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# taz.de -- AfD-Bürgermeister über Zweiten Weltkrieg: Zuerst an die deutschen…
> Holocaust oder SS-Verbrechen spielten in Roßlaus offizieller Gedenkrede
> am 8. Mai keine Rolle. Gehalten wurde sie von einem Ortsbürgermeister mit
> Neonazi-Vergangenheit.
Bild: Laurens Nothdurft, Ortsbürgermeister von Roßlau, bei der Kranzniederleg…
Leipzig taz | Nachdem Laurens Nothdurft einen Blumenkranz abgelegt hatte,
schlug er eine blaue Mappe auf und setzte zu seiner Rede an. Etwa 30 bis 40
Menschen hörten dem AfD-Politiker und Ortsbürgermeister von Roßlau in
Sachsen-Anhalt zu, auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof am vergangenen
Donnerstag. Es war der 8. Mai, 80 Jahre, nach dem Tag der Befreiung von der
nationalsozialistischen Gewaltherrschaft.
Doch in Nothdurfts Rede fiel nicht einmal das Wort „Nationalsozialismus“.
Das ist nicht der einzige Grund, weshalb ihm Beobachter:innen
vorwerfen, [1][mit seiner Rede den Sinn des Gedenkens zu untergraben].
Schon vor Ort erntete er eine Gegenrede. Dabei spielt auch sein politischer
Kontext eine große Rolle.
Im [2][vergangenen Jahr wurde der AfD-Politiker zum Ortsbürgermeister] von
Roßlau gewählt, einem Vorort der drittgrößten Stadt in Sachsen-Anhalt,
Dessau-Roßlau. Zuvor war er zeitweise „Bundesführer“ bei der Heimattreuen
Deutschen Jugend (HDJ), die 2009 wegen ihrer „Wesensverwandtschaft“ zur
Hitler-Jugend verboten wurde. Seine Partnerin Hildegard Nothdurft war dort
„Bundesmädelführerin“. Fotos zeigen ihn auch auf NPD-Demonstrationen. Auch
sein Vater Joachim Nothdurft tauchte im NPD-Umfeld auf, war auch
Bundesschriftführer der rechten Kleinpartei DSU. Und sitzt jetzt für die
AfD im Stadtrat.
Vom 8. Mai in Roßlau zeigt ein Video, wie sich eine Gruppe Schüler:innen
vor Laurens Nothdurth und dem Denkmal auf dem Sowjetischen Ehrenfriedhof
aufstellt. In seiner Rede erinnerte der Ortsbürgermeister zum Beginn an die
Toten des Zweiten Weltkriegs. Als erste Gruppe stellte er dabei die
deutschen Soldaten heraus. Dann nannte der AfDler „Frauen, Kinder, Greise
als Opfer im Bombenkrieg“ und noch jene deutschen Soldaten, die in
alliierter Gefangenschaft starben. Zuletzt erinnerte Nothdurft an die
„insgesamt 37 Millionen sowjetischen Kriegstoten“.
## NS-Verbrechen aussparen statt leugnen
Im Zweiten Weltkrieg seien insgesamt bis zu 80 Millionen Menschen
gestorben. „Gedenken wir in würdiger Weise derer, die ihr Leben gegeben
haben“, forderte Laurens Nothdurft. Nach dem 8. Mai sei „unser Volk durch
ein tiefes und langes Tal der Not und der Demütigung“ gegangen, zu einer
„moralischen Erneuerung“ und in anhaltenden Frieden. Und was sei wichtiger
als Frieden?
Doch Beobachter:innen finden interessanter, was Nothdurft nicht gesagt
hat. „Jüdische Opfer waren überhaupt nicht Thema dieser Rede“, sagt etwa
Lukas Jocher vom Projekt Gegenpart, dem mobilen Beratungsteam gegen
Rechtsextremismus in Anhalt. Auch die [3][Kriegsverbrechen der Wehrmacht
und SS] oder den deutschen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion ließ der
Ortsbürgermeister unerwähnt. „Stattdessen sprach er vom ‚deutschen‘ Lei…
analysiert Jocher.
