# taz.de -- Friedhöfe als Grünfläche: Kartoffeln vom Gottesacker | |
> In Berlin werden immer weniger Friedhofsflächen für Bestattungen | |
> benötigt. Als Parks oder Gemüsegärten finden sie neues Leben. | |
Bild: Gärtnern, wo andere gedenken: auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof in Neuk�… | |
Berlin taz | Die Toten brauchen weniger Platz: In Berlin werden 290 Hektar | |
Friedhofsfläche nicht mehr für Bestattungen benötigt. Rund 210 Hektar sind | |
davon laut dem Friedhofsentwicklungsplan des Landes für eine Nachnutzung | |
als Grünflächen vorgesehen– eine Fläche so groß wie der Tiergarten. | |
Für die restlichen 80 Hektar ist eine sonstige, nicht-grüne Folgenutzung | |
vorgesehen. Das kann auch die Bebauung der Flächen mit Wohnhäusern sein. | |
Ein Rechtsanspruch auf Bebauung bestehe aber nicht, stellt die | |
Senatsverwaltung für Umwelt und Klimaschutz klar. | |
Der Grund für den stark gesunkenen Flächenbedarf liegt vor allem in der | |
sich verändernden Bestattungskultur: Beerdigungen sind individueller | |
geworden, die Menschen lassen sich in Friedwäldern oder auf See beisetzen. | |
Und die immer beliebter werdende Urne braucht viel weniger Platz als ein | |
Sarg. | |
Sylvia Butenschön von der TU Berlin beschreibt, wie wichtig es ist, | |
Friedhöfe als Grünflächen zu erhalten und nicht [1][angesichts der Berliner | |
Wohnungsnot in Bauland umzuwidmen]. Gerade in großen Städten seien | |
Friedhöfe Orte der Ruhe, Erholung und Naturerfahrung, in heißen Sommern | |
könnten sie Abkühlung für Stadt und Mensch bringen. Außerdem seien sie als | |
Hotspots der Artenvielfalt erhaltenswert. | |
Das bestätigt auch Janna Einöder, Referentin für Stadtgrün beim Berliner | |
Landesverband des Naturschutzbunds Nabu. Auf Friedhöfen gebe es etliche | |
Nischen, [2][die für Artenvielfalt sorgten]. „Zum Beispiel finden | |
Fledermäuse in Mausoleen ein Sommerquartier, magere, nährstoffarme Wiesen | |
stehen neben riesigen Efeu-Pflanzen und Altbäumen“, sagt sie zur taz. | |
Da Friedhöfe besonders ruhige und störungsarme Orte sind, fänden sich hier | |
auch scheuere Arten wie die Waldohreule und der Grauschnäpper. Es gebe aber | |
auch spannende Pflanzen wie die Osterluzei, die früher als Heilpflanze | |
verwendet wurde und heute auf der Vorwarnstufe der Roten Liste Deutschland | |
steht. Aufgrund von Platzmangel wurden solche Arzneipflanzen früher auf | |
Gräbern angepflanzt und wachsen heute noch immer auf Friedhöfen. | |
Sowohl Einöder als auch Butenschön betonen den kulturhistorischen Wert von | |
Friedhöfen. „Innerstädtische Friedhöfe sind mit die ältesten Parkanlagen | |
der Stadt und haben dadurch auch einen hohen kulturellen und historischen | |
Wert“, sagt Einöder. | |
## Den Geist des Ortes erhalten | |
Butenschön fordert, dass der „Geist des Ortes“ bei der Umgestaltung | |
erhalten werden soll. Dafür solle jeder Friedhof hinsichtlich seiner | |
Besonderheiten und Qualitäten, wie der Gräberstruktur und der spezifischen | |
Tier- und Pflanzenwelt untersucht werden, bevor er umgestaltet wird. | |
Den Leise-Park in Prenzlauer Berg, ehemals der Friedhof St. Marien – St. | |
Nicolai, nennt Butenschön als gelungenes Beispiel: „Hier sind Grabsteine | |
und Vegetationsbestände ehemaliger Gräber erhalten geblieben und erinnern | |
an die vormalige Nutzung.“ Durch die umgebenden Mauern habe der Friedhof | |
auch seine Ruhe bewahrt: „Man betritt eine andere Welt, einen speziellen | |
Ort der ruhigen Erholung.“ | |
Andere Friedhofsflächen werden heute für Gemüseanbau genutzt, [3][so dier | |
Prinzessinengarten in Neukölln] und das Elisabeet in Mitte. Im | |
Prinzessinengarten werden Gemüse, Kräuter und essbare Blüten auf ehemaligen | |
Gräbern angebaut, darunter Kartoffeln, Bohnen, Salbei und Ringelblumen, so | |
Hanna Burckhardt zur taz. Sie ist Co-Geschäftsführerin der Nomadisch Grün | |
gGmbH, zu der das Prinzessinengarten Kollektiv gehört. | |
Auf dem Neuen St. Jacobi Friedhof, wo sich der Prinzessinengarten befindet, | |
finden seit 2019 keine Beisetzungen mehr statt. Grabstellen gibt es | |
natürlich noch, teilweise werden sie von Angehörigen besucht. | |
## Unterstützung bei der Grabpflege | |
Mit dem Prinzessinengarten sollte ein niedrigschwelliges Bildungs- und | |
Teilhabeangebot durch den Anbau von Nutzpflanzen geschaffen werden, sagt | |
Burckhardt. Das Interesse, in dem Projekt mitzugärtnern, sei von Anfang an | |
groß gewesen. Wöchentlich ackern 20 bis 50 Menschen bei den | |
Arbeitseinsätzen. | |
Und auch von den Grabbesuchenden gebe es positive Rückmeldungen: „Durch uns | |
sind stets Ansprechpersonen vor Ort, die zum Beispiel bei der Bewässerung | |
und Pflege von Grabstellen unterstützen können“, sagt Burckhardt. | |
Auch Sylvia Butenschön gefällt die gärtnerische Nutzung von Friedhöfen: | |
„Ich sehe durchaus die Nachfrage nach Fläche, auf der man im | |
Innenstadtbereich Obst und Gemüse anbauen kann.“ Sie empfindet die | |
gärtnerische Nutzung auch nicht als pietätlos oder gar unhygienisch – | |
Tomaten, Salat oder Bohnen wurzelten ohnehin nicht so tief, als dass sie in | |
Kontakt mit den Überresten von Bestatteten kommen könnten. „Und dass auf | |
einem Friedhof etwas wächst, was Früchte trägt, ist für mich eine sehr | |
passende Symbolik.“ | |
5 Jul 2024 | |
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## AUTOREN | |
Leonie Vogelsang | |
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