# taz.de -- Aus Le Monde diplomatique: Kung-Fu in Kampala | |
> In Uganda ist eine junge Filmszene entstanden. Mit viel Fantasie und | |
> wenig Geld dreht sie Actionfilme à la Jackie Chan und Arnold | |
> Schwarzenegger. | |
Bild: Isaac Nabwana am Set in Wakaliwood | |
Mit „Feeling Struggle“ von Hajj Ashraf Ssemwogrere feierte 2005 der erste | |
Spielfilm aus Uganda Premiere. Seither ist die ugandische Filmindustrie | |
(„Kinna-Uganda“) weiter gewachsen, obwohl es dafür weder Geld noch | |
Infrastruktur gibt. Wahrgenommen werden ihre Produktionen allerdings nur | |
von einer kleinen Oberschicht. Fast die Hälfte der Bevölkerung lebt | |
unterhalb der Armutsgrenze. Und die bei lokalen Filmemacher beliebten | |
„neorealistischen“ Sujets taugen nicht besonders, um dem mühsamen Alltag zu | |
entfliehen. | |
Als Kino fungiert in Uganda meist ein beliebiger Raum mit Stühlen, einem | |
Fernseher und einem Videorekorder. In solchen Sälen in Wakaliga, einem | |
Elendsviertel im Süden von Kampala, bewunderte auch der spätere | |
Kung-Fu-Meister Robert Kizito die Heldentaten von Chuck Norris, Arnold | |
Schwarzenegger, Jackie Chan, Jet Li und natürlich Bruce Lee. Begeistert | |
erzählte er seinem kleinen Bruder, Isaac Godfrey Geoffrey „IGG“ Nabwana, | |
von den Filmen aus den USA oder Hongkong. Noch bevor IGG einen einzigen | |
Film gesehen hatte, wollte er unbedingt Regisseur werden. | |
2005, mit 32 Jahren, gründete er die Ramon Film Productions. Der Name ist | |
eine Hommage an seine beiden Großmütter Rachel und Monica, die ihn | |
großgezogen und im Bürgerkrieg (1981–1986) beschützt hatten. Nachdem IGG | |
einige Übung mit dem Dreh von Videoclips für lokale Musiker gesammelt | |
hatte, machte er sich an seine ersten Langspielfilme. Diese hatten kaum | |
etwas gemein mit den Filmen, die in den vornehmen Vierteln Kampalas | |
spielen. | |
Zunächst waren sie viel weniger ernsthaft. In seinem ersten Film „My School | |
Days“, der nie in die Kinos kam, war zum Beispiel ein mofafahrender Vampir | |
zu sehen. Außerdem sprachen seine Helden nicht die offiziellen | |
Landessprachen Englisch oder Swahili, sondern eine Mischung aus Englisch | |
und Luganda, dem in Uganda am häufigsten gesprochenen Idiom. Das kam bei | |
den Eliten gar nicht gut an. | |
## Bruce U aus dem ugandischen Shaolintempel | |
Jeden Sonntag versammelte IGG seine Freunde aus dem Kung-Fu-Klub seines | |
Bruders und begann ohne Skript zu drehen. Als 2009 ein Generalstreik das | |
Land lähmte, entstand innerhalb eines Monats und mit einem Budget von nur | |
200 Dollar [1][„Who Killed Captain Alex?“]. Angekündigt als „der erste in | |
Uganda von Ugandern gemachte Actionfilm“, erzählt er die Geschichte des | |
unbestechlichen Captain Alex, Speerspitze im Kampf gegen die Tiger-Mafia. | |
Als dieser auf geheimnisvolle Weise ermordet wird, schwört sein Bruder | |
Bruce U aus dem ugandischen Shaolintempel Rache. | |
Neben blutigen Schießereien und Kung-Fu-Kämpfen zeigt „Who Killed Captain | |
Alex?“ eine unfähige und korrupte Polizei sowie betrunkene und rauflustige | |
Soldaten. Am Ende des Films verkündet der (fiktive) Polizeichef: „Die Stadt | |
ist wieder sicher, die Ugander lieben das Kriegsrecht.“ Während der | |
Dreharbeiten – die aufgrund fehlender Genehmigungen im Geheimen stattfinden | |
mussten – wurde diese Fiktion Wirklichkeit. In den umliegenden Straßen | |
