| # taz.de -- Neue Straßenverkehrsordnung: Mehr Freiheit, Verkehr zu regeln | |
| > Der Bundesrat billigt eine neue Straßenverkehrsordnung. Die soll Kommunen | |
| > größere Möglichkeiten bei Planung, Klimaschutz und Sicherheit geben. | |
| Bild: In Aussicht: „Möglichkeiten für eine klima- und menschenfreundliche G… | |
| Der Mariannenpark in Leipzig ist abwechslungsreich. Es gibt weitläufige | |
| Grasflächen, die „große Tummelwiese“ ist vor allem im Sommer voll: Mensch… | |
| picknicken, Kinder spielen, hier und da steigt Rauch aus einem Grill auf. | |
| Zwischen Bäumen sind Slacklines aufgespannt. Im Westen liegt eine | |
| Kleingartenkolonie, im Süden ein Rosengarten. | |
| Den Parkrand entlang verläuft die Schönefelder Allee. Keine | |
| Hauptverkehrsader, aber die Autos, die sie befahren, machen ordentlich | |
| Lärm. Die Straße ist gepflastert und nicht allzu breit. Gegenüber dem Park | |
| liegt eine Wohnsiedlung, trotzdem gilt auf der Straße Tempo 50. Es gab im | |
| Leipziger Stadtrat schon einen Antrag für die Einführung von Tempo 30, | |
| erzählt Tobias Peter, Vorsitzender der Grünen-Fraktion in der Stadt. Der | |
| blieb erfolglos. | |
| Jetzt hofft Tobias Peter auf eine neue Chance: Am Freitag hat der Bundesrat | |
| eine Reform der Straßenverkehrsordnung (StVO) abgesegnet. „Die StVO wurde | |
| schon oft novelliert“, sagt Swantje Michaelsen, Mobilitätsexpertin der | |
| Grünen im Bundestag. „Aber diese Novelle ist etwas Besonderes.“ | |
| Sie soll Kommunen deutlich mehr Spielraum bei der Verkehrsplanung geben. | |
| Mit der neuen StVO könnten sie zum Beispiel [1][Klimaschutz] vor Ort | |
| stärken, einen Radweg anordnen oder eine Fahrspur nur für Busse einrichten, | |
| sagt Michaelsen. Oder sie könnten einen Zebrastreifen anlegen und damit | |
| einen Schulweg sicherer machen. | |
| Zuerst haben sich die Bundesregierung und die Bundesländer auf eine | |
| [2][Reform des Straßenverkehrsgesetzes (StVG)] geeinigt, das ist gut drei | |
| Wochen her. Das StVG bildet die rechtliche Grundlage – die StVO legt fest, | |
| wie Kommunen diese rechtliche Grundlage ausgestalten können. Lange | |
| schrieben sowohl das Gesetz als auch die Straßenverkehrsordnung vor, dass | |
| der flüssige Autoverkehr an erster Stelle steht. | |
| ## Chaos der Geschwindigkeiten | |
| Städte und Gemeinden konnten verkehrsplanerische Maßnahmen – eben zum | |
| Beispiel einen Zebrastreifen, einen Kreisverkehr oder eine | |
| Geschwindigkeitsbegrenzung – deshalb oft nur schwer umsetzen. In vielen | |
| Fällen waren Einschnitte in den Autoverkehr nur dann möglich, wenn sich | |
| eine Stelle als gefährlich erwiesen hat – schlimmstenfalls also erst | |
| nachträglich, wenn es dort schon zu Unfällen gekommen war. | |
| Nun enthält das neue StVG mehr als das Ziel, Pkw flüssig durch den Verkehr | |
| zu bringen. Projekte dürfen auch der Gesundheit, dem Klimaschutz oder der | |
| sogenannten städtebaulichen Entwicklung dienen, diese Ziele sind fest im | |
| Gesetz verankert. | |
| „Es war höchste Zeit, dass das angestaubte Straßenverkehrsgesetz endlich in | |
| der komplexen Verkehrsrealität von heute ankommt“, kommentierte | |
| ADFC-Bundesgeschäftsführerin Caroline Lodemann nach der Einigung Mitte | |
| Juni. Sie eröffne „Möglichkeiten für eine klima- und menschenfreundliche | |
| Gestaltung der Straßen“. Fahrradstraßen, geschützte Radfahrstreifen und | |
| Tempo-30-Abschnitte würden nicht mehr „durch unsinnige Bürokratie | |
| ausgebremst“. | |
| Ausgebremst fühlte sich lange auch Freiburgs Bürgermeister Martin Haag: Im | |
| Osten der Stadt herrscht ein Chaos aus verschiedenen Geschwindigkeiten: In | |
| der einen Straße gilt tagsüber Tempo 50, nach Tempo 30, um ein Wohngebiet | |
