima und | |
ineffizientem Wassermanagement – und der Klimawandel macht die | |
Herausforderungen noch größer. Baumwollfelder zum Beispiel müssen extensiv | |
bewässert werden – mit einer Wasserinfrastruktur aus Sowjetzeiten, die | |
ohnehin schon auseinanderfällt. | |
Dennoch, sagt Analyst Shujaat Ahmadzada, sei Wasser in diesem Krieg nicht | |
„auf der Top-5-Prioriätenliste“ der Entscheider gewesen. Wichtiger als die | |
Wasserressourcen seien die lange schwelenden Auseinandersetzungen über die | |
Gebietsansprüche beider Staaten gewesen. | |
## Wasserknappheit als Katalysator | |
Kriege brächen selten über Wasser allein aus, sagt Jenniver Sehring, | |
Assistenzprofessorin für Wasserversorgung und Diplomatie am | |
niederländischen Delft Institute for Water Education der Unesco. Aber, sagt | |
sie, Wasser könne als „ein Auslöser in einer ohnehin schon | |
spannungsgeladenen Situation“ fungieren. Wenn Wasserknappheit innerhalb | |
eines größeren Konflikts als Faktor hinzukommt, sei es sehr wahrscheinlich, | |
dass sich die Spannungen dadurch vergrößerten. | |
Aserbaidschan litt bereits im Sommer vor der Offensive 2020 unter | |
Wasserknappheit – Nargis Hadschijeva, Politikwissenschaftler an der | |
staatlichen Universität Aserbaidschan für Wirtschaftswissenschaften, sagt: | |
auch deshalb, „weil wir keinen Zugang zu den Wasserressourcen von Karabach | |
bekommen haben, was bedeutet, dass uns 25 Prozent der benötigten Ressourcen | |
gefehlt haben“. Ähnliches wurde auch in den staatlichen aserbaidschanischen | |
Medien und [5][von Präsident Ilham Alijew wiederholt]. | |
„Diese Debatten in den Medien und politische Reden beeinflussen die | |
Öffentlichkeit und politische Entscheidungsfindungen“, sagt Sehring vom | |
Delft Institute. Deshalb habe Wasserknappheit den Konflikt um Bergkarabach | |
noch dringlicher gemacht – und sei es, weil die aserbaidschanische | |
Regierung ein Interesse daran hatte, den Unmut der aserbaidschanischen | |
Öffentlichkeit im Keim zu ersticken. | |
Im Dezember 2023, nach der endgültigen Besetzung, schrieben | |
aserbaidschanische Staatsmedien, dass „die Nutzung von Wasserressourcen der | |
Karabachregion das hauptsächliche Ziel ist, um Versorgungsprobleme im Land | |
zu lösen“. | |
Wenn der Krieg auch nicht primär um Wasser geführt wurde – es wurde dennoch | |
als „Druckmittel von beiden Seiten benutzt“, sagt Analyst Ahmadzada. | |
Sarsang ist der größte Staudamm in Bergkarabach, ein riesiges | |
Wasserrückhaltebecken. Sarsang liefert rund 40 Prozent des Stroms für die | |
Region. Seit dem Krieg ist es in aserbaidschanischer Hand. Vor 2020 hatten | |
die aserbaidschanischen Machthaber die De-facto-Regierung von Arzach | |
beschuldigt, den aserbaidschanischen Farmern absichtlich Wasser | |
vorzuenthalten. Die international nicht anerkannte Republik Arzach wurde | |
seit dem ersten Krieg mit Aserbaidschan bis Herbst 2023 souverän regiert. | |
2016 hatte das Europäische Parlament in Brüssel [6][in einer Resolution | |
festgehalten], dass die verantwortlichen Stellen in Bergkarabach den weiter | |
flussabwärts liegenden aserbaidschanischen Regionen Wasser „absichtlich | |
vorenthalten“; die armenische Regierung in Jerewan wurde aufgefordert, | |
Wasserressourcen nicht als „politisches Instrument“ zu benutzen. | |
