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# taz.de -- Konflikt um Bergkarabach: Wasser als Waffe
> Nach der Rückeroberung von Bergkarabach hat Aserbaidschan dort massiv in
> den Ausbau der Wasserkraft investiert. Mit welchem Kalkül?
Im Mai erlebte Armenien einen der schwersten Stürme seit Jahrzehnten. Für
gewöhnlich sei das Frühjahr nicht die Jahreszeit für Stürme, hatte man mir
erzählt. Der heftige Regen, der auch in einen Zusammenhang mit der globalen
Erderwärmung gebracht wird, hatte drei Flüsse über die Ufer treten lassen
und die nördlichen Regionen des Landes überschwemmt. Es gab drei Tote und
einen beträchtlichen Schaden an Viehbeständen und Infrastruktur; die
internationale Gemeinschaft sandte Katastrophenhilfe.
Meine Schuhe waren völlig durchnässt, als ich auf der Suche nach Schutz
durch die Straßen der armenischen Hauptstadt Jerewan rannte. Die
unheilvolle Stimmung am Himmel schien die Stimmung auf der Straße
widerzuspiegeln. 2020 hatte das Nachbarland Aserbaidschan begonnen, die
umkämpfte Region vom Erzfeind Armenien zurückzuerobern. Im September
vergangenen Jahres wurde der Sieg besiegelt.
Die Armenier schließen nicht aus, dass die Aserbaidschaner angesichts der
anhaltenden Streitigkeiten über die neue Grenzziehung zwischen den
kaukasischen Nachbarländern erneut angreifen werden. Dabei ist ihnen klar,
dass sie mit Blick auf ihre begrenzten militärischen Ressourcen und
angesichts der Tatsache, dass Aserbaidschan von der Türkei unterstützt
wird, nicht gewinnen können.
Aber dieses Bewusstsein vermischt sich mit einem Gefühl von Trotz: dass die
regierenden Politiker das Problem sind, allen voran der derzeitige
Premierminister Nikol Paschinjan, und dass also noch nicht alles verloren
ist.
## Der Krieg ist allgegenwärtig
Nachdem Paschinjan entschieden hatte, als Teil des Friedensprozesses vier
Grenzdörfer Aserbaidschan zuzuschlagen, kam es in der armenischen
Hauptstadt am 26. Mai zu Protesten – es war derselbe Tag, an dem die
katastrophalen Überschwemmungen den Norden des Landes trafen. Trotz des
Regens füllten Zehntausende Demonstranten den Platz der Republik und die
angrenzenden Straßenzüge in Jerewan.
Menschen unterschiedlichsten Alters trugen die armenische Flagge oder
schwenkten die Farben von Arzach – der armenische Name für Bergkarabach –
und forderten Paschinjan auf abzutreten. Ich fragte eine Kollegin, die die
Proteste filmte, ob hier vielleicht Russland seine Finger im Spiel habe?
„Nein“, sagte sie, die Menschen hier seien nicht prorussisch, „sie sind
proarmenisch“.
Jeder, mit dem ich während der Woche im Mai in Armenien sprach, kam
irgendwann auf den Krieg zu sprechen. Wo sollte man die 120.000
Kriegsflüchtlinge aus Bergkarabach, die ethnisch Armenier sind und alle im
September 2023 geflohen waren, unterbringen? Wie es angehen könne, dass
Aserbaidschaner einfach das kulturelle Erbe der Region zerstörten? Und ob
irgendjemand auf der internationalen politischen Bühne eigentlich noch zu
Armenien halte?
Fast nebenbei, als ob das offensichtlich wäre, erwähnten die Einheimischen,
dass die Aserbaidschaner auch wegen des Wassers gekommen seien. Dass es das
Wasser sei, worum es ihnen in diesem Krieg gehe. Ein Armenier sagte mir:
„Schau dir die Gebiete an, die sie besetzt haben. Dort gibt es einen großen
Wasserreichtum.“
Dann habe ich begonnen zu recherchieren, welche Rolle das Wasser spielt im
ältesten Konflikt im Südkaukasus.