| vor Lärm zu schützen. Nur ein paar Hundert Meter weiter dürfen Autos zu | |
| jeder Tageszeit höchstens 30 Kilometer pro Stunde fahren, weil dort ein | |
| Kindergarten ist. In der Parallelstraße ist ebenfalls ein Kindergarten, | |
| deshalb heißt es auch hier tagsüber Tempo 30 – nachts sind jedoch 50 | |
| Kilometer pro Stunde erlaubt, weil keine Lärmgrenze überschritten wird. | |
| Für Anwohner:innen ist die Lage kaum zu überblicken, für | |
| Besucher:innen erst recht. Haag will einheitlich Tempo 30 einführen, zu | |
| jeder Tageszeit. Dafür setzt auch er auf die neue StVO und auf neu | |
| gewonnene Freiheiten: „Die Kommunen möchten mehr Verkehrssicherheit und | |
| mehr Umwelt- und Stadtverträglichkeit des Verkehrs“, sagt der | |
| Bürgermeister. | |
| ## Den eigenen Ministern zum Trotz | |
| Die [3][Ampelregierung] hatte sich die Reform des Straßenverkehrsrechts | |
| schon in ihrem Koalitionsvertrag vorgenommen. Im Herbst 2023 legte sie | |
| einen Entwurf für das StVG vor, den Verbände als Fortschritt feierten. Doch | |
| der Bundesrat schmetterte die Novelle im November ab, über die ebenfalls | |
| geplante StVO-Reform wurde dann gar nicht mehr abgestimmt. | |
| Vor allem die Bundesländer, in denen die Union mitregiert, sprachen sich | |
| gegen das modernisierte Gesetz aus. Ihre Begründung: Die Verkehrssicherheit | |
| werde nicht groß genug geschrieben. Deshalb enthält die neueste | |
| StVG-Reform, die auch die Bundesländer nach monatelangem Ringen annahmen, | |
| eine explizite Klausel: Neue Verkehrsplanung dürfe die Verkehrssicherheit | |
| nicht gefährden. | |
| Die sogenannte [4][Vision Zero, also das Ziel, die Zahl der Verkehrstoten | |
| in Richtung Null zu bringen], hat es allerdings nicht in den Gesetzestext | |
| geschafft. Der ADFC kritisierte, dass so unklar bleibe, was mit der | |
| Formulierung zur Verkehrssicherheit im StVG gemeint sei. Blechschäden zu | |
| reduzieren reiche zum Beispiel nicht aus, sagte Geschäftsführerin Lodemann. | |
| Die Unversehrtheit der Menschen, die zu Fuß gehen oder mit dem Rad fahren, | |
| sich also ungeschützt durch den Verkehr bewegen, müsse oberste Priorität | |
| haben. | |
| Andere Umweltverbände bemängelten, dass auch das neue Gesetz und die neue | |
| Verordnung den Kommunen noch nicht genug Freiheiten geben, etwa wenn sie | |
| die Parkgebühren vor Ort erhöhen wollen. | |
| Der grünen Bundestagsabgeordneten Swantje Michaelsen ist es trotzdem | |
| wichtig zu betonen, dass die Reformen ein Erfolg sind – trotz aller Luft | |
| nach oben. „Wir hoffen, dass die Kommunen von ihren neuen Möglichkeiten | |
| Gebrauch machen“, sagt sie. Genau das will Frauke Burgdorff, Dezernentin | |
| für Mobilität und Stadtplanung der Stadt Aachen, in ihrer Kommune machen. | |
| Auch sie hofft, dass die neue StVO in nahezu allen Bezirken lange geplante | |
| Projekte möglich macht, zum Beispiel einen Zebrastreifen auf der Straße vor | |
| einem Supermarkt. Es gebe eine Liste mit Ideen für die Verkehrsplanung, die | |
| „Hoffnungsliste“. Sie werde nun prüfen, für welche Ideen sie ihren | |
| Spielraum ausschöpfen kann. | |
| Burgdorff ist außerdem Sprecherin der „Initiative für lebenswerte Städte | |
| und Gemeinden durch angepasste Geschwindigkeiten“. Dem Bündnis gehören | |
| inzwischen 1.093 Kommunen an, seit 2021 macht es sich dafür stark, dass | |
| Lokalregierungen freier gestalten können – vor allem, dass sie leichter | |
| Tempo-30-Zonen einführen können. Die meisten der Kommunen in der Initiative | |
| sind CDU-geführt. | |
| 6 Jul 2024 | |
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| ## AUTOREN | |
| Nanja Boenisch | |
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