Armenien hatte die Resolution als einseitig kritisiert, weil die | |
Berichterstatter nur Aserbaidschan besucht hätten, und betont, dass 2013 | |
Vertreter der Republik Arzach aserbaidschanische Behörden ersucht hätten, | |
eine Lösung für beide Seiten zu finden. Baku hatte das Angebot allerdings | |
ignoriert, weil man dort ablehnte mit – aus aserbaidschanischer Sicht – | |
Separatisten zusammenzuarbeiten. | |
## Schmutzwasser als Streitpunkt | |
Ein anderer Streitpunkt ist verschmutztes Flusswasser. Elshan Ahmadov ist | |
Direktor am Institut für nachhaltige Entwicklungsplanung und Management an | |
der Akademie für öffentliche Verwaltung in der aserbaidschanischen | |
Hauptstadt Baku. Er sagt, da Aserbaidschan „das letzte Land ist, durch das | |
die Flüsse fließen, bevor sie ins Meer münden, kommt das Wasser bei uns in | |
einem sehr verschmutzten Zustand aus Armenien und Georgien an“. Laut | |
Ahmadov ist der Grad der Verschmutzung so hoch, dass das Wasser nicht für | |
die Bewässerung in der Landwirtschaft benutzt werden kann. | |
Für zwischenstaatliches Wassermanagement ist das ein häufig diskutiertes | |
Thema, wenn Abwassersysteme nicht vereinheitlicht sind. Ein Beispiel ist | |
die Oder, der Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland. Vor zwei Jahren | |
hatte es dort ein riesiges Fischsterben gegeben, nachdem auf polnischer | |
Seite Abwassernormen seitens der Industrie nicht eingehalten wurden. | |
Im Fall von Bergkarabach haben aserbaidschanische Behörden die armenische | |
Seite beschuldigt, durch die Verschmutzung [7][einen „Ökozid“ verursacht] | |
zu haben. Die armenische Seite spielt genau diese Anschuldigungen | |
allerdings zurück. | |
## Schreckensszenarien und mangelnder Dialog | |
Während meiner Recherchereise habe ich auch den Sevansee besucht. Auch wenn | |
Armeniens größter See nicht zentral ist für die Versorgung mit Trinkwasser | |
– das wird hauptsächlich aus dem Grundwasser gespeist –, so ist er mit | |
seinen vielen mittelalterlichen Klöstern am Ufer doch eine wichtige | |
Touristenattraktion. Seit Bergkarabach in aserbaidschanische Hände gefallen | |
ist, werden alle Quellen und Zuflüsse, die den See speisen, von | |
Aserbaidschan kontrolliert. | |
Von der Bevölkerung, die am Sevansee lebt, habe ich einiges an | |
Schreckensszenarien gehört: dass die Aserbaidschaner die Zuflüsse | |
absichtlich vergiften würden, damit man den Sevansee nicht mehr nutzen | |
könne; oder aber, im Gegenteil, dass Aserbaidschan den See selbst als | |
Trinkwasserreservoir nutzen und Wasser ableiten wolle. | |
„Diese ganzen Diskussionen sind manipuliert“, sagt Garabet Kazanjian, | |
Wasserexperte an der American University von Armenien. „Wasser wird als | |
politische Waffe benutzt, und da ist nicht viel an konstruktivem Dialog, um | |
gemeinsame Vereinbarungen zu treffen und zu überlegen, wie man diese | |
Ressource teilen kann.“ | |
## Umweltthemen als Mittel der Annäherung | |
Effektive zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Wassernutzung zwischen | |
Armenien und Aserbaidschan gibt es nicht. Von den kaukasischen Staaten hat | |
nur Aserbaidschan [8][die UN-Wasserkonvention] unterzeichnet, die darauf | |
abzielt, die Wassernutzung zwischen den Ländern besser zu regeln. Während | |
die derzeitige Situation die politischen Spannungen eher befeuert, betonen | |
