# taz.de -- Ugandische Tanzgruppe Hyperskids Africa: Tanzen, um zu leben | |
> Die Waisen- und Straßenkinder der Tanzgruppe Hyperskids Africa wurden | |
> durch Social Media bekannt. Jetzt verdienen sie so ihre Schulgebühren. | |
Bild: Haben Spaß beim Training: Hyperskids in Kampala, Uganda | |
Kampala taz | Schon von Weitem hört man Michael Jacksons Song „Billie Jean“ | |
durch das Getto dröhnen. Hinter einem schwarzen Hoftor in einem der | |
zahlreichen Armenviertel von [1][Ugandas Hauptstadt] Kampala sind drei | |
große schwere Lautsprecher aufgestellt. Einer davon scheppert so sehr, dass | |
es in den [2][Ohren schmerzt]. | |
Die rund ein Dutzend Kinder und Jugendlichen in diesem Hinterhof stört das | |
nicht. In schmutzigen und zerrissenen Klamotten und Flipflops üben sie | |
wilde Tanz- und Akrobatikeinlagen: waghalsige Flickflacks, wirbelnde | |
Umdrehungen, fast unmögliche Verrenkungen und zwischendurch lustige | |
Slapstickeinlagen. Dabei kicken sie gleichzeitig gekonnt einen Fußball hin | |
und her, der nie den Boden berührt. Einige der Kinder sind erst sechs oder | |
sieben Jahre alt. | |
## Durch das Tanzen zur Schule | |
[3][„Hyperskids Afrika“] nennt sich die in Uganda populäre Tanztruppe. | |
Mittlerweile sind sie sogar weltweit berühmt. Unter den Fans, die den Kids | |
auf den sozialen Medien folgen, sind Prominente wie Jennifer Lopez, | |
Mitglieder der britischen Königsfamilie sowie der ehemalige brasilianische | |
Fußballspieler Ronaldinho. | |
Anfang März posteten die Hyperskids ein Video, in dem sie sich für die | |
sechs Millionen Follower auf Instagram bedanken. Auf der Plattform Tiktok | |
sind es über vier Millionen Likes. Über 2,5 Millionen Subscribers folgen | |
ihnen auf ihrem Youtube-Kanal. Dafür bekamen sie im Oktober 2023 den | |
goldenen Youtube-Award. Er wurde ihnen per DHL-Postversand ins ugandische | |
Getto zugestellt. | |
Bei den Proben an diesem Samstagvormittag wirken die Kids aufgeregt. | |
Trainer Marvin Seh im Jogginganzug und Schirmmütze, unter der kurze Rastas | |
hervorgucken, seufzt und stellt die Musik ab. „Ihr müsst euch | |
konzentrieren!“, mahnt er. „In einer Stunde geht es los, dann muss alles | |
sitzen!“ | |
Die Hyperskids sollen am Nachmittag bei der Einweihung eines | |
Einkaufszentrums auftreten. Dafür wird vorher noch geprobt, damit die | |
Abläufe stimmen. Trainer Seh tippt auf sein Handy, worüber er die Musik | |
steuert. Wieder dröhnt Michael Jacksons Stimme aus den Lautsprechern. Die | |
zwölf Kinder stellen sich der Größe nach auf. Auf Sehs Handzeichen hin | |
legen sie los. | |
Die Hyperskids sind keine jungen Tanztalente, sondern Straßenkinder, die | |
sich mit ihren Tanzkünsten die Schulgebühren finanzieren. Einer von ihnen | |
ist der 12-jährige Ivan Assimwe. Er trägt zerlumpte knielange Shorts, ein | |
verwaschenes T-Shirt und Flipflops. | |
„Ich habe lange auf der Straße gelebt und täglich Schrott eingesammelt, den | |
ich verkauft habe, um etwas Geld zu bekommen, wovon meine Mutter uns etwas | |
zu Essen kochen konnte“, erzählt er. Als er dann auf der Straße die | |
Tanztruppe sah, die gerade ein Handyvideo für die sozialen Medien drehten, | |
„habe ich allen Mut zusammengenommen und sie gefragt, ob ich mich ihnen | |
anschließen könne“, sagt Ivan. Nach einem Gespräch mit der Mutter zog er | |
bei den Hyperskids ein. „Seitdem gehe ich zur Schule!“, freut sich der | |
drahtige Junge. | |
## Der FC Barcelona teilte ein Video | |
55 Kinder leben derzeit in diesem Haus hinter dem schwarzen Hoftor. In | |
jedem Zimmer stehen viele Stockbetten, selbst die Garage ist zum | |
Schlafzimmer umgebaut. Sie alle sind Waisen oder Kinder aus armen Familien, | |
