| # taz.de -- Aktivist über Gewalt gegen Antifa: „Nicht einfach Bock auf Schl�… | |
| > Wenn Rechtsradikale immer etablierter werden und die Linke immer | |
| > schwächer wird, kommen Antifa-Strategien an ihre Grenzen. Wie also mit | |
| > der Gewalt umgehen? | |
| Bild: Revolutionäre Demo zum 1. Mai 2024 in Berlin-Kreuzberg | |
| taz: Herr Marco T., Sie sind in der North East Antifa organisiert, einer | |
| der größten Berliner Antifastrukturen. Anfang Juli wurde eine Gruppe | |
| Antifaschist:innen [1][am helllichten Tag am Berliner Ostkreuz von | |
| Nazis angegriffen]. Überrascht Sie diese Form der Gewalt? | |
| Marco T.: Es ist auf jeden Fall ein neues Ausmaß an rechter Gewalt, was da | |
| mitten am Tag in Berlin stattfindet. Das überrascht mich schon. Andrerseits | |
| war die Entwicklung abzusehen. Seit drei Jahren ist der III. Weg in Berlin | |
| immer präsenter geworden. Eine Woche nach den Angriff am Ostkreuz haben sie | |
| bewaffnet im Stadtpark Lichtenberg trainiert mit Rechtsrock und eindeutigen | |
| T-Shirts. Sie verstecken sich also nicht mal mehr. Da müssen wir als | |
| antifaschistische Kräfte gucken, wie wir das eindämmen und dem etwas | |
| entgegensetzen können. | |
| Aus Sicherheitsgründen wollen Sie in diesem Interview anonym bleiben. Wenn | |
| Sie in die Zukunft sehen, bekommen Sie es dann mit der Angst zu tun? | |
| Angst ist ein sehr lähmendes Gefühl. Es ist nicht gut, sich ihr hinzugeben, | |
| wenn man politisch arbeiten will. Aber es besorgt mich natürlich, die hohen | |
| Wahlergebnisse der AfD zu sehen oder wie faschistische Strukturen | |
| erstarken. Und die Entwicklung ist EU-weit: Meloni regiert in Italien, die | |
| Rassemblement National ist in Frankreich sehr stark, auch wenn sie die | |
| Parlamentswahl nun nicht gewonnen hat. Man merkt einfach, überall um | |
| eine:n herum wird es rechter. Gleichzeitig ist die parlamentarische und | |
| die radikale Linke in Deutschland derzeit sehr schwach. Da bin ich | |
| natürlich besorgt, in dem Sinne, dass man jetzt alles reingeben muss, um | |
| das Ruder noch rumzureißen. | |
| Was befürchten Sie, falls die AfD im Herbst in einem Bundesland an die | |
| Macht kommt? | |
| Es ist ja noch vollkommen unklar, ob das passiert. Wir sehen aber in | |
| anderen Ländern, beispielsweise in der Vergangenheit bei der FPÖ in | |
| Österreich, dass eine Regierungsbeteiligung durchaus möglich ist. Auf der | |
| kommunalen Ebene regiert die AfD ja bereits. Es scheint eine Frage der Zeit | |
| zu sein, bis sie auch in einem Bundesland an die Regierung kommt. Dann wird | |
| es natürlich echt schwierig. Wir sehen auf kommunaler Ebene, wie die AfD | |
| gegen alles vorgeht, was ihnen nicht passt: Projekte gegen | |
| Rechtsextremismus, Beratungsstellen für Schwangerschaftsabbrüche, linke | |
| Jugendzentren. Auf der nächsthöheren Ebene verstärkt sich das ja nur noch. | |
| Wie würde sich eine AfD-Landesregierung auf die Bundespolitik auswirken? | |
| Schon jetzt treibt die AfD die bürgerlichen Parteien mit ihren | |
| rassistischen, migrationsfeindlichen Inhalten vor sich her. Die anderen | |
| Parteien beschließen bereits heute rassistische Gesetze wie | |
| Asylrechtsverschärfungen, die Bezahlkarten und so weiter. All das wird noch | |
| zunehmen, wenn die AfD in einer Landesregierung sitzt. Das wird das Leben | |
| von allen Menschen, die nicht in das Weltbild der Faschos passen, noch | |
| schwerer machen, als es vielerorts ohnehin oft bereits ist. | |
| Warum, glauben Sie, schaffen es die bürgerlichen Parteien nicht, der AfD | |
| inhaltlich etwas entgegenzusetzen? | |
| Ich glaube, sie denken, dass sie das bereits tun. Sie denken, dass es schon | |
| funktionieren wird, symbolisch dem Rassismus auf der Großdemo die rote | |
| Karte zu zeigen, aber gleichzeitig Asylrechtsverschärfungen zu beschließen. | |