Experten, dass Debatten über Wassernutzung auch benutzt werden können, um | |
auf weniger heiklem politischem Terrain zu einem Austausch zu kommen. | |
„Es gibt den Ansatz, dass bei der Annäherung und für Friedensprozesse | |
Umweltthemen benutzt werden – zum Beispiel Flächenbrände, Biodiversität, | |
der Klimawandel oder eben Wasser“, sagt Sehring. Es gehe darum, in | |
pragmatischen Dingen eine Kooperationsbasis zu finden und politische Themen | |
erst mal zurückzustellen. „Das kann dann beiden Seiten zeigen, dass es eine | |
Zusammenarbeit von gegenseitigem Vorteil sein kann – und es ist auch eine | |
Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und ein langfristiges | |
Vertrauensverhältnis aufzubauen.“ | |
Sehring weist darauf hin, dass man nicht gleich ausgereifte, formale | |
Vereinbarungen als Ziel haben muss – vielmehr könnte die Zusammenarbeit auf | |
einem eher technischen Level starten. Internationale Organisationen machen | |
solche regionale Projektarbeit. Zum Beispiel gibt es derzeit im | |
Wasserbereich das Projekt „EU4Environment – Wasser und Messdaten in | |
östlichen Partnerländern“ sowie das Programm [9][„USAID Südkaukakasus | |
Regional Water Management“]. | |
Lusine Taslakyan, frisch promoviert zum Thema Wasserressourcen an der | |
University of Idaho in den USA, hat zwischen 2003 und 2014 in zahlreichen | |
zwischenstaatlichen Wasserprojekten mitgearbeitet, die vom amerikanischen | |
Entwicklungsministerium (USAID), vom Entwicklungsprogramm der Vereinten | |
Nationen (UNDP) sowie von der EU unterstützt wurden. Ihr Fazit: Die | |
Kooperationen auf Projektebene waren effektiv, auch wenn es „natürlich ein | |
bisschen merkwürdig ist, wenn die Länder nicht miteinander sprechen“. | |
Die Treffen fanden in Tiflis statt, der Hauptstadt von Georgien, und „wir | |
haben ausschließlich auf Expertenlevel miteinander geredet, uns über Fragen | |
zur Wasserqualität und zum Wassermanagement ausgetauscht. Über Politik | |
haben wir nie geredet“, erzählt sie. | |
Ahmadzada, der Politikwissenschaftler, sagt, dass zwischenstaatliches | |
Wassermanagement „ein Bereich ist, wo eine Kooperation zwischen | |
Aserbaidschan und Armenien nicht eine Option ist, sondern vielmehr | |
alternativlos“. Er betont, dass der Konflikt über Bergkarabach | |
einschließlich anhaltender Grenzziehungskonflikte in einem größeren | |
geopolitischen Kontext gesehen werden müssten: „Je mehr der Konflikt jetzt | |
bilateral beigelegt wird, desto größer ist die Gefahr, dass er Raum lässt | |
für Interessen und Einflussnahmen anderer globaler, hegemonischer Mächte – | |
Iran, Russland, die USA – in der Region.“ | |
## Die Weltklimakonferenz als Chance | |
Ahmadzada hofft, dass die nächste Weltklimakonferenz COP29, die im November | |
in Baku stattfindet, in den armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen einen | |
Durchbruch bringen wird. Armenien hat sich einverstanden erklärt, [10][kein | |
Veto einzulegen] gegen die Gastgeberrolle des Nachbarlands. Im Juni hieß | |
es, der armenische Premierminister Paschinjan – gegen den sich die Proteste | |
Ende Mai in Jerewan richteten – wolle höchstselbst teilnehmen. | |
Paschinjans Büro hat die vermeintlichen Reisepläne des Premiers zur COP | |
allerdings bereits wieder zurückgewiesen: Der Premierminister habe keine | |
