# taz.de -- Reichsbürger-Prozess in Frankfurt: Ein bisschen Frieden | |
> Die Führungsriege der Reuß-Gruppe gibt sich vor dem Gericht in Frankfurt | |
> menschenfreundlich. Der bewaffnete Umsturz scheint da ganz weit weg. | |
Bild: Inszeniert sich als friedbliebender Familienmenschen, ist aber angeklagt … | |
Frankfurt am Main taz | Dafür, dass das hier eines der größten | |
[1][Anti-Terror-Verfahren in der Geschichte] der Bundesrepublik Deutschland | |
ist, dreht sich ganz schön viel um Frieden und Liebe. | |
Da sind die Frauen, die zu nahezu jedem Prozesstag kommen und mit Daumen | |
und Zeigefingern Herzchen formen, wenn die Angeklagten hereingeführt | |
werden. Auf ihren T-Shirts steht „Have trust“ oder „Du bist nicht allein�… | |
ihr leicht entrückter Blick verdüstert sich nur, wenn sie nach links | |
schauen. Wo die Presse sitzt. | |
Da ist ein Hauptangeklagter, der als Rädelsführer rechter Reichsbürger den | |
gewaltsamen Umsturz geplant haben soll, mit einem bewaffneten Angriff auf | |
den Bundestag und massenhaften Hinrichtungen. Von dem seine Anwälte aber | |
sagen: Heinrich XIII. Prinz Reuß sei ein vollkommen friedlicher Mensch. | |
Derart friedlich sogar, dass Herr Reuß nicht einmal einen | |
Befangenheitsantrag gegen das Gericht habe stellen wollen, das jüngst seine | |
Entlassung aus der Untersuchungshaft abgelehnt hat. Obwohl es, wie | |
Verteidiger Hans-Otto Sieg erklärt, als er am Mittwoch erneut die | |
Außervollzugsetzung des Haftbefehls beantragt, keinerlei Beweise dafür | |
gebe, dass sein Mandant mit einer möglichen Erstürmung des | |
Reichstagsgebäudes irgendetwas zu tun gehabt habe. „So ein Quatsch, was | |
soll das denn bringen?“ Mit diesen Worten habe Reuß reagiert, als er zum | |
ersten Mal erfahren habe, was er geplant haben soll. | |
## Friede, Liebe, Selbstinszenierung | |
[2][Seit zwei Monaten] wird im Industriegebiet von Frankfurt-Sossenheim, in | |
einer Hochsicherheitsleichtbauhalle, die das Oberlandesgericht der | |
Mainmetropole eigens hat errichten lassen, das Staatsschutzverfahren gegen | |
den adligen Frankfurter Immobilienunternehmer und acht seiner mutmaßlichen | |
Mitverschwörer*innen der „Patriotischen Union“ geführt. | |
Ehemalige Bundeswehroffiziere sind darunter, ein Polizist und [3][die | |
AfD-Politikerin Birgit Malsack-Winkemann]. Die Bundesanwaltschaft hält die | |
Angeklagten für die Führungsriege einer terroristischen Vereinigung, die | |
nicht weniger als einen Putsch gegen die Bundesregierung vorbereitet haben | |
soll. Gegen 17 weitere mutmaßliche Beteiligte wird parallel in | |
[4][Stuttgart] und [5][München] verhandelt. | |
In Frankfurt, wo der Prozess nach 16 Verhandlungstagen jetzt in eine | |
vierwöchige Sommerpause gegangen ist, ist der Anklagevorwurf bislang indes | |
allenfalls touchiert worden. Einzelne Angeklagte, auch Reuß und | |
Malsack-Winkemann, haben pauschal ihre Unschuld beteuert und angekündigt, | |
sich noch ausführlicher zu äußern. Andere, wie die Ex-Soldaten Rüdiger von | |
Pescatore und Peter Wörner, wollen zur Sache schweigen. Ansonsten: Frieden | |
und Liebe. Und Selbstinszenierung. | |
„Die schlimmste Allergie habe ich gegen Unrecht und Ungerechtigkeit“, sagt | |