deren Eltern sie nicht zur Schule schicken können. Die meisten haben | |
jahrelang auf der Straße gelebt – [4][ohne Zukunftschancen]. Mit ihren | |
Tanzvideos, die in den vergangenen Jahren weltweit viral gingen, hat sich | |
das radikal verändert. | |
Hyperskids-Gründer Moses Butindo bereitet derzeit knapp zehn der Kids | |
darauf vor, nach Europa und in die USA zu reisen, sagt er. „Es ist für uns | |
alle die erste Reise mit dem Flugzeug“, sagt Butindo. „Ich werde diesen Tag | |
nie im Leben vergessen“, berichtet der kräftige junge Mann im Jogginganzug, | |
dabei leuchten seine Augen voller Freude. | |
Als er zu Beginn des Jahres das erste Video mit den jonglierenden Bällen | |
online stellte, hat er seinen Lieblingsverein FC Barcelona markiert. „Und | |
Barcelona hat unser Video geteilt!“ Er nahm mit dem Klub direkt Kontakt | |
auf, tauschte Nachrichten aus. Der spanische Fußballverein bat Butindo um | |
die Erlaubnis, das Video auf der offiziellen Fanseite posten zu dürfen: | |
„Wir sind durchgedreht vor Freude!“ | |
Von da an ging alles sehr schnell: Der Fußballklub schickte ihnen Trikots | |
ins Getto und drei Wochen später kam die Einladung, nach Barcelona zu | |
reisen, um die Profispieler kennenzulernen und mit deren Jugendmannschaft | |
zu spielen. Anschließend soll es dann weitergehen in die USA, wo die | |
Hyperskids an einem internationalen Tanzwettbewerb teilnehmen. Auch dazu | |
wurden sie eingeladen. | |
## Der Gründer des Waisenhauses | |
Während Trainer Seh mit zehn der Kids zur Veranstaltung ins Einkaufszentrum | |
fährt, sitzt der 26-jährige Gründer des Waisenhauses, Butindo, im Garten | |
und erzählt seine Geschichte. Er ist selbst auf der Straße aufgewachsen. | |
Sein großer Jugendtraum war es, Profifußballer zu werden und seine Familie | |
damit aus der Armut zu retten. | |
Doch beim Training in Ugandas Jugend-Fußballakademie brach er sich als | |
11-Jähriger das Bein. Es war das Aus seines Traums einer Karriere, denn er | |
konnte sich die teure Operation am Bein nicht leisten: „Meine | |
Straßenfreunde klauten irgendwo ein Telefon, verkauften es und bezahlten | |
damit die Krankenhausgebühren“, erinnert sich Butindo. | |
Dann schleppten sie ihn in ihre Unterkunft: eine alte Bauruine. Doch die | |
Wunde entzündete sich. „Wir dachten, ich sterbe“, so Butindo. Einer seiner | |
Freunde kam auf die Idee, ein Foto von seinem Bein mit einem Spendenaufruf | |
ins Internet zu stellen. Ein Kanadier, der bei der Fußballakademie in | |
Uganda tätig war und sich an Butindo erinnerte, bezahlte die | |
Behandlungskosten. „Als es mir besser ging, hat er mir sogar Geld gegeben, | |
um ein Zimmer zu mieten, wo ich mich erholen konnte.“ | |
Um seinen Freunden zu danken, ließ Moses alle in seinem Zimmer schlafen. Zu | |
zwölft teilten sie sich drei Matratzen auf dem Boden. In einer dieser | |
Nächte entwickelten sie die Idee, im Internet weiter Geld zu generieren, um | |
ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, so Butindo. „Ich hatte die Idee, | |
Musikvideos herunterzuladen, um die Tanzschritte nachzuahmen.“ | |
## Kontakt zum Präsidenten | |
Sie fingen an zu üben. Die Hyperskids wurden in Uganda schnell berühmt und | |
wurden auf Partys und Veranstaltungen eingeladen, um ihre Tanzeinlagen | |
vorzuführen. Immer mehr Straßenkinder schlossen sich ihnen an. | |
2016 hatten sie den nationalen Durchbruch. Damals bestanden die Hyperskids | |
aus 37 Jungen und Mädchen, die alle in Schichten in Butindos kleinem Zimmer | |
auf den Matratzen schliefen. Zu jener Zeit war Wahlkampf in Uganda, der | |