Pläne, der Konferenz beizuwohnen. Eine „Friedens-COP“ scheint also | |
reichlich unwahrscheinlich für die Armenier, die die „Grenzkorrekturen“ | |
seitens der Aserbaidschaner als [11][Besatzung von 150 Quadratkilometer]n | |
ihres Territoriums begreifen. | |
Die weltweit wichtigste Klimakonferenz auszurichten ist ein diplomatischer | |
Erfolg für die Regierung in Baku. Aserbaidschans Energiewirtschaft ist wie | |
die des letztjährigen Gastgebers Vereinigte Arabische Emirate komplett | |
abhängig von fossilen Energiequellen. Und wie letztes Jahr die Emirate | |
versucht Aserbaidschan sein Image vor der COP grünzuwaschen. | |
Das Land hat 2024 zum „Jahr der Solidarität für eine grüne Welt“ | |
ausgerufen. Baku will seinen Anteil an erneuerbaren Energien steigern – | |
zunächst, bis 2030, sollen [12][30 Prozent der gesamten Energieerzeugung | |
aus erneuerbaren Quellen] kommen. Langfristiges Ziel ist es, [13][in den | |
Export von Erneuerbaren] einzusteigen. | |
Bergkarabach ist für diese Bemühungen zentral wichtig. 2021 hatte | |
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew Bergkarabach zur „grünen Energiezone�… | |
erklärt und Investitionen vor allem in Wasser-, aber auch in Wind- und | |
Solarkraft angekündigt. | |
Innerhalb weniger Monate nach der vollständigen Eroberung der Region wurden | |
dort neue Wasserkraftwerke eröffnet. Bis heute wurden insgesamt vier neu | |
gebaut, über zehn wurden nach der Ausbesserung der Kriegsschäden wieder in | |
Betrieb genommen. 40 weitere Wasserkraftwerke unterschiedlicher Größe sind | |
in Planung. | |
Zwischen 2021 und 2023 hat Aserbaidschan rund 2,3 Milliarden US-Doller in | |
das „Erste staatliche Programm für die Große Rückkehr“ investiert. Es zi… | |
darauf, Infrastruktur für die Wiederansiedlung von rund einer Million | |
Aserbaidschaner in Bergkarabach aufzubauen. Im Jahr 2022 flossen mindestens | |
3 Prozent der Gelder an Azerenergy, den staatlichen Stromproduzenten, um | |
damit Wasserkraft zu fördern. | |
„Das Wasserkraftpotenzial, dass wir in den befreiten Gebieten bis Ende des | |
Jahres haben werden, beträgt 170 Megawatt“, sagte Präsident Alijew in einer | |
Rede in der gerade eroberten Region Ostsangesur am 23. September 2023. „Bis | |
Ende 2024 werden wir bei 270 Megawatt sein, was unsere grüne Agenda | |
wesentlich unterstützen wird. Die Region Ostsangesur und Karabach haben ein | |
Potenzial von 10.000 Megawatt grüner Energie – aus Wasser, Sonne und Wind.“ | |
## Internationale Unternehmen sind beteiligt | |
Der wichtigste Partner für die aserbaidschanische Wasserkraftindustrie ist | |
[14][die japanische Firma Tokio Electric Power Services Co.] Der britische | |
Ölmulti BP und das private saudische Energieunternehmen ACWA Power arbeiten | |
ebenfalls mit der Regierung zusammen. | |
Eine Schweizer Firma wiederum, sa_partners, wurde mit Plänen für grüne | |
Stadtentwicklung beauftragt. „Karabach wird das neue Silicon Valley sein“, | |
sagt Hajiyeva von der staatlichen Universtät für Wirtschaftswissenschaften | |
in Aserbaidschan. „Aber auf eine grüne Weise.“ | |
Der größte Fokus liegt auf der Wasserkraft, vor allem wegen der guten | |
Bedingungen dank der bergigen Topografie und auch deswegen, weil es bereits | |
viele bestehende Wasserkraftwerke gibt. Vor der Offensive 2020 konnte sich | |
