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# taz.de -- Migration nach Deutschland: Flucht ohne Lebensgefahr
> Immer mehr Geflüchtete kommen via Belarus nach Deutschland. Die
> Bundespolizei reagiert mit verstärkten Kontrollen. Für die Menschen auf
> der Flucht ist diese Route ein Segen.
Bild: Im März stellte die Bundespolizei 412 Menschen an der deutsch-polnischen…
Berlin taz | Die Behörden sprechen von „[1][hybrider Kriegsführung]“, wenn
Migranten „gezielt“ via Belarus und Russland in die EU „geschleust“ wer…
Im März stellte die Bundespolizei 412 Menschen an der deutsch-polnischen
Grenze fest, die über diesen Weg nach Brandenburg kamen. Im April waren es
670 und im Mai rund 800 Menschen.
Nach Angaben der Bundespolizei stammen die meisten dieser Flüchtlinge aus
Syrien und Afghanistan, aber auch Somalia, Jemen, Eritrea und der Irak
würden als Herkunftsländer eine Rolle spielen.
Einer, den das betrifft, ist Yohannes Drar (Name geändert) aus Eritrea. Für
ihn war der Weg über Belarus ein Sechser im Lotto, wie er sagt, sie
ersparte ihm den leidvollen Weg über Libyen und das Mittelmeer nach Europa.
Als Drar das erzählt, schauen seine Landsleute, die diese Odyssee hinter
sich haben, neidvoll auf ihn. Viele wurden auf der Flucht gekidnappt und
gefoltert, damit die Kidnapper von ihren Verwandten Geld erpressen konnten.
Sie wurden in libyschen Gefängnissen inhaftiert und haben auf dem
Mittelmeer Menschen neben sich sterben sehen. Drars Flucht hingegen hat
nicht ein bis zwei Jahre gedauert, wie ihre eigene, sondern nur wenige
Monate.
## Flucht ohne Schleuser
Eritrea gilt als eine der [2][schlimmsten Diktaturen weltweit] und wird
auch das „Nordkorea Afrikas“ genannt. Die Menschen fliehen vor einem
Militär- und Zwangsarbeitsdienst, der mit der Volljährigkeit oder auch eher
beginnt, für Frauen mit der ersten Schwangerschaft endet, für Männer mit
der Gebrechlichkeit.
Laut den vereinten Nationen erfüllt dieser Dienst alle Merkmale von
Sklaverei – mit Ausnahme des Verkaufs der Sklaven auf dem freien Markt.
Eritreische Sklavensoldaten wurden auch im äthiopischen Bürgerkrieg
eingesetzt, vor allem an Frontabschnitten, wo die Sterberate besonders hoch
ist. Fast alle Eritreer erhalten in Deutschland daher einen Schutzstatus.
Die Kontrollen der Bundespolizei entlang der deutsch-polnischen Grenze
werden von den Behörden als Maßnahme gegen Schleuserkriminalität begründet.
Dass Flucht nicht immer das Ergebnis von Schleusung ist, zeigt aber eine
offizielle Statistik aus Bayern: Dort wurden im vergangenen Jahr rund 3.000
Fälle unerlaubter Einreise festgestellt, aber nur 191 Schleuserfälle.
Auch Drar erzählt eine andere Geschichte. Einen Schleuser habe er nicht
gebraucht, sagt er. Ihm reichte eine Fahrkarte, um von Polen nach
Deutschland zu kommen.
## Blackbox Belarus
Schleuser, dieses Wort muss die taz Drar erst einmal erklären. Das seien
Menschen, die Flüchtlinge gegen Geld von A nach B bringen, lautet die
Erklärung auf Englisch, die Drar versteht. Er selbst spricht nicht von
„Schleusern“, [3][sondern von „Helfern“]. Und: Ja, solche „Helfer“ …
gehabt auf dem afrikanischen Teil seiner Fluchtroute.
Er brauchte Helfer, die ihm aus Eritrea hinaus in den Sudan halfen. Und er
brauchte im Sudan „Helfer für Papiere“. Damit meint er einen gefälschten
Pass, ein Flugticket und Visa. Seit er im Flugzeug vom Sudan nach Dubai
saß, dem Zwischenhalt auf seinem Weiterflug nach Minsk, sei er ohne
bezahlte Helfer ausgekommen, sagt er.