Angesichts der Topografie Aserbaidschans einerseits und der Veränderungen
durch den Klimawandel andererseits sahen viele [1][Experten] und
[2][Wissenschaftler] den Bergkarabachkrieg als einen [3][„Kampf um
Wasserressourcen“]. Die Realität ist allerdings differenzierter.
Seit dem Zerfall der Sowjetunion war Bergkarabach eine umkämpfte Region,
auf die sowohl Aserbaidschan als auch Armenien Gebietsansprüche erhoben:
Aserbaidschan, weil die Region offiziell auf dem Staatsgebiet der
Kaukasusrepublik liegt; und der Nachbar im Westen, weil die Mehrheit der
Einwohner Bergkarabachs ethnische Armenier*innen sind. Tatsächlich ist
die Gegend wasserreich: Acht Zuflüsse der Kura und des Araks, der größten
Flüsse in der Region, entspringen hier – das macht Bergkarabach zentral
wichtig für die Trinkwasserversorgung im Südkaukasus.
Die Länder dieser Region – Armenien, Georgien und Aserbaidschan – liegen im
den Ebenen von Kura und Araks. Aserbaidschan liegt am weitesten
flussabwärts Richtung Kaspisches Meer. Rund 75 Prozent der Wasserressourcen
des Landes, die vor allem als Trinkwasser und zur Bewässerung gebraucht
werden, stammen aus Oberflächenwasser, das außerhalb des Staatsgebiets
entspringt.
Die Region leidet schon jetzt [4][unter Wasserknappheit]. Es ist eine
ungute Mischung aus einem ohnehin halb trockenen Steppenklima und
ineffizientem Wassermanagement – und der Klimawandel macht die
Herausforderungen noch größer. Baumwollfelder zum Beispiel müssen extensiv
bewässert werden – mit einer Wasserinfrastruktur aus Sowjetzeiten, die
ohnehin schon auseinanderfällt.
Dennoch, sagt Analyst Shujaat Ahmadzada, sei Wasser in diesem Krieg nicht
„auf der Top-5-Prioriätenliste“ der Entscheider gewesen. Wichtiger als die
Wasserressourcen seien die lange schwelenden Auseinandersetzungen über die
Gebietsansprüche beider Staaten gewesen.
## Wasserknappheit als Katalysator
Kriege brächen selten über Wasser allein aus, sagt Jenniver Sehring,
Assistenzprofessorin für Wasserversorgung und Diplomatie am
niederländischen Delft Institute for Water Education der Unesco. Aber, sagt
sie, Wasser könne als „ein Auslöser in einer ohnehin schon
spannungsgeladenen Situation“ fungieren. Wenn Wasserknappheit innerhalb
eines größeren Konflikts als Faktor hinzukommt, sei es sehr wahrscheinlich,
dass sich die Spannungen dadurch vergrößerten.
Aserbaidschan litt bereits im Sommer vor der Offensive 2020 unter
Wasserknappheit – Nargis Hadschijeva, Politikwissenschaftler an der
staatlichen Universität Aserbaidschan für Wirtschaftswissenschaften, sagt:
auch deshalb, „weil wir keinen Zugang zu den Wasserressourcen von Karabach
bekommen haben, was bedeutet, dass uns 25 Prozent der benötigten Ressourcen
gefehlt haben“. Ähnliches wurde auch in den staatlichen aserbaidschanischen
Medien und [5][von Präsident Ilham Alijew wiederholt].
„Diese Debatten in den Medien und politische Reden beeinflussen die
Öffentlichkeit und politische Entscheidungsfindungen“, sagt Sehring vom
Delft Institute. Deshalb habe Wasserknappheit den Konflikt um Bergkarabach
noch dringlicher gemacht – und sei es, weil die aserbaidschanische
Regierung ein Interesse daran hatte, den Unmut der aserbaidschanischen
Öffentlichkeit im Keim zu ersticken.