Bergkrabach selbst versorgen, sogar Strom ins armenische Netz exportieren – | |
dank 36 funktionierender Wasserkraftwerke. | |
Laut Kazanjian von der American University in Armenien war es seitens | |
Bergkarabach ein „Statement“, in Wasserkraftwerke zu investieren: „Sie | |
haben damit gezeigt, wie ernst es ihnen damit war, dieses Land zu | |
entwickeln. Die Kraftwerke sind nicht billig, sie sind eine wirkliche | |
Investition.“ | |
Aserbaidschan wiederum, sagt Kazanjian, habe es „extrem eilig damit gehabt, | |
eigene Projekte an den Start zu bringen. Drei Monate nach dem | |
Waffenstillstand 2020 hat Alijew dort bereits ein Wasserkraftwerk eröffnet. | |
Das ist sicher auch dem Bedarf geschuldet, aber es ist auch eine sehr | |
starke politische Botschaft, um Stärke zu zeigen und den Sieg zu | |
untermauern.“ | |
## Zwischen Zusammenarbeit und Sanktionen | |
Bakus Pläne, die erneuerbaren Energien zu fördern, erfolgen mit Blick auf | |
die EU. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022 | |
hat die Staatengemeinschaft eine Absichtserklärung unterzeichnet, die | |
Beziehungen mit Aserbaidschan im Bereich der erneuerbaren Energiewirtschaft | |
zu stärken. Außerdem heißt es in dem Papier, man wolle sich bemühen, die | |
aserbaidschanischen Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren zu fördern, um | |
einen Teil davon in die EU zu exportieren. | |
Zugleich beziehen die EU-Staaten seit 2021 immer mehr fossile Energie aus | |
Aserbaidschan. Aktuell beträgt Aserbaidschans Anteil an den europäischen | |
Energieimporten 4,3 Prozent. Die EU-Kommission bezeichnet die Gasverträge | |
mit Aserbaidschan als „stabil und verlässlich“ und beabsichtigt, die | |
Importe bis 2027 zu verdoppeln. | |
In der Zwischenzeit hat das Europäische Parlament allerdings Sanktionen | |
gegen die Energiewirtschaft Aserbaidschans beschlossen und eine Aussetzung | |
der Absichtserklärung über die Gasimporte gefordert. | |
In der Resolution vom Februar 2024 verurteilt das Parlament die | |
„Aggressor-Politik, einschließlich des vorbereiteten militärischen Angriffs | |
von Aserbaidschan gegen Bergkarabach, [sowie] den geplanten Hungertod und | |
die Isolation der Armenier in Bergkarabach während der Blockade des | |
Lachin-Korridors“. Der Lachin-Korridor, eigentlich eine Versorgungsstraße | |
zwischen Armenien und Bergkarabach, wurde von Aserbaidschan ab 2020 | |
jahrelang systematisch blockiert. | |
Sehring, die Assistenzprofessorin für Wassermanagement, betont, dass | |
Wasserkraftwerke oft „sehr eng verbunden sind mit dem Aufbau von | |
staatlichen Strukturen und nationaler Identität. Es ist etwas Modernes, | |
gewaltige Infrastruktur, an der die Regierung zeigen kann, dass sie etwas | |
tut.“ | |
Es bleibt abzuwarten, ob die aserbaidschanischen Wasserkraftwerkspläne mehr | |
sind als ein PR-Stunt, sowohl für die internationale Gemeinschaft im | |
Vorfeld der COP29 als auch mit Blick auf die lokale Bevölkerung. | |
Ein Bericht der unabhängigen Denkfabrik Economic Research Center, der die | |
Investitionen der aserbaidschanischen Regierung in Bergkarabach unter die | |
Lupe nimmt, analysiert, dass von 2022 bis Mitte 2023 „keine ernsthaften | |
Anstrengungen unternommen wurden, um zerstörte Siedlungen | |
wiederherzustellen oder die Rückkehr binnenvertriebener Personen zu | |