| Dass es ihnen nicht auf die Füße fallen wird, | |
| arbeiter:innenfeindliche Politik zu machen und Sozialleistungen zu | |
| kürzen, dann aber auf die AfD zu zeigen und zu sagen: Das sind die Bösen. | |
| Bei einer solchen Politik können wir nicht davon ausgehen, dass die | |
| hochgelobte sogenannte Brandmauer langfristig halten wird. | |
| Lange war es eine bewährte antifaschistische Praxis, gegen die Rechten | |
| Bündnisse bis tief in die bürgerliche Mitte anzustreben. Wenn auch die | |
| Mitte-links-Parteien den Rechtsruck vorantreiben, geht das überhaupt noch? | |
| Gibt es noch eine gemeinsame Basis? | |
| Wir sind schon der Meinung, dass wir breite Bündnisse brauchen – unter der | |
| Prämisse, dass wir unsere Kritik an den bürgerlichen Regierungsparteien | |
| klar benennen und unsere eigenen Aktionsformen wählen können. Idealerweise | |
| greifen die dann ineinander, wie kürzlich in Essen, wo Massenproteste | |
| gegen den AfD-Parteitag von Blockaden begleitet wurden. Wichtig ist, dass | |
| sich die Bürgerlichen nicht sofort abgrenzen. Grundsätzlich gibt es bei den | |
| Parteibasen – etwa bei den Grünen – gerade mit Blick auf Antifaschismus | |
| weiterhin einen gemeinsamen Nenner. Wogegen wir uns stellen, ist die | |
| Vereinnahmung unserer Proteste durch Parteifunktionäre. Wir machen keine | |
| staatstragenden Proteste, wir stehen für Klassenkampf. | |
| Nun hat zuletzt der gescheiterte linke „heiße Herbst“ 2022 gezeigt, dass | |
| die Leute eben nicht plötzlich auf die Straße gehen, nur weil einige Linke | |
| zum Klassenkampf aufrufen. Wie kann man da die kapitalistischen Ursachen | |
| des Faschismus bekämpfen? | |
| Wir haben da auch keine Masteranalyse, aber klar ist, dass wir diese Fragen | |
| nicht einfach zurückstellen können. Faschistische Bewegungen wachsen immer | |
| in Krisenzeiten, wenn sich die Mittelschicht vom Abstieg bedroht sieht. | |
| Deswegen müssen wir klarer machen, dass Antifa auch Antikapitalismus | |
| bedeutet, ebenso wie Antimilitarismus. Wir müssen zeigen, dass die AfD eben | |
| keine Friedenspartei ist, dass sie eine neoliberale Partei ist, die auch | |
| nichts für den kleinen Mann tut, selbst wenn der weißer Deutscher ist. | |
| Klingt, als wolle auch die Antifa die Sorgen der AfD-Wähler:innen ernst | |
| nehmen. | |
| Na ja. Bevor man die AfDler anspricht, gibt es da erst mal ganz viele | |
| andere Leute – alle, die von der AfD bedroht werden: migrantische, queere | |
| und rassismusbetroffene Menschen, Arbeiter:innen, Frauen. Ich denke, es ist | |
| wichtiger, diese Leute von einer linkeren Politik zu überzeugen. Wenn sich | |
| ein Ex-AfDler glaubhaft abgrenzt, ist das natürlich toll. Aber worauf wir | |
| uns konzentrieren, ist die Solidarität derer aufzubauen, die von der AfD | |
| bedroht werden. | |
| Zuletzt hat die Correctiv-Recherche über rechte Deportationspläne | |
| [2][Massenproteste gegen den Faschismus ausgelöst.] Warum, glauben Sie, | |
| sind die Demos wieder abgeebbt? | |
| Diese Proteste haben viele Leute wachgerüttelt. Es sind im Anschluss auch | |
| mehr Menschen zu unseren Aktionen gekommen. Was aber gefehlt hat, war, | |
| diese Leute langfristig zu binden. Ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass | |
| es nicht reicht, zwei-, dreimal auf eine Demo zu gehen – und der Faschismus | |
| ist besiegt. Wir hätten auch klarer machen müssen, dass Antifaschismus | |
| verschiedene Aktionsfelder beinhaltet, dass man nicht gleich den nächsten | |
| Fascho abfangen muss, wenn man bei der Antifa mitmachen will – sondern auch | |
| Demos organisieren, in der Nachbarschaft aufklären und | |
| Unterstützungsarbeit für Betroffene rechter Gewalt leisten kann. | |
| Ein Grund mag auch sein, dass das Image der Antifa weiterhin eher schlecht | |
| ist. Ist das nicht auch ein bisschen selbstverschuldet? | |
| Natürlich müssen wir deutlicher begründen, warum wir bestimmte Aktionen | |