Maximilian Eder, auch er ein Angeklagter mit langer Karriere bei der | |
Bundeswehr; in 38 Jahren hat er es bis zum Oberst beim Generalstab | |
gebracht. Doch was die Ermittler*innen bei der Durchsuchung seines | |
Hauses in Niederbayern vorfanden, lässt das Bild eines Mannes entstehen, | |
der sein Leben schon länger nicht mehr im Griff hat: eine Wohnung im Chaos, | |
übersät mit leeren Bier- und Weinflaschen. | |
Klein und schmächtig wirkt der 65-Jährige, beinahe hutzelig, das graue Haar | |
trägt er unmilitärisch schulterlang. Aus dem schneidigen Soldaten, der er | |
einmal gewesen sein muss, ist ein Jünger des antisemitischen | |
QAnon-Verschwörungskults geworden. Die Welt sieht er von geheimnisvollen | |
Eliten beherrscht, die in unterirdischen Tunneln Kinder foltern. | |
Sein Selbstbewusstsein aber ist ungebrochen. Fast zwei Tage lang brüstet | |
sich Eder vor Gericht mit seinem angeblich erfolgreichen Leben, liest | |
Belobigungen vor, die er trotz seiner unbequemen Art von Vorgesetzten | |
bekommen habe, lässt keinerlei Selbstzweifel durchscheinen. Immerhin räumt | |
er ein: „Ich habe nicht die Kraft eines Mahatma Gandhi oder eines Nelson | |
Mandela.“ | |
## Der freundliche Familienmensch Reuß | |
Weitere Angeklagte haben sich zur Person eingelassen, so weitschweifig wie | |
der Ex-Oberst jedoch niemand. Prinz Reuß gibt freundlich den | |
Familienmenschen, der seine Immobiliengeschäfte zunehmend vernachlässigte, | |
weil er sich um die Restitution von enteigneten Besitztümern des Reuß’schen | |
Adelsgeschlechts in Thüringen bemühte. Ein Auftrag, den ihm sein Vater | |
sozusagen auf dem Sterbebett erteilt habe: „Ich habe es nicht übers Herz | |
gebracht, Nein zu sagen.“ | |
Dass er bei seinem mäßig erfolgreichen Kampf um die früheren | |
Fürstenbesitztümer sein Heil auch in Reichsbürgerideologie suchte, deutet | |
der 72-Jährige lediglich an. So bleibt von seinem Auftritt vor allem eine | |
Szene im Gedächtnis: Als er spricht, ist auch seine Tochter zur Verhandlung | |
gekommen. Sie hat das Downsyndrom, minutenlang stehen Vater und Tochter an | |
der Trennscheibe, die Gerichtssaal und Zuschauerraum trennt, und drücken | |
ihre Hände gegen das Glas. | |
Peter Wörner war Soldat beim Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw, später | |
Survivaltrainer und Betreiber eines Onlineshops für Militariabedarf. Er | |
lässt sich als einziger Angeklagter ausschließlich von rechtsextremen | |
Szeneanwälten vertreten, sein Shop soll nach einem Bericht des Bayerischen | |
Rundfunks von einem NPD-Funktionär mit den Worten beworben worden sein, | |
dass es dort „Nazi-Rabatt“ gebe. Die Ermittler*innen fanden bei ihm | |
Waffen, Munition, Nachtsichtgeräte. Vor Gericht aber erzählt der 55-Jährige | |
von seinem „naturnahen Leben“ mit einem Wolfshund, das zu einer | |
„spirituellen Wandlung“ geführt habe. Selbst bei ihm also: Frieden und | |
Liebe. | |
## Zu Dick aufgetragen | |
Birgit Malsack-Winkemann legt den Kopf schief, ein leises Lächeln umspielt | |
ihre Lippen. Die 59-Jährige mustert die Ermittler*innen, die in den | |
Zeugenstand treten, mit dem Blick der Richterin, die sie war, bevor und | |
nachdem sie von 2017 bis 2021 für die AfD im Bundestag saß. Überlegen, | |
selbstbewusst, keinen Widerspruch duldend. | |