Im Dezember 2023, nach der endgültigen Besetzung, schrieben
aserbaidschanische Staatsmedien, dass „die Nutzung von Wasserressourcen der
Karabachregion das hauptsächliche Ziel ist, um Versorgungsprobleme im Land
zu lösen“.
Wenn der Krieg auch nicht primär um Wasser geführt wurde – es wurde dennoch
als „Druckmittel von beiden Seiten benutzt“, sagt Analyst Ahmadzada.
Sarsang ist der größte Staudamm in Bergkarabach, ein riesiges
Wasserrückhaltebecken. Sarsang liefert rund 40 Prozent des Stroms für die
Region. Seit dem Krieg ist es in aserbaidschanischer Hand. Vor 2020 hatten
die aserbaidschanischen Machthaber die De-facto-Regierung von Arzach
beschuldigt, den aserbaidschanischen Farmern absichtlich Wasser
vorzuenthalten. Die international nicht anerkannte Republik Arzach wurde
seit dem ersten Krieg mit Aserbaidschan bis Herbst 2023 souverän regiert.
2016 hatte das Europäische Parlament in Brüssel [6][in einer Resolution
festgehalten], dass die verantwortlichen Stellen in Bergkarabach den weiter
flussabwärts liegenden aserbaidschanischen Regionen Wasser „absichtlich
vorenthalten“; die armenische Regierung in Jerewan wurde aufgefordert,
Wasserressourcen nicht als „politisches Instrument“ zu benutzen.
Armenien hatte die Resolution als einseitig kritisiert, weil die
Berichterstatter nur Aserbaidschan besucht hätten, und betont, dass 2013
Vertreter der Republik Arzach aserbaidschanische Behörden ersucht hätten,
eine Lösung für beide Seiten zu finden. Baku hatte das Angebot allerdings
ignoriert, weil man dort ablehnte mit – aus aserbaidschanischer Sicht –
Separatisten zusammenzuarbeiten.
## Schmutzwasser als Streitpunkt
Ein anderer Streitpunkt ist verschmutztes Flusswasser. Elshan Ahmadov ist
Direktor am Institut für nachhaltige Entwicklungsplanung und Management an
der Akademie für öffentliche Verwaltung in der aserbaidschanischen
Hauptstadt Baku. Er sagt, da Aserbaidschan „das letzte Land ist, durch das
die Flüsse fließen, bevor sie ins Meer münden, kommt das Wasser bei uns in
einem sehr verschmutzten Zustand aus Armenien und Georgien an“. Laut
Ahmadov ist der Grad der Verschmutzung so hoch, dass das Wasser nicht für
die Bewässerung in der Landwirtschaft benutzt werden kann.
Für zwischenstaatliches Wassermanagement ist das ein häufig diskutiertes
Thema, wenn Abwassersysteme nicht vereinheitlicht sind. Ein Beispiel ist
die Oder, der Grenzfluss zwischen Polen und Deutschland. Vor zwei Jahren
hatte es dort ein riesiges Fischsterben gegeben, nachdem auf polnischer
Seite Abwassernormen seitens der Industrie nicht eingehalten wurden.
Im Fall von Bergkarabach haben aserbaidschanische Behörden die armenische
Seite beschuldigt, durch die Verschmutzung [7][einen „Ökozid“ verursacht]
zu haben. Die armenische Seite spielt genau diese Anschuldigungen
allerdings zurück.
## Schreckensszenarien und mangelnder Dialog
Während meiner Recherchereise habe ich auch den Sevansee besucht. Auch wenn
Armeniens größter See nicht zentral ist für die Versorgung mit Trinkwasser
– das wird hauptsächlich aus dem Grundwasser gespeist –, so ist er mit
seinen vielen mittelalterlichen Klöstern am Ufer doch eine wichtige
Touristenattraktion. Seit Bergkarabach in aserbaidschanische Hände gefallen
ist, werden alle Quellen und Zuflüsse, die den See speisen, von
Aserbaidschan kontrolliert.