| machen. Viele sind von einem Black Bloc erst mal abgeschreckt, halten das | |
| für nicht sonderlich nahbar. Dann muss man erklären, hey, das hat etwas mit | |
| Selbstschutz zutun. Oder wenn militant gegen Nazis vorgegangen wird, dann | |
| müssen wir deutlich machen, dass wir nicht einfach so Bock auf Schlägereien | |
| oder Gewalt haben, sondern dass von Nazis für bestimmte Menschen ein | |
| enormes Bedrohungspotenzial ausgeht, gegen das wir vorgehen. | |
| Die Antifa kann nicht auf Militanz verzichten? | |
| Der Fokus unserer Gruppe ist ein anderer. Wir machen Demonstrationen, | |
| Infoveranstaltungen, klären bei uns im Kiez und darüber hinaus über | |
| Nazistrukturen auf. Es gibt vieles, was man gegen Nazis tun kann. Man kann | |
| sich im lokalen Sportverein engagieren und dort Faschisten rausschmeißen, | |
| zu Massenprotesten oder Blockaden gehen. Wenn sich Menschen für militantere | |
| Aktionsformen entscheiden, sollte man sich aber schon solidarisch | |
| verhalten, selbst wenn man selbst vielleicht eine andere Aktionsform wählt. | |
| Wir grenzen uns da jedenfalls von nichts ab. | |
| In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen Landtagswahlen an. Wie lautet | |
| Ihre Strategie? | |
| Wir kommen gerade aus dem Prozess einer neuen, bundesweiten Vernetzung von | |
| Antifastrukturen, [3][aus der zuletzt unser gemeinsamer Aufruf „Zeit zu | |
| handeln“] hervorgegangen ist. Kernidee dieser Vernetzung war, uns in der | |
| Zukunft noch stärker gegenseitig zu supporten. Deshalb gehen wir auf die | |
| Strukturen insbesondere in Brandenburg zu und fragen, was gebraucht wird. | |
| Das können Solipartys sein, um Projekte oder Jugendclubs zu finanzieren, | |
| denen die AfD vielleicht die Mittel kürzt. Im Herbst könnten wir eine | |
| Großdemo unterstützen, mit Soli-Bussen und gemeinsamer Anreise. Oder die | |
| Strukturen melden uns: Die Faschos sind gerade so aufgeheizt, wir fürchten | |
| einen Angriff auf eine Flüchtlingsunterkunft. Dann erscheinen wir mit | |
| Leuten vor Ort. | |
| 16 Jul 2024 | |
| ## LINKS | |
| [1] /Neonazi-Attacke-auf-Antifas/!6019369 | |
| [2] /Nach-der-Correctiv-Recherche/!5988627 | |
| [3] https://kontrapolis.info/13438/ | |
| ## AUTOREN | |
| Timm Kühn | |
| ## TAGS | |
| Schwerpunkt Antifa | |
| Faschismus | |
| Rechtsruck | |
| GNS | |
| 8. Mai 1945 | |
| Der III. Weg | |
| Schwerpunkt Rassismus | |
| Schwerpunkt AfD | |
| Der III. Weg | |
| Kampfsport | |
| ## ARTIKEL ZUM THEMA | |
| AfD-Bürgermeister über Zweiten Weltkrieg: Zuerst an die deutschen Opfer denken | |
| Holocaust oder SS-Verbrechen spielten in Roßlaus offizieller Gedenkrede am | |
| 8. Mai keine Rolle. Gehalten wurde sie von einem Ortsbürgermeister mit | |
| Neonazi-Vergangenheit. | |
| Razzia bei Neonazipartei Dritter Weg: Ein Übergriff zu viel | |
| Die Berliner Staatsanwaltschaft ermittelt gegen 9 Neonazis wegen eines | |
| Überfalls auf Antifas – und Polizisten. Zahlreiche Waffen werden | |
| beschlagnahmt. | |
| Bewegungstermine in Berlin: Der einäugige Voltaire | |
| In dieser Gesellschaft wird nicht gleichermaßen auf die Rechte von Menschen | |
| geachtet. Witze über Donald Trump sind Tabu, rassistische Hetze nicht. | |
| HDJ-Führungskader für die AfD gewählt: Deutschland. Aber tiefbraun. | |
| In Roßlau, Sachsen-Anhalt, wurde der AfD-Politiker Laurens Nothdurft zum | |
| Ortsbürgermeister gewählt. Er war Mitglied eines verbotenen | |
| Neonazi-Vereins. | |
| Neonazi-Attacke auf Antifas: Weg der Gewalt | |
| Antifaschisten werden auf der Anreise zu einer Demo am Ostkreuz von | |
| Neonazis attackiert. Die Täter gehören mutmaßlich zur Partei „Der Dritte | |
| Weg“. | |
| Rechte Kampfsportclubs: Jung, sportlich, gewaltbereit | |
| In Deutschland breiten sich „Active Clubs“ aus – rechtsextrem und | |
| kampfsporterfahren. Wie gefährlich sind sie? |