ermöglichen“. | |
Zugleich seien die größten Nutznießer in der Region Firmen im Besitz von | |
Freunden und Verwandten des Geschäftsführers von Azerenergy, Balababa | |
Rzayev, gewesen. | |
## Hungerstreik als Protest gegen Kraftwerkbau | |
Wasserkraftwerke zu bauen, ohne vorher die möglichen Umweltfolgen zu | |
prüfen, kann dem Ökosystem der Bergwelt schaden. Anfang 2020, vor der | |
aserbaidschanischen Offensive, begann der Bergkarabacher Alexander Kananyan | |
einen Hungerstreik, um gegen die Entwicklung neuer Wasserkraftwerke in der | |
Region zu protestieren. | |
Er argumentierte, dass die wichtigsten Flüsse und Zuflüsse „komplett | |
zerstört“ würden. Viele unterstützten seinen Protest. Am Ende setzte die | |
damalige De-facto-Regierung der Republik Arzach den Bau neuer Kraftwerke | |
aus und setzte eine Kommission ein, die die Umweltauswirkungen prüfen | |
sollte. | |
Ob die aserbaidschanische Seite die Umweltrisiken mitbedenkt, ist nicht | |
klar. Die NGO Conflict and Environmental Observatory (CEOBS) weist darauf | |
hin, dass die Geschwindigkeit, mit der Aserbaidschan in Bergkarabach baut, | |
negative Folgen für die Umwelt haben kann. | |
Der CEOBS-Bericht fokussierte sich auf Abholzungen für den Autobahnbau. | |
Aber einer der Autoren, Eoghan Darbyshire, betont, dass der Bau der | |
Wasserkraftwerke zu schnell passieren könnte. „Wir können keinerlei Belege | |
finden, dass Untersuchungen bezüglich der Umweltauswirkungen unternommen | |
werden. Das kann insbesondere für die langfristige Versorgung mit Wasser | |
und für die Biodiversität riskant sein.“ | |
Das Thema Wasserkraft wirft weiter einen Schatten auf die | |
armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen. 2023 hat Aserbaidschan Armenien | |
vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag verklagt, weil Armenien in | |
Bergkarabach illegal erneuerbare Energien genutzt habe, insbesondere | |
Wasserkraft. Der Fall ist noch nicht entschieden. | |
Gut möglich, dass es mehr als eine Kooperationsvereinbarung über die | |
Wassernutzung oder eine internationale Klimakonferenz im November braucht, | |
um zwei Nationen dazu zu bringen, miteinander zu reden. | |
Aus dem Englischen von Anna Klöpper | |
24 Jul 2024 | |
## LINKS | |
[1] /tmp/pid-6908/Hydroproblems | |
[2] https://www.politico.eu/article/nagorno-karabakh-new-battle-water-azerbaija… | |
[3] https://www.planetarysecurityinitiative.org/news/water-security-and-nagorno… | |
[4] https://www.wri.org/applications/aqueduct/water-risk-atlas/#/?advanced=fals… | |
[5] https://en.president.az/articles/39990 | |
[6] https://pace.coe.int/en/files/22290 | |
[7] https://ceobs.org/investigating-the-environmental-dimensions-of-the-nagorno… | |
[8] https://unece.org/environment-policy/water | |
[9] https://www.linkedin.com/company/the-usaid-south-caucasus-regional-water-ma… | |
[10] https://www.cnbc.com/2023/12/11/azerbaijan-wins-regional-backing-to-host-c… | |
[11] https://oc-media.org/armenia-releases-map-of-territories-seized-by-azerbai… | |
[12] https://www.azernews.az/oil_and_gas/202423.html | |
[13] https://foreignpolicy.com/2024/02/27/nagorno-karabakh-azerbaijan-armenia-e… | |
[14] https://www.thetribune.com/japanese-tepsco-to-draft-a-plan-for-creating-a-… | |
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