Präsident tourte durch das Land und hielt überall Veranstaltungen ab, wo | |
auch Tanzgruppen auftraten. | |
Da hatte Butindo die Idee, vor dem Präsidenten zu tanzen. „Ich ging zu | |
einem Internetcafé und wir fälschten eine Einladung mit dem Briefkopf des | |
Präsidenten“, berichte Butindo und grinst dabei schelmisch. | |
Butindo kaufte gelbe T-Shirts, die Farbe der Präsidentenpartei. Zu Fuß | |
marschierten sie die elf Kilometer zum Wahlkampfevent. Die Soldaten | |
kontrollierten die Einladung und ließen sie passieren. „Als wir anfingen zu | |
tanzen, waren alle sofort begeistert. Die ganze Menschenmasse tanzte mit, | |
auch die Minister!“, berichtet Butindo mit leuchtenden Augen. | |
Danach wandte sich der Präsident direkt an die Straßenkids und sagte: | |
„Diese Jungs sind sehr talentiert. Aber sie brauchen eine Hüpfburg, um sich | |
nicht alle Knochen zu brechen.“ Präsident Yoweri Museveni wies seinen | |
Assistenten an, die Kontaktdaten der Hyperskids zu erfragen, um ihnen eine | |
Hüpfburg zu kaufen. | |
## Mit dem Haus wurde alles anders | |
„Das war einfach genial!“, strahlt Butindo. Wenige Tage später erhielt er | |
einen Anruf aus dem Präsidentenpalast. Aufgeregt musste er dem Assistenten | |
klarmachen, dass sie keine Hüpfburg benötigten, sondern Betten und | |
Schulgebühren. Nach Rücksprache mit dem Präsidenten passierte dann ein | |
kleines Wunder, so Butindo. | |
Sie bekamen dieses Haus, in welchem sie sich alle niederlassen konnten, und | |
etwas Startgeld, um die Kinder in die Schule zu schicken. | |
Von da an war alles anders, so Butindo. Er steht von dem Stuhl auf der | |
Veranda auf, geht um das Haus herum und zeigt auf einen Holzverschlag, wo | |
ein gewaltiger Kessel auf einem Holzkohleofen steht. Darin köchelt das | |
Mittagessen. Vorsichtig hebt er den Deckel an, um zu sehen, ob die Bohnen | |
gar sind. | |
Es hat angefangen zu regnen und die Kinder, die nicht zur Veranstaltung | |
mitgegangen sind, haben sich nach dem Training in ihre Schlafsäle | |
zurückgezogen, um sich auszuruhen. | |
Nur wenige schauen aus den Fenstern und Türen in den Hinterhof, um zu | |
erfahren, was es denn zu essen gibt. Reis und Bohnen – das ist das einzige, | |
was Butindo den 55 Kids täglich servieren kann. | |
## Das Geld ist knapp | |
Zu mehr reicht das Geld einfach nicht, sagt er. Das Startgeld des | |
Präsidenten ist lange aufgebraucht, und 55 hungrige Mägen zu füttern, | |
Schulgebühren, Schuluniformen, Hefte, Stifte, Bücher, das alles braucht | |
viel Geld. | |
Auch wenn die Kids mittlerweile weltweit berühmt sind, reicht es nie | |
wirklich, alle Bedürfnisse zu stillen, sagt Butindo: „Wir benötigen pro | |
Monat allein umgerechnet rund 1.500 Euro, um alle satt zu bekommen, der | |
Rest geht für Schulgebühren drauf“, seufzt er. „Immerhin, unsere | |
Onlinekanäle funktionieren ganz gut, wir erhalten Geld über Youtube, je | |
nachdem wie viele Stunden unsere Abonnenten unseren Kanal anschauen.“ | |
Für die Goldmedaille gab es kein Geld. Aber er hat nun eine Spendenseite | |
eingerichtet, worüber etwas Geld reinkommt. „Dennoch“, sagt er, „reicht … | |
nie wirklich aus, um alle Kosten zu decken.“ Die Reise nach Spanien und in | |
die USA macht Hoffnung, dass bald mehr Spendengelder eintreffen oder die | |
Hyperskids auf den sozialen Medien noch mehr Follower gewinnen, um in | |
Zukunft davon leben zu können. | |
Täglich stehen weitere Straßenkinder vor dem schwarzen Hoftor und wollen | |
sich den Hyperskids anschließen – doch Butindo hat kein einziges freies | |
Bett mehr übrig. | |
3 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Simone Schlindwein | |
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