Und so tritt sie auch auf, als sie über sich spricht. Eine Stütze der | |
Gesellschaft, wie ihre Mitangeklagten, und selbstverständlich keine | |
Terroristin – das ist die Botschaft. „Für mich gehört Politik nicht in die | |
Justiz“, sagt Malsack-Winkemann. Seht her, soll das heißen: Während ich als | |
Richterin in Berlin immer vorbildlich überparteilich gehandelt habe, tut | |
das die Bundesanwaltschaft mit ihrer politisch motivierten Anklage | |
überhaupt nicht. | |
Wäre diese Riege mutmaßlicher Reichsbürgerverschwörer*innen der Cast | |
einer Politkrimiserie, man würde wohl sagen: zu dick aufgetragen, um noch | |
glaubhaft zu sein. Zumal da auch noch Johanna Findeisen-Juskowiak sitzt. | |
Die 53-Jährige war bis zu ihrer Verhaftung Landesvorsitzende der | |
Corona-Leugner*innen-Partei „Die Basis“ in Baden-Württemberg. Eine sanft | |
lächelnde Frau mit langen grauen Locken und großem Holzkreuz um den Hals, | |
die ihren Anwalt und Parteifreund Martin Schwab, Juraprofessor in | |
Bielefeld, zur Begrüßung lang und innig umarmt. | |
Als Spross einer „Waldorfdynastie“ schildert Findeisen-Juskowiak sich. | |
Tierlieb, kinderlieb, naturverbunden, immer positiv denkend. Eine | |
begeisterte Seglerin, Cellistin und Tangotänzerin, die sich ehrenamtlich | |
für Geflüchtete engagiere und mit einem Mann aus Westafrika verlobt sei. | |
## „Liebe ist stärker als Finsternis“ | |
„Ich glaube an das Gute“, sagt sie. „Dass die Liebe stärker ist als die | |
Finsternis. Ich möchte, dass sich alle Menschen wohl fühlen.“ Was sich auf | |
Menschen, die sich in der Coronapandemie wohler fühlten, wenn Masken | |
getragen und Abstände eingehalten wurden, jedoch offensichtlich nicht | |
erstreckte: Die „sofortige Beendigung aller Maßnahmen“ war | |
Findeisen-Juskowiaks wichtigstes politisches Ziel. | |
Einiges spricht dafür, dass es diese Ablehnung der Coronapolitik war, was | |
die gelinde gesagt heterogene „Patriotische Union“ zusammengeführt hat. Der | |
Angeklagte Michael Fritsch, ein 61 Jahre alter Polizist aus Niedersachsen, | |
der sich als Coronaleugner derart radikalisiert hatte, dass er aus dem | |
Dienst entlassen wurde, kandidierte ebenfalls für „Die Basis“. Die | |
Ex-Soldaten Eder und Wörner sahen sich in der Pandemie als | |
Freiheitskämpfer. | |
Ob sie ihren Kampf wirklich nur mit Frieden und Liebe führen wollten oder | |
nicht doch mit Waffen und Gewalt, wird sich erweisen, wenn die Verhandlung | |
Mitte August weitergeht. Man muss daran erinnern, weil es angesichts der | |
ganzen zelebrierten Menschenfreundlichkeit in Vergessenheit zu geraten | |
droht: Laut Anklage verfügte die „Patriotische Union“ über 380 Schusswaff… | |
plus Munition, allerhand militärische Ausrüstung und mehr als eine halbe | |
Million Euro. | |
Mit dem Aufbau von „Heimatschutzkompanien“ für den Umsturz soll bereits | |
begonnen worden sein. Und mindestens 136 Mitstreiter*innen | |
unterzeichneten Verschwiegenheitserklärungen, die ihnen für den Fall des | |
Verrats die Todesstrafe androhten – zu verhängen von Heinrich XIII. Prinz | |
Reuß, dem friedlichen Familienmenschen. | |
17 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Joachim F. Tornau | |
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