Von der Bevölkerung, die am Sevansee lebt, habe ich einiges an
Schreckensszenarien gehört: dass die Aserbaidschaner die Zuflüsse
absichtlich vergiften würden, damit man den Sevansee nicht mehr nutzen
könne; oder aber, im Gegenteil, dass Aserbaidschan den See selbst als
Trinkwasserreservoir nutzen und Wasser ableiten wolle.
„Diese ganzen Diskussionen sind manipuliert“, sagt Garabet Kazanjian,
Wasserexperte an der American University von Armenien. „Wasser wird als
politische Waffe benutzt, und da ist nicht viel an konstruktivem Dialog, um
gemeinsame Vereinbarungen zu treffen und zu überlegen, wie man diese
Ressource teilen kann.“
## Umweltthemen als Mittel der Annäherung
Effektive zwischenstaatliche Vereinbarungen über die Wassernutzung zwischen
Armenien und Aserbaidschan gibt es nicht. Von den kaukasischen Staaten hat
nur Aserbaidschan [8][die UN-Wasserkonvention] unterzeichnet, die darauf
abzielt, die Wassernutzung zwischen den Ländern besser zu regeln. Während
die derzeitige Situation die politischen Spannungen eher befeuert, betonen
Experten, dass Debatten über Wassernutzung auch benutzt werden können, um
auf weniger heiklem politischem Terrain zu einem Austausch zu kommen.
„Es gibt den Ansatz, dass bei der Annäherung und für Friedensprozesse
Umweltthemen benutzt werden – zum Beispiel Flächenbrände, Biodiversität,
der Klimawandel oder eben Wasser“, sagt Sehring. Es gehe darum, in
pragmatischen Dingen eine Kooperationsbasis zu finden und politische Themen
erst mal zurückzustellen. „Das kann dann beiden Seiten zeigen, dass es eine
Zusammenarbeit von gegenseitigem Vorteil sein kann – und es ist auch eine
Möglichkeit, ins Gespräch zu kommen und ein langfristiges
Vertrauensverhältnis aufzubauen.“
Sehring weist darauf hin, dass man nicht gleich ausgereifte, formale
Vereinbarungen als Ziel haben muss – vielmehr könnte die Zusammenarbeit auf
einem eher technischen Level starten. Internationale Organisationen machen
solche regionale Projektarbeit. Zum Beispiel gibt es derzeit im
Wasserbereich das Projekt „EU4Environment – Wasser und Messdaten in
östlichen Partnerländern“ sowie das Programm [9][„USAID Südkaukakasus
Regional Water Management“].
Lusine Taslakyan, frisch promoviert zum Thema Wasserressourcen an der
University of Idaho in den USA, hat zwischen 2003 und 2014 in zahlreichen
zwischenstaatlichen Wasserprojekten mitgearbeitet, die vom amerikanischen
Entwicklungsministerium (USAID), vom Entwicklungsprogramm der Vereinten
Nationen (UNDP) sowie von der EU unterstützt wurden. Ihr Fazit: Die
Kooperationen auf Projektebene waren effektiv, auch wenn es „natürlich ein
bisschen merkwürdig ist, wenn die Länder nicht miteinander sprechen“.
Die Treffen fanden in Tiflis statt, der Hauptstadt von Georgien, und „wir
haben ausschließlich auf Expertenlevel miteinander geredet, uns über Fragen
zur Wasserqualität und zum Wassermanagement ausgetauscht. Über Politik
haben wir nie geredet“, erzählt sie.
Ahmadzada, der Politikwissenschaftler, sagt, dass zwischenstaatliches
Wassermanagement „ein Bereich ist, wo eine Kooperation zwischen
Aserbaidschan und Armenien nicht eine Option ist, sondern vielmehr
alternativlos“. Er betont, dass der Konflikt über Bergkarabach
einschließlich anhaltender Grenzziehungskonflikte in einem größeren
geopolitischen Kontext gesehen werden müssten: „Je mehr der Konflikt jetzt
bilateral beigelegt wird, desto größer ist die Gefahr, dass er Raum lässt
für Interessen und Einflussnahmen anderer globaler, hegemonischer Mächte –
Iran, Russland, die USA – in der Region.“
## Die Weltklimakonferenz als Chance
Ahmadzada hofft, dass die nächste Weltklimakonferenz COP29, die im November
in Baku stattfindet, in den armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen einen
Durchbruch bringen wird. Armenien hat sich einverstanden erklärt, [10][kein
Veto einzulegen] gegen die Gastgeberrolle des Nachbarlands. Im Juni hieß
es, der armenische Premierminister Paschinjan – gegen den sich die Proteste
Ende Mai in Jerewan richteten – wolle höchstselbst teilnehmen.