patrouillierten echte Soldaten, weil Aufständische die Polizeistation von | |
Wakaliga in Brand gesetzt hatten. Der Film endet mit den Bildern einer | |
realen Demonstration, die von Wasserwerfern aufgelöst wird. | |
Die Filme von IGG zeigen die harte Realität von der Amtszeit Idi Amins | |
(1971–1979) über den Bürgerkrieg bis zur Gegenwart – und stecken voller | |
Humor. Dabei haben die Streifen – auch wenn zum Beispiel die Filmwaffen | |
buchstäblich aus Schrott zusammen gezimmert sind – nichts mit der | |
unfreiwilligen Komik westlicher Trashfilme zu tun: Bei den | |
„Wakaliwood“-Produktionen, der Spitzname von Ramon Film Productions, ist | |
der Humor gewollt. | |
## Kochen für die ganze Crew | |
Die Schauspielerinnen und Schauspieler engagieren sich mit Leib und Seele. | |
Sie schreiben ihre Dialoge selbst, entwerfen ihre Kostüme und ihr Make-up | |
und kochen für die ganze Crew. Wenn der Film fertig ist, ziehen sie von Tür | |
zu Tür, um die DVDs zu verkaufen, wofür sie eine Gewinnbeteiligung | |
erhalten. Allerdings funktioniert dieses Geschäftsmodell nur in der ersten | |
Woche nach Erscheinen – danach machen Raubkopien jede Hoffnung auf weitere | |
Einnahmen zunichte. | |
Die meisten Darsteller stammen aus Wakaliga selbst. „Alle meine Nachbarn | |
sind jetzt Schauspieler, und wir drehen dort, wo wir aufgewachsen sind“, | |
erklärt IGG. Die Kulisse gibt die (weitgehend improvisierte) Handlung vor, | |
und die Dreharbeiten werden zum Straßentheater, das Neugierige anlockt – | |
insbesondere die Kleinsten. „Alle Kinder hier haben uns beim Filmemachen | |
zugesehen, deshalb wollen sie jetzt mitspielen!“, freut sich der Regisseur. | |
In IGGs Filmen sind Hauptrollen häufig mit Kindern oder Frauen besetzt. Die | |
Darsteller besuchen die Kung-Fu-Kurse, die jeden Tag vor IGGs Haus | |
stattfinden. Das kleine Backsteingebäude, in dem er mit seiner Frau und | |
Regieassistentin Harriet wohnt, beherbergt ein gutes Dutzend | |
Kinder-Darsteller, die „Waka Starz“. „70 Prozent der Bevölkerung Ugandas | |
sind unter 18“, erzählt IGG. „Deshalb sind die Waka Starz so wichtig. Junge | |
Leute können sich besser mit ihnen identifizieren als mit älteren | |
Schauspielern.“ | |
Wakaliwood hat auch den Video-Jockey (VJ) erfunden, der, mit einem Mikro in | |
der Hand, ältere Filme live synchronisiert, die auf Englisch oder | |
Chinesisch sind. „Ein alter Schulkamerad ist auf die Idee gekommen“, | |
erzählt IGG. Er hat dieses Verfahren für seine eigenen Produktionen | |
übernommen, was den Filmen noch zusätzlich Humor verleiht, denn die VJs | |
übersetzen nicht nur: Sie kommentieren und machen Witze. | |
## Gewalt und Armut gehörten in Wakaliga zum Alltag | |
Wakaliwood ist ein großer Erfolg, aber ebenso groß sind die Hürden. Gewalt | |
und Armut gehörten in Wakaliga zum Alltag, auch unter den Filmleuten gab es | |
schon zahlreiche Tote. Bei einem der häufigen Stromausfälle wurde IGGs | |
Festplatte zerstört und mit ihr ein Dutzend seiner über 40 Filme. „Who | |
Killed Captain Alex?“ konnte nur dank einer Kopie gerettet werden. | |
Der 90-sekündige Trailer des Films, den IGG 2011 auf YouTube stellte, wurde | |
innerhalb weniger Tage mehr als 1 Million Mal aufgerufen. Der Clip machte | |
Wakaliwood auch außerhalb der ugandischen Armenviertel bekannt und | |
motivierte Alan Hofmanis, einen New Yorker Filmliebhaber, alles aufzugeben | |