In Belarus habe er zwei Wochen verbracht und sei dann über die Grenze nach
Polen gekommen. Die zwei Wochen in Belarus seien „hart, sehr hart“ gewesen,
„wegen der Behörden“. Was er damit meint, kann Drar auf Englisch nicht
ausdrücken.
In Polen sei er ebenfalls zwei Wochen gewesen, so der 18jährige. Auch dort
sei es hart gewesen, es gab Militärs in der Grenzregion, unwegsame Wälder,
aber auch humanitäre Organisationen, die ihm Essen, Trinken und neue Schuhe
gegeben hätten. Sein Cousin aus Brandenburg habe ihm dann Geld für
Bustickets nach Berlin geschickt. Und zu seinem Cousin sollte seine Reise
auch gehen. Eigentlich.
## Die Hilfsbereitschaft ist groß
Doch an dem Donnerstagvormittag, an dem Drar in Berlin ankommt, arbeitet
der Cousin. Der bittet darum am Telefon einen Landsmann aus Berlin, ihn vom
Bus abzuholen. Die taz kann auch mit diesem Mann sprechen.
„Selbstverständlich habe ich kein Geld von dem Neuankömmling genommen. Ich
habe ihm sogar die S-Bahn-Karte gekauft“, sagt er. Diese humanitäre Hilfe
für einen Menschen, der mit nichts nach Deutschland kommt, sei für ihn
selbstverständlich.
Und er erzählt von einer Französin, die ihm am Hauptbahnhof in Paris nach
seiner Ankunft geholfen habe. Ein Jahr Inhaftierung in einem libyschen
Gefängnis hatte er da schon hinter sich, mehrere vergebliche und
schließlich einen erfolgreichen Versuch, mit einem Boot über das Mittelmeer
zu gelangen, und eine Bahnfahrt von Italien nach Frankreich.
Dort wartete er auf den Anschlusszug nach Deutschland. Sein Geld war da
schon alle. „Sie hat mir eine Flasche Wasser, eine Flasche Milch, fünf
Bananen und ein Brötchen gekauft“, erinnert er sich. „Sonst hätte ich nur
das Wasser aus der Toilette trinken können.“ Fast drei Jahre ist das
inzwischen her, aber er erinnert sich noch sehr gut daran.
Yohannes Drar, der Neuankömmling, wird bis zum Wochenende in seiner Wohnung
bleiben, denn er hat nach der Flucht nur einen Wunsch: schlafen. Dann holt
der Cousin ihn ab.
## Viele müssen zurück nach Polen
Dass er wohl nicht bei ihm in Brandenburg bleiben kann, erfährt Drar von
der taz. Der Grund: Er hat in Polen seine Fingerabdrücke hinterlegt. Das
heißt, sehr wahrscheinlich muss er sein [4][Asylverfahren in Polen]
absolvieren, Polnisch statt Deutsch lernen. Wie seine Bleibeperspektive
ist, bleibt abzuwarten, denn eritreische Flüchtlinge sind eine neue
Erfahrung für Deutschlands östlichen Nachbarn.
Dass es ein Land namens Belarus gibt, hat Drar vor seiner Flucht nicht
einmal gewusst. Die politischen Verhältnisse dort kann er nicht bewerten.
Aber den Gedanken, dass er auf Einladung des belarussischen Diktators
Alexander Lukaschenko dorthin kam, um dessen „hybriden Krieg“ gegen Europa
zu unterstützen, findet er so absurd, dass er ihn nicht einmal versteht.
Auch wenn es diesen vergleichsweise bequemen Weg für ihn nicht gegeben
hätte, hätte er sich auf den Weg nach Europa gemacht, sagt er. Über Libyen
und [5][das Mittelmeer]. Ob er dann heute noch leben würde, da ist er sich
aber nicht so sicher.
8 Jul 2024
## LINKS
[1] /Gefluechtete-als-Waffe/!6012528
[2] /Roadtrip-durch-Eritrea/!5448594
[3] /Gala-fuer-Fluchthelferinnen/!5939879
[4] /Schaerfere-EU-Asylregeln-beschlossen/!6010732
[5] /Migrationsroute-ueber-das-Mittelmeer/!6022001
## AUTOREN
Marina Mai
## TAGS
Schwerpunkt Flucht
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