Paschinjans Büro hat die vermeintlichen Reisepläne des Premiers zur COP
allerdings bereits wieder zurückgewiesen: Der Premierminister habe keine
Pläne, der Konferenz beizuwohnen. Eine „Friedens-COP“ scheint also
reichlich unwahrscheinlich für die Armenier, die die „Grenzkorrekturen“
seitens der Aserbaidschaner als [11][Besatzung von 150 Quadratkilometer]n
ihres Territoriums begreifen.
Die weltweit wichtigste Klimakonferenz auszurichten ist ein diplomatischer
Erfolg für die Regierung in Baku. Aserbaidschans Energiewirtschaft ist wie
die des letztjährigen Gastgebers Vereinigte Arabische Emirate komplett
abhängig von fossilen Energiequellen. Und wie letztes Jahr die Emirate
versucht Aserbaidschan sein Image vor der COP grünzuwaschen.
Das Land hat 2024 zum „Jahr der Solidarität für eine grüne Welt“
ausgerufen. Baku will seinen Anteil an erneuerbaren Energien steigern –
zunächst, bis 2030, sollen [12][30 Prozent der gesamten Energieerzeugung
aus erneuerbaren Quellen] kommen. Langfristiges Ziel ist es, [13][in den
Export von Erneuerbaren] einzusteigen.
Bergkarabach ist für diese Bemühungen zentral wichtig. 2021 hatte
Aserbaidschans Präsident Ilham Alijew Bergkarabach zur „grünen Energiezone�…
erklärt und Investitionen vor allem in Wasser-, aber auch in Wind- und
Solarkraft angekündigt.
Innerhalb weniger Monate nach der vollständigen Eroberung der Region wurden
dort neue Wasserkraftwerke eröffnet. Bis heute wurden insgesamt vier neu
gebaut, über zehn wurden nach der Ausbesserung der Kriegsschäden wieder in
Betrieb genommen. 40 weitere Wasserkraftwerke unterschiedlicher Größe sind
in Planung.
Zwischen 2021 und 2023 hat Aserbaidschan rund 2,3 Milliarden US-Doller in
das „Erste staatliche Programm für die Große Rückkehr“ investiert. Es zi…
darauf, Infrastruktur für die Wiederansiedlung von rund einer Million
Aserbaidschaner in Bergkarabach aufzubauen. Im Jahr 2022 flossen mindestens
3 Prozent der Gelder an Azerenergy, den staatlichen Stromproduzenten, um
damit Wasserkraft zu fördern.
„Das Wasserkraftpotenzial, dass wir in den befreiten Gebieten bis Ende des
Jahres haben werden, beträgt 170 Megawatt“, sagte Präsident Alijew in einer
Rede in der gerade eroberten Region Ostsangesur am 23. September 2023. „Bis
Ende 2024 werden wir bei 270 Megawatt sein, was unsere grüne Agenda
wesentlich unterstützen wird. Die Region Ostsangesur und Karabach haben ein
Potenzial von 10.000 Megawatt grüner Energie – aus Wasser, Sonne und Wind.“
## Internationale Unternehmen sind beteiligt
Der wichtigste Partner für die aserbaidschanische Wasserkraftindustrie ist
[14][die japanische Firma Tokio Electric Power Services Co.] Der britische
Ölmulti BP und das private saudische Energieunternehmen ACWA Power arbeiten
ebenfalls mit der Regierung zusammen.