und nach Uganda zu ziehen. | |
Er schloss sich dem Filmteam an, brachte seine Expertise im Bereich der | |
sozialen Medien ein und lancierte eine Fundraising-Kampagne. Anvisiert | |
waren 160 Dollar, am Ende kamen 13 000 Dollar zusammen, die sofort in eine | |
Kamera, eine Hubschrauberattrappe aus Altmetall und in die zahnärztliche | |
Behandlung von Studiomitgliedern und ihren Familien investiert wurde. | |
Hofmanis selbst spielt in dem Film [2][“Bad Black“] mit1, der zwischen 2011 | |
und 2015 gedreht wurde, weshalb VJ Emmie die 2013 restaurierte Version von | |
„Who Killed Captain Alex?“ um folgende Ankündigung ergänzte: „Wenn Sie | |
Captain Alex mögen, freuen Sie sich auf ‚Bad Black‘: Dort sehen Sie, wie | |
Weiße verprügelt werden!“ | |
## Inspiriert von den Hollywoodfilmen der Reagan-Ära | |
In Uganda seien die US-amerikanischen Actionfilme der 1970er und 1980er | |
Jahre ganz anders wahrgenommen worden als in Amerika, erklärt Hofmanis. | |
„Aber wir sind alle irgendwie verbunden durch Schauspieler wie | |
Schwarzenegger, Chuck Norris oder Jackie Chan, auch wenn wir in | |
unterschiedlichen Kulturen aufgewachsen sind.“ IGG ließ sich vor allem von | |
Hollywoodfilmen der Reagan-Ära (oder besser gesagt, von den Nacherzählungen | |
der Filme durch seinen Bruder) inspirieren und erfindet sie mit einer | |
diametral entgegengesetzten politischen Aussage neu. | |
„Bad Black“, 2016 fertiggestellt, erzählt von der Rache einer | |
traumatisierten jungen Frau, die Anführerin einer Gang wird, und von einem | |
amerikanischen Arzt, der sich mit der Hilfe eines achtjährigen | |
Kung-Fu-Meisters in einen ugandischen Schwarzenegger verwandelt. Wild | |
durcheinander erzählt der Film vom Menschenhandel mit Straßenkindern, dem | |
Schicksal alleinstehender Mütter, Zwangsheirat, fehlender medizinischer | |
Versorgung, Gentrifizierung und der Kluft zwischen Arm und Reich. | |
Selbst in seinen abgedrehtesten Momenten ist „Bad Black“ präzise komponiert | |
und ebenso spannend wie komisch. Der wilde Genremix mag westliche Zuschauer | |
irritieren, aber für den Regisseur „ist das echte Leben eine Mischung aus | |
Komödie, Action und Drama“. | |
Die ugandischen Kulturbehörden kritisieren IGG für seine blutigen „Exzesse�… | |
und das Bild, das er von seinem Land zeichne. Er sieht seine | |
Schauerästhetik jedoch vor allem als Spiegel dessen, was im Fernsehen zu | |
sehen ist, und des realen Elends in den Slums. „Meine Filme haben eine | |
Botschaft, sie zeigen das Leben in den Elendsvierteln von Kampala. Die | |
Regierung darf sich nicht länger nur um die Sorgen der Reichen kümmern. | |
Deshalb thematisieren wir die grauenhafte Situation der Kinder, die in | |
Slums aufwachsen.“ | |
In Wakaliwood kehrt die Filmkunst zu ihren handwerklichen Wurzeln zurück, | |
verbindet Humor und Drama, absurde Fantasie und dokumentarische | |
Beobachtungsgabe. Natürlich kann man das nicht mit Hollywood vergleichen. | |
Aber man kann sich durchaus vorstellen, dass Jedi-Meister Yoda ein Bündnis | |
mit den Rebellen von Wakaliga dem Disney-Imperium vorgezogen hätte. | |
Aus dem Französischen von Claudia Steinitz | |
13 Mar 2020 | |
## LINKS | |
[1] https://www.youtube.com/watch?v=KEoGrbKAyKE | |
[2] https://www.youtube.com/watch?v=Sa5kPuDtosQ | |
## AUTOREN | |
Daniel Paris-Clavel | |
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