# taz.de -- Künstliche Intelligenz in Asylverfahren: Menschen sind auch nicht … | |
> Scholz wünscht sich, dass künftig KI bei Asylverfahren hilft. Klingt | |
> gruselig, könnte aber auch zu schnelleren und humaneren Entscheidungen | |
> führen. | |
Bild: Wie viele Zettel braucht es für einen Asylantrag? | |
Bleiben oder abschieben? Über diese Frage könnte bei Asylverfahren bald | |
verstärkt künstliche Intelligenz entscheiden. Zumindest, wenn es nach | |
[1][Bundeskanzler Olaf Scholz] geht. Der besuchte am Montag [2][das BAMF] | |
und erklärte, dass durch die „Nutzung moderner Entwicklungen | |
Routineentscheidungen schnell und trotzdem mit großer Qualität“ getroffen | |
werden könnten. | |
Maschinen, die über das Schicksal von Menschen entscheiden? Das klingt eher | |
nach [3][gruseliger Science-Fiction] als nach humanen Asylsystem, das wir | |
dringend gebrauchen könnten. Aber vielleicht ist genau das der Punkt. | |
Die deutschen Migrationsverfahren sind aktuell auch ohne künstliche | |
Intelligenz unmenschlich. Sie können bis aufs Äußerste rassistisch sein. | |
Und sie hängen von den Entscheidungen von Einzelpersonen ab, wie man nicht | |
zuletzt am Fall des Geraer Richters Bengt-Christian Fuchs sehen konnte. | |
Fuchs verfasste mutmaßlich rechte Hetze gegen Geflüchtete im Netz und war | |
gleichzeitig für Asylverfahren zuständig. Auffallend selten hatte er Klagen | |
gegen abgelehnte Asylanträge stattgegeben, berichtete der MDR. Wegen der | |
Vorwürfe entschied das Geraer Verwaltungsgericht nun: Er soll für | |
Asylanträge nicht mehr zuständig sein. | |
Doch die Unmenschlichkeit herrscht auch andernorts, wie an dem Neid, mit | |
dem die Union auf andere europäische Länder schaut, die verschärfte | |
Abschieberegelungen in Drittstaaten zulassen wollen, zu erkennen ist – nach | |
Italien zum Beispiel, das Asylanträge in Albanien prüfen lassen und erst | |
nach einem positiven Bescheid die Menschen einreisen lassen will. Man kann | |
die Unmenschlichkeit daran erkennen, dass gut ausgebildete Fachkräfte, die | |
Deutschland eigentlich so dringend braucht, abgeschoben werden. | |
## Objektiv und unvoreingenommen | |
All diese Fälle zeigen: Das System ist unmenschlich, teuer und | |
fehleranfällig. Vielleicht muss man deshalb den Gedanken zulassen, dass KI | |
und eine in Deutschland so gefürchtete Digitalisierung einen Unterschied | |
machen können. | |
Sie könnte eine Hilfe sein für die unter bürokratischem Aufwand ächzenden | |
Kommunen: zum Beispiel schneller Dokumente auslesen und Bescheide | |
schreiben, die mit jedem einzelnen Asylantrag einhergehen. Eine Hilfe wären | |
sie auch für die Menschen, die manchmal monatelang mit der Ungewissheit | |
leben müssen, ob ihr Asylantrag angenommen oder abgewiesen wird. | |
KI-Systeme können so programmiert werden, dass sie objektiv und | |
unvoreingenommen arbeiten, basierend auf klar definierten Kriterien und | |
gesetzlichen Vorgaben. Das könnte zu faireren und konsistenten | |
Entscheidungen führen, die nicht von den persönlichen Ansichten einzelner | |
Entscheider*innen abhängig sind. | |
Ganz ungefährlich ist der Einsatz von KI bei so lebenswichtigen | |
Entscheidungen natürlich nicht. Klar ist, dass die Systeme regelmäßig | |
überprüft werden müssen, um sicherzustellen, dass sie korrekt funktionieren | |
und keine systematischen Fehler oder (unbewusste) Vorurteile enthalten. | |
Denn jeder Algorithmus wird letztendlich von Menschen oder zumindest mit | |
menschlich erzeugten Daten trainiert. Wie könnte man sicherstellen, dass | |
sie nicht auf Basis von demjenigen Teil der Bevölkerung trainiert wird, bei | |
der Einwanderung und Asyl an Rückhalt verloren haben? | |
Hinzu kommt, dass die KI die Menschen bei der Behörde nicht vollkommen | |
ersetzen kann. Einerseits wegen der Arbeitsplätze, andererseits, weil jeder | |
Schutzsuchende es verdient hat, bei seiner Suche in ein freundliches | |
Gesicht zu gucken, das die Dramatik der Lebenssituation versteht. | |
Wie die Bundesregierung sich den Einsatz der KI beim BAMF vorstellt, ist | |
unklar. Sobald der Plan steht, lohnt sich kritisches Hingucken. Doch | |
Scholz’ Besuch lässt ein bisschen Hoffnung zu. Denn wenn Menschen es nicht | |
hinbekommen, ein humanes Asylverfahren zu gewährleisten, dann gelingt es | |
vielleicht der Maschine. | |
10 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Ann-Kathrin Leclere | |
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