Eine Schweizer Firma wiederum, sa_partners, wurde mit Plänen für grüne
Stadtentwicklung beauftragt. „Karabach wird das neue Silicon Valley sein“,
sagt Hajiyeva von der staatlichen Universtät für Wirtschaftswissenschaften
in Aserbaidschan. „Aber auf eine grüne Weise.“
Der größte Fokus liegt auf der Wasserkraft, vor allem wegen der guten
Bedingungen dank der bergigen Topografie und auch deswegen, weil es bereits
viele bestehende Wasserkraftwerke gibt. Vor der Offensive 2020 konnte sich
Bergkrabach selbst versorgen, sogar Strom ins armenische Netz exportieren –
dank 36 funktionierender Wasserkraftwerke.
Laut Kazanjian von der American University in Armenien war es seitens
Bergkarabach ein „Statement“, in Wasserkraftwerke zu investieren: „Sie
haben damit gezeigt, wie ernst es ihnen damit war, dieses Land zu
entwickeln. Die Kraftwerke sind nicht billig, sie sind eine wirkliche
Investition.“
Aserbaidschan wiederum, sagt Kazanjian, habe es „extrem eilig damit gehabt,
eigene Projekte an den Start zu bringen. Drei Monate nach dem
Waffenstillstand 2020 hat Alijew dort bereits ein Wasserkraftwerk eröffnet.
Das ist sicher auch dem Bedarf geschuldet, aber es ist auch eine sehr
starke politische Botschaft, um Stärke zu zeigen und den Sieg zu
untermauern.“
## Zwischen Zusammenarbeit und Sanktionen
Bakus Pläne, die erneuerbaren Energien zu fördern, erfolgen mit Blick auf
die EU. Nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine im Februar 2022
hat die Staatengemeinschaft eine Absichtserklärung unterzeichnet, die
Beziehungen mit Aserbaidschan im Bereich der erneuerbaren Energiewirtschaft
zu stärken. Außerdem heißt es in dem Papier, man wolle sich bemühen, die
aserbaidschanischen Kapazitäten im Bereich der Erneuerbaren zu fördern, um
einen Teil davon in die EU zu exportieren.
Zugleich beziehen die EU-Staaten seit 2021 immer mehr fossile Energie aus
Aserbaidschan. Aktuell beträgt Aserbaidschans Anteil an den europäischen
Energieimporten 4,3 Prozent. Die EU-Kommission bezeichnet die Gasverträge
mit Aserbaidschan als „stabil und verlässlich“ und beabsichtigt, die
Importe bis 2027 zu verdoppeln.
In der Zwischenzeit hat das Europäische Parlament allerdings Sanktionen
gegen die Energiewirtschaft Aserbaidschans beschlossen und eine Aussetzung
der Absichtserklärung über die Gasimporte gefordert.
In der Resolution vom Februar 2024 verurteilt das Parlament die
„Aggressor-Politik, einschließlich des vorbereiteten militärischen Angriffs
von Aserbaidschan gegen Bergkarabach, [sowie] den geplanten Hungertod und
die Isolation der Armenier in Bergkarabach während der Blockade des
Lachin-Korridors“. Der Lachin-Korridor, eigentlich eine Versorgungsstraße
zwischen Armenien und Bergkarabach, wurde von Aserbaidschan ab 2020
jahrelang systematisch blockiert.
Sehring, die Assistenzprofessorin für Wassermanagement, betont, dass
Wasserkraftwerke oft „sehr eng verbunden sind mit dem Aufbau von
staatlichen Strukturen und nationaler Identität. Es ist etwas Modernes,
gewaltige Infrastruktur, an der die Regierung zeigen kann, dass sie etwas
tut.“
Es bleibt abzuwarten, ob die aserbaidschanischen Wasserkraftwerkspläne mehr
sind als ein PR-Stunt, sowohl für die internationale Gemeinschaft im
Vorfeld der COP29 als auch mit Blick auf die lokale Bevölkerung.