In dem Nothdurft die NS-Verbrechen ausspare, versuche er, sie zu
„dethematisieren“, also von der Agenda zu streichen. Diese Taktik sehe man
auch bei anderen Rechtsextremen, erzählt Jocher. Es sei für sie leichter,
die Shoa und die deutschen Kriegsverbrechen auszusparen, als sie zu
leugnen.
Davon berichtete zuletzt auch [4][der Rechtsextremismusexperte Volker Weiß
im Interview mit der ARD]: „Die äußerste deutsche Rechte hat nach wie vor
das Problem, im Schatten der NS-Verbrechen und der Kriegsniederlage zu
stehen. Sie reagiert darauf mit der Forderung nach einem Perspektivwechsel.
Die Erinnerung müsse sich wieder auf die deutschen Verluste und die
Auflösung des Reiches konzentrieren.“
Auf Anfrage der taz erklärte Laurens Nothdurft am Freitagnachmittag, er
habe in seiner „kurzen Erinnerung anlässlich des Kriegsendes vor 80 Jahren“
keine Aspekte bewusst vergessen. „Kern meiner Rede war, den Blick nach vorn
zu richten. Ganz ausdrücklich in eine positive Zukunft“, das habe er den
Schüler:innen zu vermitteln versucht. „Daran ist nichts falsch“, findet
Nothdurft.
## Kritik am AfD-Politiker
Der Fall Nothdurft verdeutlicht laut Jocher, wie sich die Grenzen des
Sagbaren verschieben. Die Normalisierungsstrategie funktioniere
„erschreckend gut“. Trotz seiner HDJ-Vergangenheit gehe die lokale Presse
mit Nothdurft um, wie mit allen anderen Politiker:innen.
Dabei hat selbst die AfD eigentlich einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der
HDJ. Das heißt, ehemalige HDJ-Mitglieder können nur bei der AfD eintreten,
wenn „der zuständige Landesvorstand sich nach Einzelfallprüfung mit
Zweidrittel seiner Mitglieder für die Aufnahme entscheidet“, wie es in der
aktuellen Satzung heißt. Bei Laurens Nothdurft dürfte das so gewesen sein.
Lukas Jocher vermutet, die AfD teste mit Nothdurft aus, wie weit sie gehen
könne. „Und ich glaube, dass die politische Karriere von Herrn Nothdurft
noch nicht an ihrem Ende ist“, sagt Jocher. Nächstes Jahr stehen die
Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt an.
Am vergangenen Donnerstag beendete Nothdurft seine Rede mit einem kurzen
Moment „der gemeinsamen Stille und des Nachdenkens“.
Doch das Video zeigt, wie danach ein junger Mann an seine Stelle tritt.
„Der 8. Mai markiert den Tag der Befreiung vom Faschismus“, sagt er laut
und benennt in einer kurzen Ansprache Nothdurfts Neonazi-Vergangenheit. Es
gehe beim Gedenken nicht nur um die deutschen Toten, „sondern um die ganzen
Menschen, die von den Nationalsozialisten ermordet wurden“.
10 May 2025
## LINKS
[1] https://projektgegenpart.de/die-entkernung-des-gedenkens/
[2] /HDJ-Fuehrungskader-fuer-die-AfD-gewaehlt/!6023119
[3] /Rechtsextreme-Netzwerke-in-Sachsen/!6021990
[4] https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/nationalsozialismus-gedenken-…
## AUTOREN
David Muschenich
## TAGS
8. Mai 1945
Sachsen-Anhalt
Schwerpunkt AfD
Rechtsextremismus
GNS
AfD-Verbot
8. Mai 1945
Compact
Schwerpunkt Antifa
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