Ein Bericht der unabhängigen Denkfabrik Economic Research Center, der die
Investitionen der aserbaidschanischen Regierung in Bergkarabach unter die
Lupe nimmt, analysiert, dass von 2022 bis Mitte 2023 „keine ernsthaften
Anstrengungen unternommen wurden, um zerstörte Siedlungen
wiederherzustellen oder die Rückkehr binnenvertriebener Personen zu
ermöglichen“.
Zugleich seien die größten Nutznießer in der Region Firmen im Besitz von
Freunden und Verwandten des Geschäftsführers von Azerenergy, Balababa
Rzayev, gewesen.
## Hungerstreik als Protest gegen Kraftwerkbau
Wasserkraftwerke zu bauen, ohne vorher die möglichen Umweltfolgen zu
prüfen, kann dem Ökosystem der Bergwelt schaden. Anfang 2020, vor der
aserbaidschanischen Offensive, begann der Bergkarabacher Alexander Kananyan
einen Hungerstreik, um gegen die Entwicklung neuer Wasserkraftwerke in der
Region zu protestieren.
Er argumentierte, dass die wichtigsten Flüsse und Zuflüsse „komplett
zerstört“ würden. Viele unterstützten seinen Protest. Am Ende setzte die
damalige De-facto-Regierung der Republik Arzach den Bau neuer Kraftwerke
aus und setzte eine Kommission ein, die die Umweltauswirkungen prüfen
sollte.
Ob die aserbaidschanische Seite die Umweltrisiken mitbedenkt, ist nicht
klar. Die NGO Conflict and Environmental Observatory (CEOBS) weist darauf
hin, dass die Geschwindigkeit, mit der Aserbaidschan in Bergkarabach baut,
negative Folgen für die Umwelt haben kann.
Der CEOBS-Bericht fokussierte sich auf Abholzungen für den Autobahnbau.
Aber einer der Autoren, Eoghan Darbyshire, betont, dass der Bau der
Wasserkraftwerke zu schnell passieren könnte. „Wir können keinerlei Belege
finden, dass Untersuchungen bezüglich der Umweltauswirkungen unternommen
werden. Das kann insbesondere für die langfristige Versorgung mit Wasser
und für die Biodiversität riskant sein.“
Das Thema Wasserkraft wirft weiter einen Schatten auf die
armenisch-aserbaidschanischen Beziehungen. 2023 hat Aserbaidschan Armenien
vor dem Ständigen Schiedshof in Den Haag verklagt, weil Armenien in
Bergkarabach illegal erneuerbare Energien genutzt habe, insbesondere
Wasserkraft. Der Fall ist noch nicht entschieden.
Gut möglich, dass es mehr als eine Kooperationsvereinbarung über die
Wassernutzung oder eine internationale Klimakonferenz im November braucht,
um zwei Nationen dazu zu bringen, miteinander zu reden.
Aus dem Englischen von Anna Klöpper
24 Jul 2024
## LINKS
[1] /tmp/pid-6908/Hydroproblems
[2] https://www.politico.eu/article/nagorno-karabakh-new-battle-water-azerbaija…
[3] https://www.planetarysecurityinitiative.org/news/water-security-and-nagorno…
[4] https://www.wri.org/applications/aqueduct/water-risk-atlas/#/?advanced=fals…
[5] https://en.president.az/articles/39990
[6] https://pace.coe.int/en/files/22290
[7] https://ceobs.org/investigating-the-environmental-dimensions-of-the-nagorno…
[8] https://unece.org/environment-policy/water
[9] https://www.linkedin.com/company/the-usaid-south-caucasus-regional-water-ma…
[10] https://www.cnbc.com/2023/12/11/azerbaijan-wins-regional-backing-to-host-c…
[11] https://oc-media.org/armenia-releases-map-of-territories-seized-by-azerbai…
[12] https://www.azernews.az/oil_and_gas/202423.html
[13] https://foreignpolicy.com/2024/02/27/nagorno-karabakh-azerbaijan-armenia-e…
[14] https://www.thetribune.com/japanese-tepsco-to-draft-a-plan-for-creating-a-…
## AUTOREN
Zuza Nazaruk
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